Zwischen Corona, Ukraine und Bedeutungslosigkeit: Die Fashion Week Berlin

Ja, es stimmt. Die Fashion Week in Berlin gilt im internationalen Vergleich nicht unbedingt als die relevanteste. Paris, natürlich, die Stadt von Coco Chanel, gilt als die Wiege der Mode.

Eine KolumnevonMarie von den Benken

Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

Dort geben sich während der Pariser Modewoche die Défilés von Balenciaga, Louis Vuitton, Stella McCartney, Off-White, Christian Dior, Saint Laurent, Balmain, Dries van Noeten, Valentino oder Givenchy die Laufsteg-Klinke in die Hand.

Klangvollere Namen, zweifelsfrei, als das Line-Up in Berlin aufweisen kann. Auch die Fashion Weeks in London, Mailand und New York schicken glanzvollere Namen auf die Runways ihrer Städte. Dennoch ist der Standort Berlin ein fester Bestandteil der Modewelt und weniger abgeschlagen, als es das Fehlen der ganz großen Couture-Häuser womöglich suggerieren könnte.

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Wären immer nur ausschließlich die größten Namen der Welt relevant, dürfte man ja auch nie wieder Serien oder Kinofilme in Deutschland drehen, denn an Hollywood-Blockbuster reichen die heimischen Produktionen nicht heran.

Heino Ferch und Veronica Ferres sind keine George Clooneys oder Meryl Streeps. Man muss sein Licht aber nicht unter den berühmten Scheffel stellen. In Paris laufen Kaia Gerber, Gigi Hadid und Kendall Jenner – in Berlin dafür Kim Riekenberg oder Antonia Wesseloh. Da schmilzt das Relevanzdelta eigentlich auf die Menge der Instagram-Follower.

Klassentreffen in Berlin

Dafür, dass nach zwei Jahren und vier Saisons Corona auch die deutsche Fashionbranche nicht die einfachste Phase ihrer Geschichte hinter sich hat, war die Berliner Fashion Week keinesfalls nur ein zu belächelndes Treffen der von Paris, New York und Mailand verschmähten Designer von der Mode-Resterampe.

Bedenkt man, dass die deutsche Fashion Week dazu auch noch frisch aus einem weitestgehend unsinnigen Hin und Her zwischen Frankfurt und Berlin kommt, viele Labels aufgrund der unsicheren Corona-Situation noch nicht wieder in den Modezirkus eingreifen wollten, dass der VIP-Magnet AboutYou dieses Jahr nach Mailand ausweichen wird und dann auch noch Christiane Arp überraschend ihren Job als Chefredakteurin der deutschen „Vogue“ abgab, ist Berlin eine vorzeigbare Modewoche geglückt. Arp war stets eine glühende Förderin des Modestandorts Deutschland und insbesondere Berlins. Sie wird fehlen.

Für mich persönlich ist die Hektik zwischen Kraftwerk, Hotel Adlon, den Off-Locations, Shows, Fittings, Stylings und den Gala-Dinners stets anstrengend, aber auch wie ein Klassentreffen liebgewonnener Begleiter aus den letzten Jahren.

Wenn man das Glück hat, die Fashion Week mit so außergewöhnlichen Menschen wie Kim Hnizdo oder Mia Florentine Weiss bestreiten zu dürfen, gerät die terminüberladene, ruhelose Rasanz zu einem beinahe familiären Walk in the Clouds.

Kim As You Are

Klar, auch diese Saison spült die Fashion Week wieder viele selbsternannte Modeblogger in die In-Cafés der Hauptstadt, wo sie Macha Latte trinken, Instagram-Selfies posten und hoffen, sich am Abend auf irgendeine Aftershow-Party quatschen zu können.

In ihren Social Media Bios steht „Fashion“, weil sie sich hin und wieder exaltierte Schuhe kaufen, die kein Mensch ernsthaft länger als drei Minuten tragen kann, ohne sich beide Beine zu brechen, und sich damit fotografieren lassen.

Im Grill Royal sitzt Michael Michalsky und hält Hof. Er hat es aber auch entspannt diese Saison, denn traditionell tritt er mit seiner „Michalsky Style Night“ nur im Sommer an. Im Pendant Borchardt flaniert die Haute-Volée der Mode- und Promiszene durch den „Private Place“ des weiblichen PR-Duos Hell/Karrer.

Starfotografen, vegane Schnitzel und Glücksspiel-Entertainment zur Ablenkung vom Fashion Week Sturm, der draußen tobt. Und zur Überraschung einiger auf Plagiate spezialisierter PR-Agenturen aus Düsseldorf sind sogar Männer anwesend. Diese Fashion Week ist in ihrer Wildheit wirklich kaum noch in Worte zu fassen.

Abseits dieser rührenden, lieb gewonnenen Folklore um eine Branche, die oft viel weniger glamourös ist, als sie vielen von außen vorkommen mag, beschäftigt sie die Szene diesen März zwangsläufig auch mit der Frage: Wie reagieren wir auf den Krieg in der Ukraine?

Kim Hnizdo, Klassenbeste im Jahrgang 2016 an der Heidi Klums TV-Modelakademie „Germany´s Next Topmodel“, trägt beispielsweise ein offenes Sakko – und darunter: nichts. Nada. Pure Skin. Nackte Haut. Verschönert lediglich durch ein Peace-Zeichen, das sie sich zwischen ihre Brüste gezeichnet hat.

