Wie ein russischer TV-Sender Putin Paroli bietet

Ein Bürokomplex im Herzen Berlins bildet die Zentrale. Von hier aus sendet Ost West TV russische Nachrichten in die Welt. t-online hat mit der Kamera einen Blick hinter die Kulissen geworfen – und ein kleines Team mit großen Ambitionen angetroffen.

Plötzlich brandet Applaus auf in der Berliner Redaktion von Ost West TV. Ein Kollege betritt den kleinen, etwa 20 Quadratmeter großen Raum und wirkt irritiert. „Ist Putin tot?“, fragt er in die Runde. Gelächter und Stimmengewirr mischen sich. Ein junger Redakteur erklärt: „Unser russischer Reporter aus Istanbul hat endlich ein deutsches Visum erhalten. Deshalb haben wir gejubelt.“ Die Frage nach Putin war also nur ein Witz – oder eine stille Hoffnung, geäußert in einem Moment der Euphorie.

Zu der hatten die hier Versammelten allen Grund. Denn der erwähnte Reporter musste Russland verlassen und hing seit mehreren Wochen in der Türkei fest. Nun kann er endlich nach Deutschland einreisen. Die Freude in der Redaktion ist groß – so groß, dass Chefredakteurin Maria Makeeva kurz feuchte Augen bekommt.  

Die Chefredakteurin ist keine Unbekannte

Ursprünglich ist die kleine Redaktion angetreten, um deutsche Nachrichten auf russisch für russischsprachige Menschen in Deutschland zu machen. Doch seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine hat sich einiges verändert. Nun versucht die Redaktion Putins Propagandaapparat Paroli zu bieten.

Konstantin Hackethal: „Im Krieg leidet zuerst die Wahrheit.“ (Quelle: Nils Kögler/t-online)

Ost West TV ging erstmals 1996 auf Sendung, brachte Programme und Dokumentationen zunächst nur über Berlin, später dann über ganz Deutschland. Mit der neuen Chefredakteurin Maria Makeeva, die 2017 zu dem Sender stieß und vorher beim oppositionellen russischen Sender Dozhd arbeitete und vor Kurzem sogar den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj interviewen durfte, hat sich einiges verändert. Mittlerweile hat der Sender auch Nachrichten in sein Programm aufgenommen.

„Wir sind ein kleines Team“

Empfangen werden kann Ost West TV in Deutschland über ein Kabel-TV-Paket zusammen mit anderen russischen Sendern. Auch in der Ukraine und den baltischen Staaten ist der Sender empfangbar. Zusätzlich stellen sie ihre Shows auf den sozialen Medien wie Facebook und YouTube zur Verfügung. Finanziell lebt der private Sender hauptsächlich von seinen Abonnenten – zurzeit sind es drei Millionen. Große Sprünge sind trotzdem nicht drin. „Wir sind ein kleines Team und haben nicht wahnsinnig große Kapazitäten“, verrät Moderator Konstantin Hackethal. Knapp 15 Leute gehören zum Kernteam des Senders, hinzu kommen weitere freie Mitarbeiter.

Redakteure von Ost West TV: In ihrer Redaktionskonferenz diskutieren sie die Themen für die Nachrichtensendung am Abend. (Quelle: Nils Kögler/t-online)

Dabei sind es längst nicht nur Russen, die an dem Projekt mitarbeiten. „Die Leute haben einen komplett unterschiedlichen, kunterbunten Hintergrund“, sagt Hackethal. „Sie kommen aus Kasachstan, Russland oder der Ukraine. Wir alle sind hier vereint“, so Hackethal. „Wir unterscheiden uns nicht nach Nationalität. Die Gesinnung ist wichtig – das ist, was uns vereint.“ Und diese Gesinnung richtet sich gegen Putins Propaganda. „Wir wünschen uns, dass das Leben in osteuropäischen Ländern frei ist – dass die Menschen nicht unterdrückt werden, dass kein Krieg herrscht. Diese Werte, die wir selbst hier in Deutschland und Europa erleben, wollen wir schätzen und darüber berichten“, erklärt Hackethal.

