"Falling Down" wird 30: Der Tag, an dem Michael Douglas Amok lief
Drama von Joel Schumacher
Ein stickig schwüler Tag, die Verkehrsschlange reicht bis zum Horizont. Im völlig durchschwitzten Hemd im Auto ohne Klimaanlage, dafür mit einer aufdringlichen Fliege mit offensichtlichem Todeswunsch festsitzen – und dazu noch dieses gottverdammte Hupkonzert! Der am 26. Februar 1993 – also vor exakt 30 Jahren – erschienene Film „Falling Down“ von Joel Schumacher (1939-2020), schickte sein Publikum in medias res in diesen alltäglichen Horror. Doch statt die Situation einmal mehr über sich ergehen zu lassen, steigt die fuchsteufelswilde Hauptfigur William Foster (Michael Douglas, 78) urplötzlich aus seinem Auto aus – und läuft Amok. Erst im Laufe des Films erfahren wir, warum der Nachmittag im Stau der finale Schlag gegen seine fragile Psyche war.
Nach seiner impulsiven Flucht aus dem Wagen will sich William Foster, der wütende weiße Mann mit Bürstenhaarschnitt und Nummernschild „D-Fens“, zu Fuß zu seiner Familie durchschlagen. Doch genau das ist der Punkt: Der cholerische Vater hat eigentlich keine Familie mehr. Seine Ex-Frau hat ein Kontaktverbot erwirkt, vornehmlich, um das gemeinsame Kind vor Williams Wutausbrüchen zu schützen. Und seinen Job in einer Rüstungsfirma ist er ebenfalls seit Monaten los.
Williams Reise an den später von ihm als „Punkt ohne Wiederkehr“ bezeichneten Moment nimmt ihren Lauf. Die wachsende Gewaltbereitschaft des Protagonisten wird durch sein immer größeres Arsenal an Waffen symbolisiert: Anfangs ist es ein Baseballschläger, dann ein Klappmesser, später eine Maschinenpistole und schließlich gar eine Panzerfaust.
Auf tiefschwarzer Humorebene hält der Film der Gesellschaft sowie unserer Reaktion auf deren kleine und große Ungerechtigkeiten den Spiegel vor. Dem unfreundlichen Ladenbesitzer, den halbstarken Streitlustigen oder der überforderten Fast-Food-Bedienung wird durch „D-Fens“ stets mit maximaler Eskalationsstufe entgegnet. So, wie es unsereins vielleicht für den Bruchteil einer Sekunde selbst vor dem inneren Auge vorschweben mag, es die intakte Impulskontrolle aber nie zulassen würde.
Dem entgegen steht der mit allen Wassern gewaschene Sergeant Prendergast, großartig gespielt von Robert Duvall (92). Auch der Polizist im Rentenalter hat ein familiäres Drama zu verkraften, doch tut er es mit den exakt gegenteiligen Mitteln als „D-Fens“ – mit Einfühlvermögen und Güte. Prendergast folgt Williams zunehmend gewalttätigerem Pfad der Verwüstung und beleuchtet bei seinen Ermittlungen zudem die Hintergründe für die Taten des offensichtlich Wahnsinnigen.
Wo man als Zusehende anfangs noch mit der Hauptfigur mitfühlen kann, erfolgt spätestens nach dessen „Punkt ohne Wiederkehr“ auch für das Publikum der Paradigmenwechsel. William hat soeben erstmals einen Menschen getötet. Einen rechtsradikalen Drecksack zwar, aber eben einen Menschen. Dass dieser zuvor felsenfest der Überzeugung war, er und William seien vom gleichen Schlag, lässt das ohnehin schon demolierte Weltbild des Protaginsten vollends zusammenbrechen. „Ich bin der Böse?“, wundert er sich. Gut, dann ist das so, beschließt er in diesem Moment für sich. So, wie es fast 30 Jahre später Joaquin Phoenix (48) oscarprämiert in „Joker“ tat.
Was der sonst vornehmlich aalglatte bis rechtschaffende Figuren spielende Michael Douglas vor 30 Jahren in die Rolle steckte, muss sich vor der Perfomance von Phoenix jedenfalls nicht verstecken. Aus heutiger Sicht betrachtet ergibt sich für den Film zudem eine spannende wie topaktuelle Leseart. William ist der Typ Mensch, der seinen eigenen latenten Alltagsrassismus nicht zu erkennen vermag. Der selbst schockiert darauf reagiert, wenn es ihm vor Augen geführt wird. Und der dennoch stur weiter durchzieht und lieber anderen die Schuld für seine Probleme ankreidet, statt sich selbst zu hinterfragen. Ein Wutbürger, der so auch durch Fox News geschaffen worden sein könnte.
Herzzerreißend ist der Moment, als er sich eine alte Videoaufnahme aus vermeintlich glücklicheren Tagen ansieht, die einmal mehr demonstriert, dass es stets er selbst gewesen ist, der seinem Glück im Weg stand. So sitzt auch der Zuschauer am Ende da, hinterfragt die einigen Weggabelungen seines Lebens – und kommt hoffentlich zu dem Schluss, dass es nie zu spät ist, die richtige Route einzuschlagen.
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