Sex sells sagt der Volksmund. Und ja, vielleicht schauen ihr an diesem Abend noch mehr Männer nicht in die Augen als ohnehin. Neben Kims wunderschönen Busen bleibt darüber hinaus jedoch jedem, der seinen Blick nicht von ihrem Dekolleté abwenden kann, vor allem die Botschaft „Frieden“ im Gedächtnis.

Da bekommt auch der Ausdruck (Achtung!) Haut-Couture eine ganz neue Bedeutung. Wäre man also nicht sowieso schon lange schwer in Kim verliebt, würde sich dieses Gefühl spätestens nach dieser Fashion Week einstellen. Hier bitte ein Herz-Smiley denken.

Balenciaga-Show setzt ein Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine

Kilian Kerner bringt Charity Hoodie auf den Laufsteg

Aber auch auf den Laufstegen ihrer offiziellen Kollektions-Präsentationen zeigen Designer und Models (die ukrainische) Flagge. Bei Kilian Kerner Show endet die Show mit einem Final-Walk aller Models und seines gesamten Teams in schwarzen „Peace“ Hoodies, während von der großen Leinwand im Hintergrund zahlreiche Prominente (und dann noch ich) die Message „Stop the War!“ in die Welt tragen.

Besagte „Peace“-Hoodies kann man inzwischen übrigens als Charity-Aktion für die Ukraine im Shop von Kilian Kerner erwerben. Alle Gewinne werden bis auf den letzten Cent gespendet. Bravo, Kilian!

Bei Marc Cain endet der Abend mit einem weiteren Gänsehaut-Moment. Sämtliche Models stehen mit erhobenen Händen auf der Bühne des Wintergarten Varietés. Auf ihren Handflächen prangt das Peace-Zeichen. Marc Cain präsentiert auch diese Saison wieder die wohl aufwändigste Show der Modewoche in einer ungewöhnlichen Location. Ich habe ihre Shows bereits in U-Bahn-Stationen erlebt und auch dieses Mal tummeln sich bei Marc Cain die meisten Promis, die meisten international relevanten Models und die meisten Paparazzi.

Das Mode-Unternehmen aus der Fashion-Metropole Bodelshausen hatte bereits im Vorfeld spontan 200.000 Euro für die Ukraine gespendet und angekündigt, jeden am Showabend aus dem Publikum gespendeten Euro nochmals zu verdoppeln.

Kurz hatte ich überlegt, ob ich Ashton Kutcher und Mila Kunis möglicherweise überreden könnte, mir ihre bislang etwa 35 Millionen gesammelten Spenden-Euros zu übergeben, damit ich sie bei Marc Cain einreichen und die Summe auf 70 Millionen schrauben kann. Aber leider antwortet Ashton ja nicht mehr auf meine WhatsApp, seit ich ihn mal den Frank Thelen Hollywoods genannt habe.

Nach der Fashion Week ist vor der Fashion Week

Save the Best for Last heißt es im Amerikanischen – und was die Message an die Welt betrifft, die die Berliner Fashion Week Richtung Wladimir Putin richtet, hätte die letzte Show des offiziellen Programms kaum eindrucksvoller ausfallen können.

Der Designer Jean Gritsfeldt lebt in der Ukraine. Auch er wurde mitten in den Vorbereitungen auf die Fashion Week vom kriegsverbrecherischen Angriff Putins auf sein Land überrascht. Er konnte nicht wie geplant nach Berlin reisen. Auch seine gesamte Kollektion ist in Kiew.

Mit einer eindringlichen Rede wendet er sich per Videobotschaft an das Auditorium in der Hauptstadt. Anschließend laufen morbid geschminkte Models mit künstlichen Wunden und Kriegsverletzungen über den Laufsteg und tragen die Jean Gritsfeldt Kollektion, die alle anderen Designer dieser Fashion Week in einer Nacht und Nebelaktion nach den Originalvorlagen neu geschneidert haben.

Ein gleichzeitig beklemmendes wie auch bemerkenswertes Statement des Zusammenhalts und der Liebe für den Frieden. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob es sich im Angesicht echter Toter auf den Straßen der Ukraine ziemt, Models im sicheren Berlin mit künstlichen Verletzungen auf eine Modenschau zu schicken. Ich gebe zu, auch ich habe einen kurzen Moment gebraucht, um mich zu entscheiden. Aber am Ende zählt doch die Message, oder?

Ich persönlich habe die meisten und vor allem erschütterndsten Informationen über die Gräueltaten der Kriege unserer Historie vor allem durch zahlreiche Filme erhalten, die ich über die Jahre gesehen habe. Wer mal „Die Frau des Zoodirektors“, „Schindlers Liste“, „Die Unsichtbaren“, „Apocalypse Now“ oder „Platoon“ gesehen hat, wird Krieg nie wieder unterschätzen.

Und auch da sind die Bilder, Wunden und Verletzungen nur Makeup. Film ist Kunst, Mode ist Kunst. Es ist die Aufgabe von Kunst, die Menschen aufzuwühlen. Zu informieren. Zu berühren. Filme erreichen Millionen von Menschen, Mode ebenfalls.

Mode setzt seit Jahrzehnten Jahr für Jahr viele Trends. Warum sollte neben der Herbstfarbe der Saison und der Frage, ob man diesen Frühling wieder Mäntel in gedeckten Farben oder doch eher pastellig trägt, nicht auch mal der Trend zu mehr Menschlichkeit gesetzt werden?

Ich finde nicht, dass man dieses Ansinnen irgendwie verurteilen sollte. Insofern hoffe ich, dass wir uns hier im Sommer zur nächsten Fashion Week wieder lesen. Und dass die Menschen in der Ukraine bis dahin diesen ungerechten und wahnsinnigen Krieg überstanden haben.

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