Konstantin Hackethal selbst kommt aus Russland. Er ist in Norilsk, einer Großstadt im Norden des Landes geboren. In Moskau studierte er Sprachwissenschaften. Im Rahmen seines Studiums verschlug es ihn auch erstmals nach Deutschland – ein Austauschprogramm führte ihn nach Magdeburg. 2008 war es schließlich die Liebe, die ihn endgültig nach Deutschland umsiedeln ließ. Seitdem lebt er in Berlin.

Konstantin Hackethal: Per Zufall in die Medienbranche

Zum Journalismus ist er nur zufällig gekommen. „Ein Freundin von mir, die hier gearbeitet hat, hat mich gefragt, ob ich mich nicht mal vor der Kamera probieren will“, erinnert er sich. Aus purer Neugier sei er dem Vorschlag gefolgt. „Dann hat alles toll funktioniert und ich habe so viel Spaß gehabt, dass ich hiergeblieben bin und nun schon seit drei Jahren hier arbeite“, so Hackethal weiter. Zweimal in der Woche, immer montags und mittwochs, moderiert er nun die Hauptnachrichten des Senders um 19 Uhr.

So auch an diesem Mittwoch, an dem sich die Redakteure in dem kleinen Büro, das sich Moderator und Chefredakteurin teilen, versammelt haben, um die Sendung zu planen. Hackethal verbringt den Großteil der Konferenz an seinem Schreibtisch am Fenster und tippt konzentriert das Skript für die Sendung herunter. Bereits vor der Konferenz hat er zehn Seiten geschrieben. Nun überarbeitet und ergänzt er.

Chefredakteurin Maleeva sitzt an ihrem Schreibtisch in der anderen Ecke. Sie ist eine kleine Frau – kaum 1,60 Meter groß – und droht fast in ihrem Stuhl zu versinken. Doch fraglos ist sie die Chefin. Sie leitet die Konferenz, tauscht sich mit den anderen Redakteurinnen und Redakteuren aus. Sie diskutiert mögliche Themen mit ihnen und obwohl die Konferenz komplett auf Russisch stattfindet, wird deutlich: Es herrscht nicht immer Einigkeit. Einer der Redakteure möchte in der kommenden Woche nach Dresden reisen. Dort soll eine Friedensdemonstration stattfinden, bei der ukrainische Flüchtlinge und Befürworter des russischen Krieges aufeinandertreffen könnten. Doch Maleeva spricht ein Machtwort: Zu wenig Kapazitäten, andere Themen sind wichtiger.

Maria Makeeva an ihrem Schreibtisch: Die Chefredakteurin von Ost West TV hat bereits in Russland für einen oppositionellen Sender gearbeitet. (Quelle: Nils Kögler/t-online)

Ihren kremlkritischen Kurs aus Russland setzt sie bei Ost West TV fort – und das nicht erst seit Kriegsausbruch. In der deutsch-russischen Community habe das nicht immer nur für Lob gesorgt, erklärt Hackethal. „Es gibt Unterstützung und Hass“, sagt er. Doch darauf dürfe man nicht so genau achten. „Das darf deine Arbeit nicht stören“, so der 46-jährige Moderator.

Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine hat sich für den Sender und seine Mitarbeiter dennoch einiges verändert. Die Redaktion sitzt in einem unscheinbaren Bürogebäude in Berlin-Charlottenburg. Die Räume sind spärlich eingerichtet. Ein alter blauer Teppich, kleine Schreibtische, hier und da ein Bücherregal. Nur der Besitzer des Senders, der kaum anwesend ist, hat ein eigenes Büro mit einem prunkvolleren Schreibtisch aus dunklem Holz. Doch seit Wochen gehen verschiedene Medienvertreter in der Redaktion ein und aus. Auf einmal interessieren sich alle für die Arbeit des kleinen Senders. So recht darüber freuen will sich Hackethal aber nicht. Der Anlass sei zu traurig.

„Die schrecklichen Bilder bleiben im Kopf“

Auch die Arbeit der Redaktion hat sich durch den Krieg gewandelt. Der Stress hat sich erhöht und die psychische Belastung schlägt auf das Gemüt der Mitarbeiter. Schon seit Wochen kommt regelmäßig eine Psychotherapeutin in die Redaktion, um mit den Journalisten zu sprechen. „Die schrecklichen Bilder, die wir täglich sehen, bleiben im Kopf und abends vor dem Schlafengehen fängt der Kopf an zu arbeiten“, erzählt Hackethal.

