Fit und wahnsinnig erfolgreich: Mit nur 23 Jahren hatte sich Sophia Thiel schon ein Leben erarbeitet, von dem viele ihrer Fans träumen. Doch um dieses Leben aufrechtzuerhalten, musste sie regelrecht Gewalt gegen sich selbst anwenden – bis nichts mehr ging. Im Interview spricht sie mit uns über den Moment der „Kernschmelze“, die Gründe dafür und ob sie heute bereut, was sie sich und ihrem Körper angetan hat.
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Sophia Thiel hat es in wenigen Jahren zur Top-Fitness-Influencerin Deutschlands geschafft. Mit Schweiß und Disziplin hat sie in nur drei Jahren 25 Kilo abgenommen, eine Anhängerschaft von Millionen Followern aufgebaut und diverse Ratgeber-Bücher sowie ein eigenes Online-Fitnessprogramm auf den Markt gebracht. Ihr Weg zum gestählten Körper und einem erfolgreichen Leben wurde zum Geschäft – und „Sophia mit Sixpack“ zum Markenzeichen.
Doch zu dieser Marke passten keine Schwächen. Wie groß der Druck war und welche Entbehrungen mit diesem Leben einhergingen, das bekommt die Öffentlichkeit erst 2018 zu sehen, als es zur inneren „Kernschmelze“ kommt. „Ich dachte immer, das Leid, […] ist eben der Preis für dieses Leben“, sagt Thiel Im Interview mit unserer Redaktion. „Es war totale Kontrolle. Und dann kam der Kontrollverlust.“ Plötzlich zog sich das Fitness-Vorbild aus der Öffentlichkeit zurück, das bis dahin praktisch täglich auf Youtube und Instagram zu sehen war. Monatelang gab es kein Lebenszeichen von ihr.
Nun ist Sophia Thiel zurück und längst wieder fleißig in sozialen Netzwerken unterwegs. Jetzt also noch einmal alles von vorne? Ganz und gar nicht: „Mein Ziel ist es, keine reine Fitness-Influencerin mehr zu sein“, sagt sie. Heute will sie ihre Reichweite nutzen, um aufzuklären, dem Sog einer vermeintlich perfekten Instagram-Welt, die keine Makel erlaubt und unerreichbare Ziele vorgibt, etwas entgegensetzen.
Ihre Geschichte hat Sophia Thiel in ihrem Buch „Come Back Stronger“ verarbeitet. Sie geht darin bis in ihre Kindheit zurück, um die Gründe für ihre Härte gegen selbst aufzuspüren. Auch mit uns spricht sie im Interview ganz offen über den Moment, an dem plötzlich nichts mehr ging, ihre Essstörung, Therapie und ob sie sich heute akzeptieren kann – auch ohne Sixpack.
„Ich habe mich so geschämt“
Du hast unmittelbar vor der Fitnessmesse FIBO 2018 die Reißleine gezogen, hast Auftritte gecancelt und bist für fast zwei Jahre abgetaucht. Was ist da passiert?
Erstmal war alles so, wie immer. Ich hab mich darauf vorbereitet, wie in den Vorjahren auch. Aber das hat nicht so gut geklappt. Bei der FIBO geht es ja auch immer darum zu zeigen, wie gut man in Form ist. Es ist schon ein bisschen Fleischbeschau. Ich hatte das Gefühl, mein Körper spricht nicht mehr auf die übliche Diät, das übliche Trainingspensum an. Warum, das habe ich nicht verstanden. Ich dachte noch, ich hätte irgendwas kaputt gemacht in meinem Körper. Ich hatte keine Kontrolle mehr über ihn. Auf der Fahrt zur FIBO hab ich dann den Anruf bekommen, dass das „Sophia Thiel”-Magazin eingestellt wird. Ich habe mich so geschämt. Das war mein persönliches Worst-Case-Szenario – nichts hat mehr funktioniert.
Das war der Moment des Zusammenbruchs?
Da ist alles über mich herein gebrochen. Ich habe die letzten Jahre Revue passieren lassen, was alles passiert ist, was kaputt gegangen und schief gelaufen ist. Als ich dann im Hotel war, hab ich es nicht mehr geschafft, das Gesicht zu wahren. Mich noch einmal hoch zu pushen, vier Tage lang Fans auf der Messe zu begrüßen als wäre nichts, das war nicht mehr drin. Schon zur FIBO 2017 war das ähnlich, aber da habe ich noch versucht, meine Community nicht im Stich zu lassen. Die Fans, die extra gekommen sind, haben eine fröhliche Sophia verdient. Aber im Hintergrund hat es da schon gebröckelt.
„Da war eine innerliche Taubheit“
Hast Du die Entscheidung alleine getroffen? Da hängt ja einen Menge dran, die Entscheidung betrifft nicht nur Dich.
