Ist Sebastian Fitzek die Lust auf Mord und Totschlag vergangen?

Ist Sebastian Fitzek die Lust auf Mord und Totschlag vergangen?

"Der erste letzte Tag" erscheint

Was geschieht, wenn zwei Menschen einen Tag verbringen, als wäre es ihr letzter? Dieser Frage ist Sebastian Fitzek (49) in seinem neuen Roman „Der erste letzte Tag“ (Droemer HC) nachgegangen. Ein humorvolles und melancholisches Buch. Ob der für seine Thriller bekannte Autor auch in Zukunft in seinen Büchern auf Leichen verzichtet, verrät er im Interview mit spot on news.

Ihr neues Buch „Der erste letzte Tag“ trägt den Zusatz „Kein Thriller“. Ist Ihnen die Lust an Mord und Totschlag vergangen?

Sebastian Fitzek: Wir leben gerade in einem Echtzeit-Thriller, da fand ich, dass es, auch nach meinem düstersten Thriller „Der Heimweg“, an der Zeit war, etwas fürs Herz und zum Lachen zu schreiben – und zum Verreisen. Wir können ja gerade nicht wegfahren, außer durch ein gutes Buch. Ein Buch schickt uns immer auf Reisen und eröffnet neue Welten.

Ohne die Pandemie hätte es dieses Buch also nicht gegeben?

Fitzek: Die Pandemie hat dazu geführt, dass ich überhaupt die Zeit hatte, das Buch zu schreiben. Wobei mir natürlich lieber wäre, es würde Corona nicht geben. Ich habe 2013 „Noah“ geschrieben, ein Buch über eine Pandemie, und hätte mir natürlich gewünscht, dass das eine Buchgeschichte bleibt. Die Fiktion gibt uns die Möglichkeit, uns mit relevanten Themen zu beschäftigen, ohne dass wir uns in eine reale Gefahr begeben. Jetzt sind wir leider in dieser wahren Geschichte.

Ich musste mir klarmachen: Es nutzt nichts, sich im Lockdown zu ärgern oder zum Hobby-Virologen auszubilden. Mehr als Abstand halten und vorsichtig sein, Masken tragen, sich testen (lassen) und Kontakte vermeiden, kann man ja erst einmal nicht tun. Ich wollte die Zeit dann also sinnvoll verbringen – und etwas schreiben, was jetzt guttut. Und das ist kein Psycho-Thriller, ich wollte einen Kontrapunkt setzen. Ich habe mich daran erinnert, dass ich die Geschichte zu „Der erste letzte Tag“ schon vor drei Jahren angefangen hatte und hatte nun die Gelegenheit, daran weiterzuarbeiten.

Das Buch spielt nach der Pandemie. War das beim Schreiben eine kleine Auszeit von der Krise in der Realität?

Fitzek: Das ist das Schreiben immer. Ich bekomme meinen Kopf frei dabei. Es zwingt mich dazu, fokussiert zu sein, das Handy auszumachen, mich nicht ablenken zu lassen. Ich muss mich auf eine andere Welt konzentrieren. Auch wenn mir danach der Kopf raucht, bin ich nicht den vielen Einflüssen ausgesetzt und so auch weniger nervös.

Wie halten Sie es in der Pandemie mit dem Nachrichtenkonsum?

Fitzek: Ich bin ein Nachrichtenjunkie. In Echtzeit prasseln ständig neue Informationen auf uns ein. Mein Nachrichtenkonsum ist enorm gestiegen im letzten Jahr. Irgendwann wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen kann. Statt diesem passiven Konsum von Informationen, die sich täglich ändern, wollte ich etwas Aktives, Kreatives machen. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Manche Leute stellen sich vor, dass ein Autor immer in einer Art Lockdown ist und im Homeoffice, der kennt das doch. Aber das ist bei mir nicht so. Ich brauche Menschen, die mich inspirieren. Ich muss rausgehen. Ich brauche das Leben. Denn zum Glück sind die verhaltensauffälligen Leute, die mich zu Geschichten inspirieren, nicht zu Hause und laufen vor meinem Schreibtisch herum. Man lernt sie draußen kennen.

Sie wollen Ihre Leser mit dem Buch zum Lachen bringen. Wie würden Sie Ihren Humor beschreiben?

Fitzek: Der Humor in „Der erste letzte Tag“ ist kein Schenkelklopfer-Humor, nicht sarkastisch oder zynisch, er lebt auch nicht von erzählten Witzen und Pointen. Der Humor ist in den Figuren veranlagt, die einerseits skurril, also merkwürdig im besten Wortsinn, sind. Auf der anderen Seite aber eine nachvollziehbare Sicht auf die Welt haben.

Sie haben als Unterhaltungschef beim Radio gearbeitet. Warum sind Sie nicht bei humoristischen Büchern gelandet, sondern sind durch Ihre Thriller berühmt geworden?

