Axel Milberg dreht noch zwei „Tatort“-Filme, ehe für ihn in seiner Paraderolle als Kieler TV-Kommissar Klaus Borowski die letzte Klappe fallen wird. Wir haben mit dem 66-Jährigen über die Gründe für seinen „Tatort“-Ausstieg, seine Dragqueen-Darstellung und überraschende Erkenntnisse bei Dreharbeiten in Wacken gesprochen.
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Axel Milberg: Alexander Adolph, der das Drehbuch zu „Die nettesten Menschen der Welt“ geschrieben hat, ist einer der besten Autoren Deutschlands. Man hat hier die Möglichkeit, in einem verflochtenen Zopf von Figuren und Geschichten mit Menschen mitzugehen, die innere und äußere Vorgänge sichtbar werden lassen, die sonst im Verborgenen bleiben. Und zwar in verschiedenen Episoden und auf mysteriöse, geheimnisvolle, manchmal poetische, manchmal auch grausame Weise. Das alles ist ja genauso Realität wie das, was wir sehen können.
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Wie meinen Sie das konkret?
Stellen Sie sich einmal vor, Sie gehen durch die Stadt und hören laut die Gedanken eines jeden Menschen, der Ihnen begegnet. Bei diesem Stimmengewirr würde Ihnen angst und bange werden. Nur ein Beispiel, kommt in der Serie nicht vor. Aber was dort passiert, sind Fantasien und Gedanken, die sich auf bizarre Weise umsetzen. Eine seltene Art des Geschichtenerzählens, wie wir es aus den amerikanischen Miniserien wie „Twilight Zone“ oder „Akte X“ kennen.
Lena Klenke, die ebenfalls zum Cast gehört, hat im Interview mit unserer Redaktion gesagt, dass der Serientitel bewusst irreführend gewählt wurde – „Die nettesten Menschen der Welt“ sind nämlich gar nicht so „nett“. Stimmen Sie Ihr zu?
Ich kann nur jedem empfehlen, sich im Netz das Filmfoto anzuschauen, auf dem ich eine Gartenharke in der Hand habe und außerhalb des Bildes irgendetwas attackiere. Mit dieser Harke gehe ich auf das „Monster“ los, darunter steht: „Die nettesten Menschen der Welt“. Das sagt eigentlich schon alles. Und „nett“ ist sowieso ein Wort, das keine lange Haltbarkeitsdauer hat. In der Regel wird es schnell kippen. Dennoch brauchen wir diese Form der Nettigkeit, um überhaupt miteinander klarzukommen.
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Auch als
Natürlich habe ich mich verändert – und auch gar nicht. Wir bilden uns gerne ein, wie sehr wir uns doch verändert haben. Aber bestimmte Strukturen und Wesenszüge bleiben. Es ist nach so langer Zeit aber auch eine gewisse Sättigung da, im guten Sinne. Ich würde allen Beteiligten Unrecht tun, wenn ich sagen würde, dass sich etwas wiederholt hätte. Nein, es hat sich nichts wiederholt. Wir haben jedes Mal einen neuen Film gemacht. Nur das „Dacherl“, die Marke „Tatort“, kam obendrauf. Aber jeder Film kann allein für sich bestehen, mal mehr und mal weniger.
Mit Blick auf die konstant hohen Einschaltquoten scheint es häufiger gelungen zu sein, oder?
Ich meine noch etwas anderes: Es gab häufig große Annäherung an das, was gemeint war, was eine richtig gute Buchverfilmung war. Es gab so viele unglaublich starke Regisseurinnen und Regisseure, die der NDR für Kiel gewinnen konnte. Manchmal haben uns vorbestimmte Themen wiederum so eingeschränkt, dass es sehr schwierig wurde, einen spannenden Krimi daraus zu machen. Wie sagt man so schön? Aufhören, wenn’s am Schönsten ist.
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Axel Milberg: „Ich brauche diesen Schlussstrich“
Dann bleiben Sie doch einfach Borowski, Herr Milberg! Das TV-Publikum scheint sich das zu wünschen …
Ja, aber ich brauche für mich und für die Sicht auf mich diesen Schlussstrich. Schauen Sie, ich habe gerade erst in dem Film „Meine Freundin Volker“ eine Dragqueen gespielt. Dabei habe ich gemerkt, wie wichtig es war, neu gesehen zu werden. Gesehen, als jemand, der eben nicht als Fernsehermittler strenge Fragen stellt oder empathisch mit den Opfern umgeht, sondern als ganz andere Figur. Auf einmal bewegte ich mich auf hohen Schuhen. Auf einmal war ich jemand, der an seinem Körper, an seinen Bewegungen, an seinem Gesicht herumbastelt und gestaltet. Plötzlich war der Körper das Thema. Wie werde ich dieser Welt der Drags, in der ich mit dieser Rolle und dieser Interpretation zu Gast sein durfte, gerecht? Und wird sie mich annehmen?
Hat diese Welt Sie denn angenommen?
Das hat sie. So wie ich dort freundlich aufgenommen worden bin, wünsche ich mir diese Aufnahme umgekehrt auch in der Gesellschaft. Ich konnte erleben und erforschen, wie sich das anfühlt – physisch, nicht intellektuell.
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Mit welchen Reaktionen wurden Sie konfrontiert – im Positiven wie im Negativen?