Ja, ganz alleine. Aber das war schon schwierig. Ich hatte das Gefühl, ich bin ein großes Schiff mit ganz vielen Menschen an Bord – und plötzlich habe ich ganz viele Lecks, gehe langsam unter und ziehe alle mit. Aber ich habe es nicht mehr geschafft, die Lecks zu stopfen und das Wasser auszuschütten. Ich musste anhalten. Das war eine der schwersten Entscheidungen, die ich je treffen musste. Aber im Nachhinein sicher eine der Wertvollsten in meinem Leben.
Wie haben die Leute um Dich herum reagiert?
Natürlich waren alle erst einmal schockiert. Niemand hat das kommen sehen. Aber ich habe erklärt, warum ich das machen muss. Da war eine innerliche Taubheit. Ich habe kaum noch etwas empfunden – weder Nervosität noch Angst noch Freude. Ich nenne das meinen ‚Rock Bottom‚. Da war mir klar, ich muss mich rausziehen und darf mich nicht wieder überreden lassen, es durchzuziehen. Ich wusste nicht, was ich brauche, ich wusste nur: Ich muss hier weg. Ich wollte flüchten.
„Es war totale Kontrolle. Und dann kam der Kontrollverlust“
Fitness-Influencer verkaufen den Lifestyle: healthy, fit und happy. Du warst fit, aber nicht glücklich – was auf Dauer ziemlich ungesund ist.
Ich war nicht permanent unglücklich. Das war nicht alles vorgespielt. Ich hab so viel erlebt, 2016 in Los Angeles, im Golds Gym mit Arnold Schwarzenegger – das war Wahnsinn! Aber es gab auch Phasen, in denen ich das Programm nicht durchhalten konnte. Ich dachte immer, das Leid, dass diese Ernährungsform mit sich bringt, ist eben der Preis für dieses Leben. Ernährung musste funktionieren, nicht schmecken. Aber für mich war Essen eben auch immer mit Familie und Zusammenhalt verbunden. Das ist alles weggefallen. Und irgendwann hab ich das nicht mehr ausgehalten. Das Problem war, dass ich mir nie etwas erlaubt habe. Es war totale Kontrolle. Und dann kam der Kontrollverlust.
„Der ganze Druck hat bei mir zur Kernschmelze geführt“
Aber diese Seite bleibt verborgen. Es wirkt, als wäre so durchtrainiert zu sein nur toll und erstrebenswert – wie groß die Entbehrungen sind, um auszusehen wie Sophia Thiel, das bekommen die Fans nicht mit. Wie denkst Du heute über diese Scheinwelt auf Social Media?
Ich hoffe, dass sich das in eine andere Richtung entwickelt. Mein Buch war für mich der erste Schritt dahin zu sagen, ich erzähle euch, wie es wirklich hinter den Kulissen war. Von diesem Zwang, immer gut drauf zu sein und jeden Tag posten zu müssen, will ich mich lösen. Ich will sagen können, wenn es mir nicht gut geht, und poste nicht mehr jeden Tag. Der ganze Druck hat bei mir irgendwann zur Kernschmelze geführt. Jeder hat eine andere Belastbarkeit, ich bin da vielleicht etwas sensibler. Ich habe das alles immer sehr persönlich genommen.
Welche Anteil haben Anfeindungen und Hasskommentare im Netz an Deinem Zusammenbruch gehabt?
Ich bin früher definitiv anders damit umgegangen. Eigentlich dachte ich, ein Bild von mir, auf dem ich zugenommen habe, sei nichts Schlimmes. Tut ja niemandem weh. Aber so kam es mir vor. Ich stand als Fitness-Vorbild mit meinem Körper an vorderster Front. Ich wollte ein bestimmtes Bild verkörpern und habe den Ansprüchen nicht mehr genügt. Heute gehe ich anders damit um, aber auch die Kommentare selbst haben sich verändert: Vor meiner Auszeit waren es deutlich mehr Hasskommentare. Seit ich zu meinen Schwächen stehe und darüber rede, bekomme ich mehr Zuspruch. Ich hatte damit gerechnet, dass mir Leute entfolgen, weil die Themen unbequemer werden. Das Gegenteil war der Fall.
Wie gehst Du heute damit um, wenn Du angefeindet wirst?
Wenn ich heute negative Kommentare lese denke ich „Ah, ok“ – und gehe weiter. Ich konzentriere mich auf die positiven. Diese Hate-Kommentare sind heute leider normal. Wenn eine Mutter Theresa Social Media machen würde, dann würde sie Hasskommentare bekommen. Ist einfach so. Man darf das nicht so an sich ran lassen.
„Ich habe mein persönliches Kryptonit, das Essen, mitgenommen“
Mein erster Gedanke bei Deinem Comeback war: Wieso tut sie sich das noch mal an? Nach alledem wäre es nachvollziehbar gewesen, wenn Du Dich komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hättest. Warum nicht?
Mir hat das ja auch immer sehr viel Spaß gemacht. Ich hab so viele verschiedene Menschen kennengelernt, neue Orte. Ich hatte so viel Abwechslung und konnte mich kreativ ausleben. Das war wahnsinnig gut. Nur habe ich mein persönliches Kryptonit, das Essen, aus der Zeit davor in dieses Leben mitgenommen. Ich mag Fitness, ich mag Social Media. Eigentlich bin ich hier gut aufgehoben – nur mit einer Essstörung war das einfach schwierig. Heute versuche ich, das transparent zu machen.
