"Diese Narbenschwangerschaft war die wahrgewordene Hölle für mich", erinnert sich Tanja Szewczenko, 45, im "Mental Health Matters"-Gespräch. 2010 die erste Fehlgeburt. 2011 kam Tochter Jona zur Welt. Ab 2015 versuchten sie und ihr heutiger Ehemann, Eiskunstläufer Norman Jeschke, 43, erneut Eltern zu werden. Der jahrelange Kinderwunschkampf begann, mündete 2018 in einer potenziell lebensgefährlichen Krise: Es kam zu einer seltenen Form der ektopen Schwangerschaft, also einer Einnistung außerhalb der Gebärmutter an Tanjas Kaiserschnittnarbe. Endstation Chemotherapie-Zentrum. Die Frucht musste absterben.
2019 erneute Gefahr: Fehlgeburt, Ausschabung, Blutsturz, sofortige OP – Schlagworte aus der Hölle. Wieder einmal. Wie die einstige Eiskunstläuferin und "Alles was zählt"-Schauspielerin ihren teils traumatischen Weg erlebte, schildert sie detailliert in ihrem neuen Buch "Durch die Hölle zum Glück" (erhältlich ab 5. November 2022) und im GALA-Interview, denn: Die "Wartezimmer der Kinderwunschkliniken platzen aus allen Nähten – und keiner redet darüber".
Mit der Interviewreihe Mental Health Matters möchte GALA das Thema mentale Gesundheit in den Mittelpunkt rücken, aufklären und psychische Erkrankungen entstigmatisieren.
Tanja Szewczenko: Krebsgefahr löste Kinderwunsch aus
GALA: Als der Krebs bei dir 2008 im Alter von 30 Jahren an die Tür klopfte – du hattest eine Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs – spürtest du zum ersten Mal, dass dir das Thema Kinderwunsch nicht komplett egal war. Weshalb?
Tanja Szewczenko: In dem Moment wurde ich mit der Gefahr konfrontiert, an Krebs zu erkranken und meine Gebärmutter zu verlieren. Da hatte ich keine Wahl mehr, den Gedanken an Nachwuchs noch weiter aufzuschieben. Auf einmal wurde mir bewusst, dass mir ein kinderloses Leben nicht gefallen würde.
Wenn es nicht der perfekte Partner ist, möchte ich noch keine Kinder, da meine Mutter alleinerziehend war. Das wollte ich nicht. Für einen Kinderwunsch hätte im ersten Moment vieles passen müssen, was sich mit dem Erlebnis änderte.
Parallel zum Eingriff, einige Zeit nach dem auffälligen Abstrich, hattest du deinen Partner fürs Leben kennengelernt: Norman Jeschke.
Passend zum Mutterwunsch, der gerade in dieser Zeit gewachsen ist, kam er in mein Leben. Als hätte es so sollen sein…
Das Durchleben der jahrelangen Kinderwunschbehandlung war ein emotionaler Ausnahmezustand und glich einem zweiten Vollzeitjob. Du hast gehofft, gebangt, hast versucht auf der Arbeit zu funktionieren. Du musstest dir vor dem Dreh oft die Tränen wegwischen, dir Notlügen ausdenken, wieso das Make-up aufgefrischt werden muss. Wie hat sich dieses Parallelleben auf deine Psyche ausgewirkt?
Es war sehr anstrengend und kräftezehrend. Norman und mein Leben stagnierte für einen sehr langen Zeitraum. Heute fühle ich mich frei. Was wir dieses Jahr als Familie schon unterwegs waren. So viel Urlaub habe ich noch nie gemacht! Entweder habe ich nur gearbeitet oder befand mich in dieser Kinderwunsch-Spirale.
Vollzeitjob Kinderwunschbehandlung: Tanja und Norman fühlten sich „extrem isoliert und einsam“
Wie sah euer Alltag in dieser Kinderwunsch-Spirale aus?
Wir waren abhängig von Terminen, von Zyklen. Wir sind beispielsweise nicht auf den Weihnachtsmarkt gegangen, weil ich mir zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Spritze setzen musste. Doch nicht vor Ort auf einem Dixiklo! Das konnte ich aber niemandem erklären. Und dann wird man von den anderen mit einem "Die hat nie Zeit. Die will mit uns nichts mehr zu tun haben" abgestempelt. Solche Momente gab es viele. Eine Kinderwunschreise isoliert extrem und macht einsam. Hinzu kam die dauerhafte Grübelei.
Wie hat sich der erste Termin in der Kinderwunschklinik für dich angefühlt?
Ich wartete und schaute beschämt vor mich hin. Dabei legte ich meine Haare noch ein bisschen tiefer ins Gesicht und dachte mir: "Das muss ja morgen nicht direkt in den Zeitungen stehen". Ich fühlte mich sehr unwohl, dachte, ich gehöre da nicht hin. Meinem Mann und mir war anfangs immer wichtig zu erwähnen, dass wir bereits eine Tochter auf normalem Weg gezeugt hätten. Da wusste ich noch nicht, dass es normal ist, sich Hilfe zu holen, dass viele krank sind und die Ärzte einem im besten Fall helfen, schwanger zu werden.