Fitzek: Das muss mir mal ein Psychiater erklären (lacht). Ich habe mir schon ein paar Mal bei einer Idee gedacht, dass das eine schöne Comedy-Ausgangssituation sein könnte, und dann lande ich intuitiv, unbewusst doch wieder auf der dunklen Seite der Geschichte und mache einen Psychothriller daraus. Auch wenn ich eigentlich etwas Lustiges schreiben wollte. Bei „Der erste letzte Tag“ wusste ich beispielsweise zuerst nicht, was Lea in ihrem Seesack dabei hat – und habe gehofft, dass sie nicht plötzlich ein Skelett rausholt. Ich war sehr froh, dass das diesmal nicht der Fall war, dass ich am Ende der lustigen Welt quasi treu geblieben bin.

Mit Lea und Livius begeben sich in „Der erste letzte Tag“ Ihre zwei Hauptfiguren auf einen Roadtrip von München nach Berlin. Livius ist ein junggebliebener Lehrer, der gerade versucht, seine Ehe zu retten, nachdem seine Frau eine Affäre hatte. Lia ist eine schräge junge Frau. Was hat Sie zu den beiden Figuren inspiriert?

Fitzek: Natürlich spielt das Unterbewusstsein eine große Rolle. Das ist auch bei Thrillern so, bei den guten wie den bösen Figuren. In den Helden und den Psychopathen steckt immer ein Funke Wahrheit, also etwas von einem selbst. Trotzdem trägt keine dieser Figuren wirklich autobiografische Züge. Die Figuren entwickeln sich beim Schreiben, das ist die Magie dabei. Ich verteile beim Schreiben unbewusst in jedem Kapitel Schlüssel, ohne zu wissen, in welches Schloss sie passen. Auf wundersame Art und Weise finde ich aber am Ende die richtigen Schlösser zu den Schlüsseln. So dass sie passen und Sinn ergeben, ohne dass ich es geplant hatte.

Das Buch ist nicht nur humorvoll, sondern auch melancholisch. Lea überredet Livius ein Experiment zu wagen: Sie wollen leben, als wäre es ihr letzter Tag. Haben Sie dieses Gedankenexperiment auch durchgespielt?

Fitzek: Natürlich habe ich das durchgespielt und hier muss ich Peter Prange, einem guten Freund und Bestsellerautor, Kredit zollen. Er hatte mir von einer Gruppe erzählt, die einen Klub zur Erfahrung neuer Erlebniswelten gegründet haben. Hin und wieder treffen sie sich, um genau das zu machen, was sie unter gar keinen Umständen machen wollen würden. Beispielsweise auf das Konzert einer Band gehen, die sie eigentlich schrecklich finden, oder ein Seminar zur Urschrei-Therapie besuchen.

Das hat mich zu der Erkenntnis gebracht, dass es zunächst einmal darauf ankommt, dass man immer wieder etwas anders machen sollte, um neue Erinnerungen zu sammeln. Der Sinn des Lebens besteht für mich darin, so viele Erinnerungen wie möglich zu sammeln. Dazu braucht es den Mut, neue Wege zu beschreiten. Wichtig ist für mich die Frage, mit wem ich das mache. Das bringt mich immer zurück zur Familie. Alle meine Geschichten sind Familiengeschichten, jeder Psychothriller. Darum würde ich mich auch an meinem letzten Tag darum bemühen, etwas mit meiner Familie zu unternehmen. Wahrscheinlich eine Reise – und sei sie auch nur kurz, nochmal zusammen das Meer oder die Berge sehen…

Sie haben das Buch Ihrer Partnerin gewidmet.

Fitzek: Diese Widmung gibt es aus zwei Gründen. Zum einen: „Der erste letzte Tag“ wäre ohne sie nicht entstanden. Wir haben uns über das Thema unterhalten, philosophiert, wie wir den letzten Tag miteinander verbringen würden. Sie hat mir die Frage gestellt, ob es nicht wichtiger ist, mit wem man den Tag verbringt, als was man macht. Das hat mich dazu gebracht, mich weiter mit der Geschichte zu beschäftigen. Ich hatte zuvor den Zugang zu dem Stoff verloren. Sie war ein guter Impulsgeber. Und dann ist es ja auch kein Geheimnis, dass wir ein kleines Baby haben. Da traf es sich nicht so günstig, dass ich in einen Schreibrausch verfalle, während sich die Familie gerade neu zusammenfindet. Sie musste dadurch mehr schultern als üblich. Insofern ist die Widmung also sowohl mein Dank dafür, dass es dieses Buch überhaupt gibt, weil sie mich an den Schreibtisch befördert hat. Und auch dafür, dass sie mir den Rücken freigehalten hat.

Auf Instagram haben Sie verraten, dass Sie schon am nächsten Thriller arbeiten. Auf was dürfen sich die Fans freuen?

Fitzek: Das wird wieder ein Thriller, versprochen! Das Buch wird „Playlist“ heißen, so viel darf ich schon verraten.

Wird es von Ihnen in Zukunft auch noch mehr Bücher ohne Leichen geben?

Fitzek: Ich schließe nichts aus. Mit Drachen kann ich beispielsweise wenig anfangen – aber ich könnte mir auch vorstellen, einen Drachen-Roman zu schreiben. Wahrscheinlich schreibe ich weiter Psychothriller, aber vielleicht wird es auch mal ein historischer Roman, Science-Fiction – oder Western. Wenn ich eine zündende Idee habe, setze ich mich auch an einen Western.

spot on news

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