Einige der Mitarbeiter haben Freunde und Verwandte in der Ukraine. Auch Hackethal selbst kennt Kollegen in Kiew. „Es ist alles furchtbar. Wenn du mit Freunden schreibst, die jetzt irgendwo in Kiew im Keller sitzen, ist das kein schönes Gefühl“, sagt er. Trotzdem arbeiten die Journalisten weiter. „Da müssen wir irgendwie durch, aber psychisch sind wir belastet“, so Hackethal.

Konstantin Hackethal: „Es ist sehr schwer, aber du kannst vor der Kamera deine Emotionen nicht zeigen.“ (Quelle: Nils Kögler/t-online)

Auch wenn es schwerfällt: Selbst die dramatischen Bilder vom Massaker in Butscha oder dem Raketenangriff auf den Bahnhof in Kramatorsk seien kein Grund, den Moderationsstil anzupassen. „Es ist sehr schwer, aber du kannst vor der Kamera deine Emotionen nicht zeigen“, so der Moderator. Als Journalist möchte er trotzdem weiter die nötige Distanz wahren. „Im Krieg leidet zuerst die Wahrheit“, sagt er. „Man muss kühlen Kopf bewahren und Tatsachen statt Emotionen berichten.“

„Es funktioniert nur über Ängste und Drohungen“

Die Wahrheit leidet vor allem unter der Kremlpropaganda. Das weiß auch Hackethal. Über die Zustände in Russland sagt er: „Viele wissen nicht, was Krieg ist. Ich habe neulich ganz kurz russisches Fernsehen geguckt und das hält man nicht lange aus. Es ist Propaganda pur! Es funktioniert nur über Ängste und Drohungen. Der Tenor ist: Russland ist das schönste Land und umzingelt von Feinden, Feinden, Feinden.“

Viele Menschen in Russland seien aber auch nicht offen für die Wahrheit. „Die Menschen haben eine Art Blockade. Sie wollen die Wahrheit nicht hören, obwohl sie wissen, dass es die Wahrheit ist. Sie wollen keinen Stress. Sie wollen sich keine eigene Meinung bilden, weil es Arbeit ist. Dafür müssten sie recherchieren, lesen, analysieren und dann ist es leichter, ein fertiges Produkt des Kremls zu kaufen“, sagt er.

Und dennoch geben die Journalisten alles, um den Lügen des Kremls entgegenzutreten. „Vielleicht sieht jemand unser Programm zufällig auf Facebook oder in anderen sozialen Medien. Dann sieht er die realen Bilder und kriegt vielleicht Zweifel an der offiziellen Version der Staatsmedien“, beschreibt der Moderator die Hoffnung des Senders.

Konstantin Hackethal: Den Großteil der Konferenz verbringt der Moderator an seinem Laptop. (Quelle: Nils Kögler/t-online)

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Dass der Kampf gegen die riesige Propagandamaschine des Kremls ein Kampf gegen Windmühlen sein kann, ist dem Journalisten bewusst. „Wir sind nicht die BBC, die ARD oder das ZDF. Die Situation hat sich nur plötzlich so stark verändert. Wir haben keine Zeit für strategische Planungen. Wir machen, was wir machen und wir können die Meinung in Russland nicht komplett verändern. Dafür sind wir zu klein. Da sind wir realistisch“, erklärt Hackethal.

Das ist jedoch keine Katastrophe für den Sender. „Russland war nie unser Hauptziel. Es ist sehr schön, dass die Menschen in Russland uns geguckt haben, aber unsere Zielgruppe ist hier in Deutschland, der Ukraine und anderen europäischen Ländern“, sagt er. Hat er dennoch Hoffnung, dass sein Heimatland in absehbarer Zeit wieder ein freies Land werden könnte? „Mit den Hoffnungen ist es immer schwierig“, gibt sich Hackethal skeptisch. „Hoffnung hatte ich schon in den 1990er- und 2000er-Jahren. Es ist besser, keine Hoffnungen zu haben. Jetzt muss erst mal der Krieg beendet werden und danach schauen wir weiter“, sagt er. Bis dahin werden er und seine Kollegen weiter die Wahrheit berichten.

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