- Vor 25 Jahren trennte sich die Boygroup Take That und hinterließ verzweifelte Fans. Vor allem junge Mädchen waren völlig schockiert und riefen bei Seelsorge-Hotlines an.
- Boygroups sind nach einem bestimmten Schema gecastet, um eine besonders enge Bindung zu ihren Fans aufzubauen.
- Der Psychologe Dr. Martin Huppert erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, warum das so ist und wieso sich das Phänomen in den letzten Jahren aus Europa nach Asien verlagert hat.
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An einem kalten und grauen Dienstag im Frühjahr 1996 verbreitete sich eine Nachricht, die Millionen junger Menschen weltweit schockierte. Die englische Boygroup Take That hatte während einer Pressekonferenz ihre Trennung bekanntgegeben. Am 13. Februar jährt sich dieser Tag zum 25. Mal. Die Bilder der weinenden und völlig verzweifelten Fans sind auch nach so vielen Jahren unvergessen.
In den Redaktionen von MTV, Viva und Bravo liefen die Telefone heiß. Vor allem die weiblichen Fans waren völlig außer sich, einige äußerten sogar Selbstmordgedanken. Zusätzliche Seelsorge-Hotlines wurden eingerichtet, die sich um die Take That-Fans kümmerten, die plötzlich einen großen Teil ihres Lebensinhaltes verloren hatten. „Die Fans von Boygroups sind meistens in der Pubertät, einem vulnerablen Alter. Deshalb ist der Schmerz noch tiefer, weil es vielleicht das erste Mal ist, dass man einen solchen Verlust erlebt“, erklärt der Psychologe Martin Huppert im Gespräch mit unserer Redaktion.
Es gibt wohl kaum ein anderes kulturelles Phänomen, das derart leidenschaftliche, fanatische Fans hervorgebracht hat wie Boygroups. Was zum einen am jungen Alter der überwiegend weiblichen Fans liegt, aber auch daran, dass Boygroups nach einem Konzept zusammengestellt werden, das bewusst auf eine enge Bindung an die Band ausgerichtet ist. „Die Zusammensetzung ist so, dass möglichst viele Identifikationsfiguren da sind. Der Lustige, der Draufgängerische, der Schönling. Das zielt darauf ab, dass die jungen Mädchen aus der Ferne für ihren Lieblingsstar innerhalb der Boygroup schwärmen können“, sagt Huppert.
Über das Privatleben von Boygroups ist oft wenig bekannt
Die Bands sind in der Regel gecastet. Darüber hinaus gibt es weitere typische Boygroup-Merkmale: Die Bandmitglieder spielen meistens keine Instrumente, sondern singen und tanzen stattdessen zu oft aufwendigen Choreographien. Außerdem dürfen die Musiker – zumindest in der Außendarstellung – keine Freundinnen haben und auch nicht homosexuell sein, um als potenzielle Partner für ihre weiblichen Fans verfügbar zu sein. „Die Boygroups waren sehr steril, sehr perfekt, man hat sehr wenig aus ihrem normalen Leben mitbekommen, sodass sie zu mythischen Figuren wurden, die man anhimmeln konnte, aber so im normalen Alltag natürlich nicht findet“, erklärt Huppert, der ein Buch über die Beziehung von Stars und Fans in der Popmusik geschrieben hat.
Die Idee, eine Band mit jungen, attraktiven Männern zusammenzustellen, entstand bereits in den 60ern, die Pop-Rock-Band The Monkees wurde für eine US-Fernsehserie gecastet. Eine der ersten klassischen Boygroups waren dann die New Kids on the Block in den 80ern, die zur Blaupause für Bands wie Take That, Backstreet Boys, NSYNC oder Caught in the Act wurden. Diese Gruppen verschafften der Musikindustrie in den 90ern gigantische Umsätze und ließen junge Mädchen träumen.
Die Zeit der Boygroups in Europa scheint vorbei – zumindest vorübergehend
In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Erfolg von Boygroups in Europa und Nordamerika aber deutlich nachgelassen. „Jedes Thema der Popmusik fällt in eine bestimmte Zeit. Wenn man auf die 90er zurückblickt, war das eine politisch relativ unbeschwerte Zeit. Der Osten war zusammengebrochen, die Bedrohung durch Terrorismus gab es so noch nicht. Es war ein richtiges Party-Jahrzehnt. Da passten die Boygroups mit ihrer Verkörperung der Unbekümmertheit und Unbeschwertheit gut rein“, erklärt Huppert.
„Nach der Jahrtausendwende und dem 11. September ist alles ein wenig düsterer geworden. Das heißt aber nicht, dass nicht noch einmal etwas Ähnliches passieren könnte, wenn die Wirtschaft in der Post-Corona-Zeit durchstartet und die Goldenen Zwanziger kommen. Die Pop-Kultur funktioniert immer in Zyklen, in Südostasien haben wir schon seit Jahren wieder ein Boygroup-Phänomen“, führt der Popmusik-Experte weiter aus.
BTS ist derzeit die erfolgreichste Boyband
Tatsächlich ist es vor allem der südkoreanische K-Pop, der derzeit das Genre der Boygroups bespielt. Und hier ist zuallererst die Band BTS zu nennen, die eine weltweite Fangemeinde hat und mit ihren Konzerten die größten Stadien füllt. BTS ist eine klassische Boygroup, mit sieben jungen Musikern, die singen, rappen, tanzen und ihr Privatleben vor den Fans abschirmen.
Martin Huppert hat eine Theorie dafür, weshalb erfolgreiche Boygroups derzeit vor allem aus Asien kommen. „Ich denke, dass es für europäische Fans dieser Gruppen eine Art Eskapismus ist. In den 90ern war die Jugendkultur noch stark an den USA und England orientiert. Die kulturellen Leitplanken haben sich ein wenig verschoben, was vielleicht auch ein bisschen mit Videospielen, Animes oder Mangas zu tun hat. Das ist eine steile These, aber vielleicht gäbe es ohne Computerspiele kein K-Pop-Phänomen“, erklärt der Psychologe.
Take That sind immer noch erfolgreich
Ganz verschwunden sind die Boygroups aber auch in Europa nicht. Die britische Band One Direction feierte im vergangenen Jahrzehnt einige Erfolge. Und dann ist da natürlich auch noch Take That. Schon 2005 fanden Gary Barlow, Howard Donald, Jason Orange und Mark Owen wieder zusammen, ab und zu gibt sich sogar Megastar Robbie Williams die Ehre und tritt wieder mit den alten Kollegen auf. Gerade erst deutete Barlow in einem Interview an, dass die Band bald wieder in Originalbesetzung zusammenarbeiten könnte. Das letzte Album „Wonderland“ erschien 2017 und wurde wie die anschließende Tour zu einem riesigen Erfolg.
Die Bandmitglieder sind mittlerweile um die 50 und schon etwas angegraut. Auch ihre Fans, für die am 13. Februar 1996 eine Welt zusammenbrach, sind längst erwachsen. Trotzdem halten sie Take That die Treue, die Begeisterung ist immer noch da. Das Phänomen Boygroup funktioniert also auch im fortgeschrittenen Alter.
Verwendete Quellen:
- Mirror: „Gary Barlow says Take That will reunite – with all five original members“
Zweimal Platz-eins-Album: Katja Krasavice bricht Rekord
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