"Ich bin ein Berliner!": John F. Kennedys Kultsatz wird 60 Jahre alt
Bis heute unvergessen
Es ist ein durchwachsener Sommertag, dieser 26. Juni 1963, der in die Geschichte eingehen wird. 24 Grad, ein leichter Westwind schiebt die Regenwolken Richtung Osten, immer wieder bricht die Sonne durch. Die Menschen sind in Hochstimmung, was etwas seltsam anmutet, denn die Welt befindet sich zu dieser Zeit in einer heißen Phase des Kalten Krieges.
Berlin ist die zweigeteilte Frontstadt zwischen Ost und West und Westberlin eine freiheitliche Insel inmitten der kommunistischen DDR. Erst zwei Jahre zuvor hat die DDR an ihrer Grenzlinie eine Mauer durch die Stadt gezogen, mit Türmen, Stacheldrahtverhau und Todesstreifen. Wer sie von Ost nach West überwinden will, und das wollen viele, wird erschossen.
Diese Berliner Mauer wird zum Unrechtssymbol für ein geteiltes Land, für zwei unversöhnliche Machtblöcke, die sich mit ihrem Atomwaffenarsenal gegenseitig bedrohen. Es ist ein beklemmendes Wahrzeichen für eine Welt, die ständig am nuklearen Abgrund balanciert.
Doch an diesem 26. Juni 1963, einem Mittwoch, ist in Westberlin die Stimmung geradezu euphorisch. Der junge US-Präsident John F. Kennedy (1917-1963) besucht die Bundesrepublik Deutschland. Nach einem zweitägigen Aufenthalt in der damaligen Hauptstadt Bonn fliegt er anlässlich des 15. Jahrestags der Berliner Luftbrücke, bei der Flugzeuge der westlichen Alliierten die Bevölkerung der von den Russen blockierten Stadt versorgten, nach Westberlin.
Es ist der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten nach Kriegsende. Kennedy will seine Solidarität mit den Bürgern Westberlins bekunden, das kommt gut an. Er bleibt zwar nur siebeneinhalb Stunden, doch die haben es in sich.
Als der Tross der offenen Fahrzeuge, in denen neben Kennedy auch der betagte bundesrepublikanische Kanzler Konrad Adenauer (1876-1927) sowie der charismatische Regierende Bürgermeister Westberlins, Willy Brandt (1913-1992), zum Brandenburger Tor und zum Grenzübergang Checkpoint Charlie im amerikanischen Sektor der Stadt rollt, säumen über eine Million jubelnder Berliner die Straßen. Und zur Schlusskundgebung auf dem Platz vor dem Schöneberger Rathaus stehen noch einmal 500.000, die seit den frühen Morgenstunden gekommen sind. Westberlin hat zu diesem Zeitpunkt 1,7 Millionen Einwohner, von denen also weit über eine Million JFK sehen und hören wollen.
Gegen 12 Uhr steht der Präsident auf einem vier Meter hohen Podest. Eine Windböe fährt ihm in den Haarschopf, was den damals 46-Jährigen besonders jugendlich und überzeugend wirken lässt. Die meisten der Menschen haben das Gefühl: Da oben steht einer, der wie sie empfindet.
Natürlich hat der Präsident eine Rede vorbereiten lassen, in der auch der Satz, der Kult werden sollte, steht. Doch der Nachdruck, mit dem Kennedy spricht, macht diese Rede zu einer der wichtigsten seines Lebens. Ganz offensichtlich hat ihn der Anblick der Mauer und der vielen Menschen, die einen Funken Hoffnung von ihm erwarten, tief berührt.
Er spricht Englisch, amerikanisches Ostküsten-Englisch. Seine Worte werden live in Radio und Fernsehen der ARD und US-Sender übertragen und simultan übersetzt. Doch wie es scheint verstehen ihn die Berliner auch so. In den 20 Minuten dieser fulminanten Rede, in der er die Mauer als „die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Regimes“ geißelt und einen bemerkenswerten Satz in Richtung Ostberlin sagt: „Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind alle nicht frei“, kommt das berühmte „Ich bin ein Berliner“ zweimal vor, gleich am Anfang und am Ende.
„Two thousand years ago the proudest boast was ‚civis romanus sum‘. Today, in the world of freedom, the proudest boast is ‚Ich bin ein Berliner‘.“
„Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Bürger Roms‘. Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz ‚Ich bin ein Berliner‘.“
Kennedys Rede schließt mit: „All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words ‚Ich bin ein Berliner!'“
„Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mensch stolz darauf, sagen zu können: ‚Ich bin ein Berliner‘!“
Ein unbeschreiblicher Jubel brandet auf. So etwas hat John F. Kennedy selbst in seiner Heimat noch nicht erlebt. Er ist selbst ergriffen von der Wirkung seiner schlichten, doch genialen Worte, mit denen er die Herzen der Westberliner bewegt. Womöglich schwingt dabei auch die Empörung über die Provokationen der DDR-Führung mit, denn als er bei seinem Besuch ans Brandenburger Tor kommt, sind alle Bögen des Tors mit Fahnen verhüllt, und der Chefpropagandist Karl-Eduard von Schnitzler (1918-2001) wird in seiner „Treffpunkt Berlin“-Sendung höhnen: „Heute stand er, der Präsident Nordamerikas, an den Grenzen seiner Macht.“
Doch solche Gehässigkeiten werden von Kennedys Kultsatz „Ich bin ein Berliner“ weggefegt. Er hat ihn vorher in Willy Brandts Amtszimmer mit dem US-Journalisten Robert H. Lochner (1918-2003), der fließend Deutsch spricht, eingeübt und zur Sicherheit einen Zettel mit der Transkription „Ish bin ein Bearleener“ seinem Redemanuskript beigefügt.
Der Satz ist in die Geschichte eingegangen, noch 60 Jahre danach kennen ihn die meisten Bürger der 1990 wiedervereinigten Stadt. Der Kennedy-Kult hält sich bis heute. Der Ort vor dem Schöneberger Rathaus heißt seit dem 25. November 1963 John F. Kennedy-Platz, drei Tage nach der Ermordung von JFK erfolgte die Umbenennung. Und zum Jahrestag der „Ich bin ein Berliner“-Rede enthüllte der jüngere Bruder Robert F. Kennedy (1925-1968), der 1968 auch erschossen wurde, am 26. Juni 1964 am Schöneberger Rathaus ein Reliefporträt samt Bronzetafel.
Die Rede selbst wurde in die Liste der UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen, die Notizen dazu sind im Foyer des Bundeskanzleramtes ausgestellt. Sie waren ein Geschenk des vormaligen US-Präsidenten Barack Obama (61) an Bundeskanzlerin Angela Merkel (68).
In den USA ist in den 80er-Jahren eine sonderbare Diskussion aufgekommen, wonach sich Kennedy mit seinem „grammatikalisch falschen“ Kultsatz zum Gespött gemacht habe. Korrekt hätte es heißen müssen: „Ich bin Berliner“. So sei großes Gelächter aufgekommen, als er sagte: „Ich bin ein Berliner“, denn das würde nicht anderes heißen als: „Ich bin ein (gefüllter) Pfannkuchen.“
Obwohl an dieser Version nichts stimmt und im Berlin der 60er-Jahre der Ausdruck „Berliner“ für den Berliner Pfannkuchen kaum bekannt war, lieben die Amerikaner nach wie vor den verballhornisierten Nonsens-Satz: „I am a jelly-filled doughnut!“
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