Die Drehorgel sucht ein junges Publikum

Seit Beginn des 18. Jahrhunderts sind Drehorgeln in den Ländern Europas als Instrument der Gaukler, Straßen- und Bänkelsänger in Gebrauch. Aus dem Stadtbild sind sie heute jedoch längst verschwunden. Auf Märkten und Events ertönt aber noch hie und da das Werkel, wie das Instrument in Österreich genannt wird. Enthusiasten wie Thomas Brey möchten das Drehorgelspiel einem neuen Publikum näher bringen. Der Deutsche hat sich in Österreich ein solches Instrument bauen lassen.

In Wolfsgraben in Niederösterreich hat Drehorgelbauer Christian Wittmann seine Werkstatt – als letzter seiner Zunft in Österreich. Traditionelle Betriebe in Deutschland stellten zuletzt die Herstellung von Drehorgeln ein, zu dünn war die Auftragslage. Darüber kann Wittmann nicht klagen: „Die Nachfrage ist schon da“, sagt der 44-Jährige. „Natürlich baue ich nicht so viele Instrumente, weil ich ein Ein-Personen-Unternehmen bin – bis zu maximal zehn Drehorgeln pro Jahr. Reparaturen und Restaurierungen mache ich noch dazu.“

Inzwischen ist Brey in der ländlichen Gegend vorgefahren, der große Wagen mit einer eigens konstruierten Verladevorrichtung bestückt. „Mein persönliches Ziel ist es, dieses schönes Instrument weiter bekannt zu machen und auch wieder in die Konzertsäle zu bringen“, so der 70-jährige Spätberufene. Das neue Vorzeigestück soll dabei helfen. Als Wittman die Schutzhülle entfernt und das Prachtstück enthüllt, ist Brey die Freude ins Gesicht geschrieben.

„Nach den Weltkriegen zogen vor allem Kriegsversehrte mit Drehorgeln durch die Städte und haben sich so ein paar Groschen verdient“, erzählt Brey. „Daher kommt der Ausdruck Leierkasten, denn das waren primitive, einfache Geräte, die haben immer die selben Sachen geleiert.“ Mit dem Aufkommen von Radio und Schallplatte war das passé, in den 60er- und 70er-Jahren fing eine Renaissance an, doch die Szene sei mittlerweile überaltert: „Als ich in einen Drehorgelverein eingetreten bin, hat man mir gesagt, ich sei der Nachwuchs.“

Das liege auch daran, dass nicht die adäquate Musik gespielt wird, meint der ehemalige Journalist. „Viele haben sich auf die alten Walzer, Märsche, Schunkel- und Stimmungslieder konzentriert.“ Der österreichische Drehorgelspieler Thomas Blaschke nickt: „Die ‚Berliner Luft‘ etwa ist eine sehr gängige Melodie.“ Damit könne man jüngere Menschen nicht hinter dem Ofen hervorholen, argumentiert Brey. „Also muss neuere Musik her!“ An sich kein Problem: Beim Test der für den Deutschen angefertigten Drehorgel lässt Wittmann „Bohemian Rhapsody“ (Queen) erklingen.

Das Interesse wurde beim pensionierten Eisenbahner Blaschke vor 30 Jahren bei einem Besuch des Böhmischen Praters in Wien geweckt: „Da waren Drehorgelspieler, das hat mir gefallen.“ Damals sei ihm die Anschaffung zu teuer gewesen. Bei einer Feier vor zwölf Jahren sorgte Wittmann jedoch für musikalische Untermalung auf der Drehorgel. „Ich habe mir gleich eine bestellt“, lächelte Blaschke. „Seit 2012 spiele ich aktiv auf Märkten. In unserer Ortschaft Pitten ist alle zwei Wochen Markt, da spiele ich am Samstagvormittag. Außerdem am Bauernmarkt in Reichenau an der Rax – und ich fahre auf Festivals.“

Brey hat auch diverse Aktivitäten geplant, u.a. die Organisation eines großes Drehorgelfestes Ende September in Norddeutschland. Neben Konzerten in Kirchen soll es dort ein Pop-, Rock, Jazz-Konzert geben – „in der Hoffnung, ein jüngeres Publikum anzusprechen und in die Medien zu kommen.“ Noch ein Ziel hat er sich gesetzt: „Die großen Kirchenorgelfestivals hatten früher einen Annex mit Drehorgel. Weil die nur diese Leierdinger gespielt haben, wurden sie aber ausgeschlossen.“ Das wolle er nun ändern.

In den Bau einer Orgel stecken je nach Größe 300 bis 400 Arbeitsstunden, erläutert Wittmann. „Bei dieser Orgel ist von der Bestellung bis zur Abholung ungefähr ein Jahr vergangen“, sagt er mit Blick auf Breys Erwerbung. „Eine Drehorgel kann man nicht von der Stange kaufen, nur auf Bestellung. Man kann sich die Holzart aussuchen, das Steuersystem, welche Register und auch Sonderwünsche.“ So verlangte ein Kunde etwa die Integration von Holzfiguren neben den Orgelpfeifen.

Die Musik ertönt beim Drehen einer Kurbel. Vereinfacht erklärt: Über einen Blasebalg wird Luft auf gelochte Notenbänder gelenkt. Die Löcher bestimmen die Töne. Mittlerweile kann auch Elektronik die Funktion der Notenbänder übernehmen. Das sorgt für Auffassungsunterschiede. „In Berlin sind bei den Festivals keine Drehorgeln mit elektronscher Steuerung erlaubt“, berichtet Blaschke. „Sie sagen, Bänder, Faltkartons, Lochplatten oder Walzen sind Tradition. Ich bau dann einfach die Elektronik aus.“

Reich wird man beim Kurbeln nicht. „So um die 20 Euro“ nimmt Blaschke auf den Märkten ein, „bei Festivals manchmal auch 100“. Die Beträge dienen zum Abdecken der Spesen oder werden gespendet. Für eine neue Drehorgel muss man einige Tausend Euro hinlegen. „Meine Frau schimpft ja“, scherzte Brey, „dass ich nur ja keine Hypotheke aufnehme.“ Und klein ist so ein Werkel auch nicht: „Ich hab‘ bei mir im Schlafzimmer genug Platz dafür“, sagt der Neo-Besitzer.

(APA)

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