Der Großmeister der Zeitlosigkeit

Ach was! Am heutigen 12. November wäre das humoristische Jahrhundert-Talent Loriot (1923-2011) hundert Jahre alt geworden. Dass er im kollektiven Bewusstsein der Deutschen trotz seines zwischenzeitlichen Ablebens im Jahr 2011 immer noch äußerst lebendig ist, beweisen die nun überall aus dem Boden schießenden Lobeshymnen, Retrospektiven und Themenwochen zu seiner Person.

Auffällig häufig kommt dabei der Begriff der Zeitlosigkeit ins Spiel: Man ist sich einig, dass Loriots Humor absolut zeitlos ist, bis heute generationsübergreifend ein Publikum findet und daher so relevant sei wie eh und je. Dass dem tatsächlich so ist, hat vor allem damit zu tun, dass Loriot von Anfang an in seinen Werken eine spezifische Art der Zeitlosigkeit verbaut hat.

Die zeitlose Kunstfigur Loriot

Ein aufschlussreicher Ausgangspunkt bei der Ergründung Loriots zeitübergreifender Wirksamkeit ist die Art und Weise, wie sich das 1923 als Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow einem alten deutschen Adelsgeschlecht entsprungene Komik-Genie von Beginn an selbst als aus der Zeit gefallene Persönlichkeit inszenierte.

In das kollektive Gedächtnis der Deutschen hat sich ein seltsam altersloses Loriot-Bild eingebrannt. Denkt man an Loriot, drängt sich unweigerlich das ikonische Bild des distinguierten älteren Herrn auf, der uns von einem Biedermeier-Sofa aus zuvorkommend und mit leicht irrem Blick entgegenlächelt. Auch wenn sich Loriot über Jahrzehnte hinweg immer wieder auf demselben Sofa ablichten und filmen ließ, ist eine klare Alterungskurve nicht erkennbar. Sämtliche Moden der Zeit scheinen an dem Mann spurlos vorbeizugehen, der Anzug hat wie die Frisur und die Körperhaltung stets denselben klassischen Schnitt.

Das hat damit zu tun, dass uns von dem Sofa aus eine klar umrissene Kunstfigur entgegenschmunzelt, aber auch damit, dass das deutsche Publikum Loriot nie als wirklich jungen Mann kennengelernt hat. Erst im bereits gehobenen Alter von 44 Jahren avancierte er nach einer erfolgreichen Karriere als Karikaturist zu einem prominenten Fernsehgesicht.

TV-Karriere auf dem Biedermeier-Sofa

Bereits in seiner ersten TV-Show "Cartoon", in der er zwischen 1967 und 1972 für den Süddeutschen Rundfunk von Stuttgart aus internationale Trickfilme präsentierte und bekannte Karikaturisten empfing, etablierte er sein ikonisches Biedermeiersofa als Markenzeichen und Standardhintergrund. Dieses war anfangs noch rot, erst bei seinem Wechsel zum seinerzeit äußerst innovativen und experimentierfreudigen Sender Radio Bremen tauschte er es ab 1975 gegen das bekanntere grüne Sitzmöbel aus, von dem aus er im Weiteren Fernsehgeschichte schreiben sollte.

Genau wie das Sofa bildete auch die spezielle Art, wie er auf ihm saß und sich an sein Publikum wandte, eine unveränderliche Konstante, die sich durch seine gesamte Karriere zog. Von Anfang an legte er es bewusst darauf an, sich selber und seine Figuren ein wenig altmodisch und aus der Zeit gefallen wirken zu lassen. Vor allem über seinen speziellen elaborierten Sprachduktus gelang es ihm, sich stets etwas älter und unzeitgemäßer wirken zu lassen, als er in Wirklichkeit war.

Wie er in einem seiner letzten Interviews mit der Süddeutschen Zeitung verriet, hat er sich diesen Verfremdungstrick bei seinem Vater abgeschaut. Dort sagte er: "Das habe ich von meinem Vater. Er hat mit Wonne zu Hause alte Männer parodiert. Als er selber alt wurde, machte er das immer noch und spielte mit siebzig einen Neunzigjährigen. Ich lebe inzwischen mit dem Vorteil, mich nicht mehr verstellen zu müssen, um mich wie ein alter Mann zu bewegen."

Kindheit in Omas wilhelminischen Wohnzimmer

Im selben Interview berichtete er von einem weiteren biografischen Faktor, der wesentlichen Einfluss auf seine persönliche Entwicklung und die seiner biedermeierlichen Kunstfigur hatte. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wuchs er im wilhelminischen Haushalt seiner verwitweten Großmutter Margarete von Bülow (1875-1945) auf, die ihm "die Grundlagen einer nützlichen, altmodischen Allgemeinbildung" vermittelte und ihn "am Klavier durch die Opern von Mozart bis Puccini" führte.

Dieses altmodische und bildungsbürgerliche Umfeld im Kreise wesentlich älterer Damen und Herrschaften habe deutliche Spuren in seinen Arbeiten und in seiner Art der Selbstinszenierung hinterlassen: "Wenn ich Autos zeichnete, waren es die Automobile aus meiner Kindheit, Türen hatten immer Füllungen, die Möbel stammten aus der Gründerzeit. Auch meine Figuren passten nie in die Epoche, in der ich sie gezeichnet habe. Das waren die vertrauten Eindrücke der Kindheit im Schutz der Großmutter. Ich bin sehr geprägt von diesen Resten bürgerlicher Romantik." Wie er abschließend konstatiert, habe sich dies im Laufe der Jahre als Vorteil erwiesen: "Unzeitgemäßes hält sich länger."

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