Es war überwältigend. Ich habe seit Jahren nicht mehr so starke und durchweg positive Reaktionen bekommen. Von der Redaktion wurde mir mitgeteilt, dass es im Netz auch ein paar negative Reaktionen gab. Es ist so, dass man ja genau unterscheiden muss. Ich konnte eine Dragqueen spielen, weil „drag“ eine künstlerische Erfindung eines Mannes ist, der mit seinem Körper eine Bühnenfigur darstellt – es wurde nicht eingrenzend sexuelle Orientierung thematisiert. Insofern war es für mich auch keine Anmaßung, diese Rolle zu spielen. Ich konnte das machen. Jeder kann, darf das machen.
Axel Milberg: „Als Dragqueen bin ich ein Löwe“
Hätten Sie vorher geahnt, dass in Ihnen auch eine Dragqueen steckt?
Als privater Mensch, als Volker, kann ich schüchtern sein, aber als Vivian, als Dragqueen auf der Bühne, bin ich ein Löwe. So heißt es ja in dem Film. Die Verwandlung, diese neue Identität, die ich mir selbst gegeben habe, gibt mir den Mut, den ich als Privatperson vielleicht nicht aufbringe. Schauspieler kennen dieses Gefühl. Viele „verstecken“ sich hinter einer Rolle, in der sie voll ins Risiko gehen. Doch sobald man XY privat erlebt, wird man vielleicht feststellen, dass man ein scheues Wesen vor sich hat. Davon gibt es viele – und es sind nicht die schlechtesten Schauspieler, die so sind.
Zu welcher Kategorie gehören Sie?
Ich bin gerne unsichtbar. Fragen Sie mal meine Frau. Aber wenn ich arbeite, und dazu gehört, dass ich mit Ihnen spreche oder einen Film vorstelle, dann mache ich das gerne. Andererseits vermisse ich es auch nicht. Ich brauche aber immer auch Phasen der totalen Zurückgezogenheit.
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Zu Ihrer Arbeit gehört auch der Besuch von Filmpremieren. „Die nettesten Menschen der Welt“ wurde bereits im Juni im Rahmen des Münchener Filmfestes vorgestellt. Hat es sich auch unabhängig von Ihrer neuen Serie gelohnt, das Filmfest zu besuchen?
Grundsätzlich war das Festival eine wunderbare Gelegenheit, zumal es sich direkt vor unserer Haustür abspielte – wir leben in München. Sehr gefreut habe ich mich über das Wiedersehen mit Barbara Sukowa, die mit dem CineMerit Award ausgezeichnet worden ist. In Margarethe von Trottas „Hannah Arendt“ habe ich ja Heinrich Blücher, ihren Ehemann gespielt. Ich war bereits am Tag vor der Eröffnung des Filmfestes bei der Verleihung „Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke“, organisiert vom „Bernhard Wicki Gedächtnis Fonds“. Dieser wurde von Bernhards Witwe Elisabeth Wicki-Endriss ins Leben gerufen, die auch als „Master of Ceremony“ der Preisverleihung fungiert. Ich war beeindruckt von den drei Filmen, die dort ausgezeichnet wurden.
„Meinen Hass bekommt ihr nicht“: Milberg hält Laudatio auf Kilian Riedhof
Welcher Film hat Sie besonders fasziniert und warum?
Mir wurde die Ehre zuteil, Kilian Riedhof einen Preis zu überreichen und eine kleine Laudatio auf ihn zu halten. Er ist derjenige, der „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ gedreht hat – ein außergewöhnlich wichtiger Film, den man auf Amazon Prime Video abrufen kann. Es geht um die Nacht in Paris im November 2015, in der im Club Bataclan über 100 Personen ermordet worden sind. Ein Radiojournalist namens Antoine Leiris verliert dabei seine junge Frau, die Mutter ihres gemeinsamen zweijährigen Kindes. Einige Tage später, noch in der Nacht, in der er ihren Körper identifizieren muss, postet er „Meinen Hass bekommt ihr nicht“.
Zurück zum Kieler „Tatort“: Wie soll es mit der erfolgreichen „Borowski und …“-Reihe weitergehen, wenn Borowski bald nicht mehr dabei sein wird?
Das weiß ich nicht, da müssten Sie tatsächlich die Redaktion befragen. Klar ist, dass wir noch zwei Filme drehen werden – einen im Herbst und einen im Februar 2024. Danach ist für mich Schluss. 2025 wird der letzte mit mir gedrehte „Tatort“ ausgestrahlt.
Begeistert von den Erfahrungen in Wacken
Der Film „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ wurde bereits abgedreht. Welche Eindrücke haben Sie vom bekanntesten Metal-Festival mitgenommen?
Es hat echt großen Spaß gemacht, in Wacken zu drehen. Ich hatte zunächst meine Bedenken, weil Corona damals noch voll im Gange war. Die rund 80.000 brüllenden Heavy-Metal-Fans bereiteten mir da schon etwas Sorge. Es sollte aber alles ganz anders kommen. Ich dachte, dass wir maximal 20 bis 30 Minuten drehen und dann bin ich wieder weg. Am Ende wollte ich unbedingt bleiben. Die vielen Musikfans um uns herum waren extrem freundlich und entspannt. Ständig rief jemand „Hey, Borowski!“. Solange sie „Borowski“ riefen, während die Kamera lief, war für den Dreh alles okay. Wenn sie „Axel“ riefen, konnten wir das Material allerdings nicht verwenden. Jedenfalls war ich wie ein Fisch im Wasser. Von wegen scheu! (lacht). Es war einfach fantastisch.
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