Was hat dir in diesen schweren Momenten geholfen?
Der Beistand von meinem Mann und dass wir unsere wunderbare Tochter haben. Teilweise haben wir nur noch für Jona Dinge unternommen, weil wir uns vorgenommen hatten, neben all dem sie nicht zu vergessen. Nur so konnte ich mich manchmal aufraffen und Spaß empfinden. Es war aber immer gedeckelt – im Gegensatz zu jetzt mit unserer für uns vollständigen Familie. Jetzt erleben mein Mann und ich Dinge wie den Besuch in einem Freizeitpark noch mal völlig neu, viel losgelöster und freier.
„Wir hatten eine Zeit lang nur Sex im Dienst der Befruchtung“
Dein Mann und du hattet "eine Zeit lang nur Sex im Dienst der Befruchtung". Wie veränderte sich eure Partnerschaft durch die Kinderwunschbehandlung?
Wirklich verändert hat sich unsere Partnerschaft dadurch nicht, weil ich das Glück habe, einen unwahrscheinlich tollen Mann an meiner Seite zu wissen. Sex auf Knopfdruck fällt nicht jedem leicht. Norman ist ziemlich locker damit umgegangen. Er hatte sich keinen Druck gemacht und wir hatten deshalb auch nie Streit.
Wie hatten auch dann Sex, wenn wir eigentlich zu müde oder gestresst vom Tag waren. Wir haben dann humorvoll zueinander gesagt: "Da müssen wir jetzt durch". (lacht)
Oft werden nur Frauen mit einer Fehlgeburt und/oder Kinderwunschbehandlung in Verbindung gebracht, dabei leiden auch die Männer. Wie ist es Norman ergangen?
Er ist unwahrscheinlich stark damit umgegangen, war mein Fels in der Brandung, hat aber auch mit mir mitgelitten und geweint. Er hätte mir so gerne diesen physischen Schmerz erspart und ihn mir abgenommen.
Schlechtes Gewissen wegen Tochter Jona: Tanja Szewczenko wurde Mutterrolle nicht immer gerecht
Auch als Mutter musstest du funktionieren. Wie beeinflusste die Kinderwunsch-Behandlung die Beziehung zu deiner Tochter Jona?
Dadurch, dass wir diesen langen unerfüllten Kinderwunsch hatten, lag der Fokus extrem auf ihr. Uns wurde dadurch noch bewusster, wie wertvoll sie ist. Ich glaube, dass sie positiv davon partizipiert hat, da wir uns ihr so sehr gewidmet hatten. Ihr wurde es aber auch zu viel. Da wir die Sorge hatten, dass kein Geschwisterchen nachkommt, hatten wir Probleme damit, sie großwerden zu lassen. Lange war sie für uns die Kleine. Jetzt sagt sie: "Seitdem meine Brüder da sind, erlaubt ihr mir viel mehr." (lacht) Klar erlauben wir auch mehr, weil sie älter ist, aber so ganz unrecht hat sie damit nicht. Jetzt können wir sie mehr frei lassen.
Hast du gegenüber dir ein schlechtes Gewissen gehabt, weil du deiner Mutterrolle manchmal nicht gerecht werden konntest?
Ja, es gab Momente, in denen ich mich sehr auf den Kinderwunsch fokussierte, wenn ich viele Termine hatte oder ich mich nach der Fehlgeburt zurückzog. Das wären Stunden gewesen, die ich hätte mit meiner Tochter verbringen können. Das schlechte Gewissen ist aber auch gut. Das rüttelte mich wach und veranlasste mich dazu, mehr Zeit mit ihr zu verbringen.
„Wahrgewordene Hölle“: Schwangerschaft führte sie ins Chemotherapie-Zentrum
Du hattest dann eine sehr seltene Form der ektopen Schwangerschaft (außerhalb der Gebärmutter). Es erfolgte eine Einnistung an deiner Kaiserschnittnarbe. Du musstest ins Chemotherapie-Zentrum, um ein Chemotherapeutikum zu bekommen, damit die Frucht abstirbt. Eine Operation wäre wegen der Blutungsgefahr zu gefährlich gewesen. Darüber schreibst du: "Nun fühlte ich mich, als hätte mein Kinderwunsch mich zum Tode verurteilt." Eigentlich hast du versucht, schwanger zu werden und hattest nun ernsthafte gesundheitliche Probleme…
Diese Narbenschwangerschaft war die wahrgewordene Hölle für mich. Ich kannte Eileiterschwangerschaften, Fehlgeburten, aber davon hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Gefühlsmäßig war das für mich kaum zu verarbeiten. Ich wusste damals nicht, wie ich damit umgehen sollte. Gleichzeitig schämte ich mich vor den Menschen, die mit ihrer Krebserkrankung kämpften, und ich musste aufgrund meines Kinderwunsches bewusst gegen einen gesunden Körper ankämpfen, indem ich mir ein Zellgift spritze – aber auch aus dem Grund, weil eine solche Narbenschwangerschaft für mich lebensgefährlich werden könnte, im Falle einer Operation und unstillbaren Blutungen.