Wie ernährst Du Dich heute?
Ich halte keine Diät mehr, aber ich esse schon immer noch bewusst. Wenn ich die Wahl zwischen Porridge und zuckrigen Cornflakes habe, tendiere ich zum Porridge. Das ist einfach noch so drin. Das ist ein langwieriger Prozess. Aber heute kann ich einfach Essen gehen und gerate nicht gleich in Panik, weil ich kein Meal-Prep dabei habe. Ich esse, was mir gut tut. Wenn ich früher im Supermarkt mal etwas ungesundes, schrottiges gekauft hab, dann dachte ich sofort: Ich darf das eigentlich gar nicht! Jetzt wird über mich geurteilt! Da bin ich heute zu mehr Normalität zurückgekehrt. Keine Verbote mehr. Ich bin froh, aus dem Strudel heraus zu sein.
Therapie? „Für mich die beste Entscheidung“
Bist Du wegen der Essstörung noch in Behandlung?
Ich bin noch in Therapie, im Mai schon seit einem Jahr. Ich will damit auch erst einmal weitermachen. Ich bin ja erst seit kurzem wieder auf Social Media unterwegs und dadurch wieder unter einer ganz anderen Stressbelastung.
Für mich war das die beste Entscheidung, ich hätte viel früher eine Therapie machen sollen. Ich hatte große Hemmungen, aber dadurch habe ich nur Zeit verloren. Und Geld, ich habe viel in Alternativwege investiert, Coachings und auch im Bereich Spiritualität. Darüber möchte ich in Zukunft mehr sprechen, weil Psychotherapie immer noch stigmatisiert wird. Und was ich in der Therapie gelernt habe, das kann ich nun bei Social Media weitergeben.
Kannst Du Dich heute ohne Sixpack akzeptieren?
Das war vor der Auszeit sehr schwer. Sophia mit Sixpack, das war einfach Teil der Marke. Das wird von mir verlangt, dachte ich. Ich habe mich sehr verurteilt, wenn ich nicht durchtrainiert war. Heute sehe ich das wesentlich entspannter. Es gibt immer noch sehr fiese Tage, in denen ich mich selbst nicht ausstehen kann. Aber das muss man einfach akzeptieren: Heute bist Du ein bisschen komisch – aber morgen ist ein anderer Tag. Ich verstecke mich nicht mehr. Es gibt nicht nur die gephotoshopte Perfektion auf Instagram. Selbstliebe wird immer so leicht dahin gesagt, ist aber harte Arbeit.
Wie lernt man Selbstliebe? Hast Du konkrete Tipps?
Zeit mit sich selbst verbringen und die eigenen Werte erkennen. Ich habe einige Selbstreflexionstagebücher geführt, da konnte ich alles nochmal aus der Vogelperspektive betrachtet. Es hilft, das Verhalten und die Gedanken sich selbst gegenüber zu reflektieren. Und dann die Gedanken ins Positive ziehen: Was kann ich gut? Was bereitet mir Freude? Man darf die eigenen Qualitäten nicht aus den Augen verlieren – unabhängig davon, was andere sagen.
„Dann arbeitet man gegen den Körper“
Wie stellst Du sicher, dass Du nicht wieder in diesen Strudel gerätst?
Mein Ziel ist es, keine reine Fitness-Influencerin mehr zu sein, bei der es nur um Training und Ernährung geht. Und mein Alltag sieht heute einfach ganz anders aus. Ich werde nicht mehr vier Stunden am Tag trainieren und bin nicht mehr auf meine Ernährungspläne angewiesen. Dadurch habe ich sehr viel Freiheit und Flexibilität gewonnen. Ich sage nicht mehr zu jedem Projekt ja und ich werde die Wochenenden nicht mehr durcharbeiten.
Auf die Ernährung zu achten und Sport zu treiben ist an sich ist ja nichts Schlechtes – im Gegenteil. Ab welchem Punkt würdest Du sagen, es kippt ins Negative? Gibt es Alarmzeichen?
Wenn es die Lebensqualität einschränkt. Wenn man auf Dinge verzichtet, die einem eigentlich Freude bereiten. Wenn sich alles nur noch um Training und Ernährung dreht und soziale Kontakte darunter leiden. Wenn es das ganze Jahr über nicht möglich ist, auswärts Essen zu gehen oder Ausnahmen zu machen. Dann wird’s kritisch. Oder wenn man keine Rücksicht auf den Körper nimmt. Bei mir war’s früher so: Egal, ob ich Halsschmerzen oder Schnupfen hatte – Training musste sein. Aber dann arbeitet man gegen den Körper.
Bereust Du, was Du Dir und Deinem Körper angetan hast?
Schon ein bisschen. Ich denke, ich hätte auch mit weniger Strenge und Gewalt mir gegenüber gute Ergebnisse erzielen können. Vielleicht langsamer, aber vielleicht auch langfristiger. Im Nachhinein ist man immer schlauer.
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