Erst wurde es trotz des Mittels nicht besser. Dir wurde sogar eine Gebärmutterentfernung vorgeschlagen. Dann konnte aber doch operiert werden und du wolltest so schnell wie möglich die Kinderwunsch-Behandlung fortsetzen. Woher kam der Kampfeswille?
Vielleicht war ich zu schwach zum Aufgeben? Das war für mich keine Option. Es ist ebenfalls eine starke Entscheidung, irgendwann für sich eine Grenze zu ziehen und zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Aber das konnte ich nicht. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass hier was falsch läuft, dass es doch möglich sein muss. Das Retten meiner Gebärmutter habe ich als Zeichen wahrgenommen, es weiter zu versuchen.
Trauma Blutsturz: Sofortige OP und Todesangst nach erneuter Fehlgeburt
Nach einer erneuten Fehlgeburt im August 2019 und einer Ausschabung fingst du beim Abendessen vorbereiten plötzlich an zu bluten. Es wurde immer mehr, bis sich ein riesiger Schwall in deine Jeans ergoss. Es hörte nicht auf, du wurdest panisch, der Notarzt musste gerufen und du sofort operiert werden. Plazentareste hatten den Blutsturz ausgelöst. Wie hast du es geschafft, dieses Trauma zu überwinden?
Am nächsten Tag wurde ich schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Das machte mit meiner Psyche total viel, da ich tags zuvor noch Todesangst hatte und dachte, ich würde verbluten und sterben.
Nach der Geburt mit den Zwillingen im Wochenbett hatte ich wegen der anhaltenden Blutungen noch mal Panikattacken. Mittlerweile kann ich mit meiner Periode gut umgehen, aber das dauerte.
Hast du dir psychologische Hilfe geholt?
Nein, weil ich nach der Sturzblutung bereits in den nächsten Untersuchungen der Kinderwunschbehandlung steckte. Ich glaube, es wäre nicht verkehrt gewesen, wenn ich mir Hilfe gesucht hätte. Nach meinem Hörsturz mit Mitte 20 habe ich eine Gesprächstherapie gemacht. Das tat gut. Dieses Mal war ich aber im Tunnel: Es sollte vorwärtsgehen. Ich hatte noch eine eingefrorene Eizelle. Ich wollte weiter versuchen, schwanger zu werden. Ich wollte mich nicht kleinkriegen lassen.
Du hast das Buch geschrieben, um andere Betroffene zu unterstützen. Was stört dich am gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema unerfüllter Kinderwunsch?
Mich stört vor allem, dass es so ein Tabuthema ist. Wieso? Weil wir nicht genug aufgeklärt wurden, weil sich viele dafür schämen, eine Fehlgeburt zu erleiden oder nicht auf natürlichem Weg Kinder bekommen zu können. Man traut sich nicht, mit anderen darüber zu sprechen. Dadurch kommt aber kein Austausch zustande und jeder denkt, er wäre allein mit seinem Problem. Mir ging es anfangs genauso. Das hat in mir Versagensängste ausgelöst. Ich dachte, es wäre das Einfachste der Welt, schwanger zu werden. Das ist es aber oft nicht. Und meistens steckt eine Erkrankung dahinter, von der man noch nichts weiß – ob jetzt bei der Frau oder dem Mann, so wie es bei Norman der Fall war: Er hatte Anti-Spermien-Antikörper.
Künstliche Befruchtung gilt als noch größeres Tabuthema als Fehlgeburten
Über Fehlgeburten wird immer noch wenig gesprochen. Für dich gilt das Thema künstliche Befruchtung aber als noch größeres Tabuthema. Wieso?
Weil darüber noch weniger öffentlich gesprochen wird. Bis heute suche ich nach Erfahrungsberichten über die Zeit in einer Kinderwunschklinik. In meinem ganzen Umfeld kannte ich niemanden. Es betrifft aber so viele. Das merke ich immer, wenn ich mich dazu in den sozialen Medien mit Betroffenen austausche oder die überfüllte Kinderwunschklinik in Düsseldorf besucht habe.
Du weist im Buch auch darauf hin, dass uns eingetrichtert wird, in den ersten drei Monaten nicht über seine Schwangerschaft zu sprechen, weil noch so viel passieren kann. Das ist der falsche Ansatz, oder?
Genau! Man teilt nicht sein frühes Glück mit den anderen, aber auch nicht sein Unglück, wenn es zu einer Fehlgeburt kommt. Das fördert Schuldgefühle im Stillen und isoliert die Betroffenen. Meine erste Fehlgeburt 2010 war im Vergleich zu den anderen dreien für mich am besten zu verkraften. Aber auch da habe ich mich komplett allein gefühlt und wusste vieles nicht. Ich habe so viel mit mir herumgetragen, dass ich fast geplatzt wäre.
Informationen zu Hilfsangeboten
Erkennen Sie bei sich Anzeichen einer Angststörung oder Panikattacke? Bei der kostenlosen Online-Beratung der Deutschen Angst-Hilfe e.V. wird Ihnen anonym geholfen. Weiterführende Informationen zur Erkrankung und Selbsthilfegruppen finden Sie auf der Stiftungswebsite.
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