Berlin – Mitten in der Wildnis einer einsamen Insel streift ein alter Mann umher, mit seinem Gewehr im Anschlag und einer grünen Tarnung auf dem Rücken. Auf einer Wiese legt der seltsame Kauz zwei Akazienblüten ab, dazu hören wir ein altes japanisches Volkslied.
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Wir schreiben das Jahr 1974. Und Leutnant Hiroo Onoda glaubt, dass der Zweite Weltkrieg immer noch andauert, dass sein Land weiterhin gegen die Amerikaner kämpft. So beginnt das packende Drama „Onoda: 10.000 Nächte im Dschungel“, das diesen Mittwoch um 20.15 Uhr bei Arte läuft.
In zweieinhalb niemals langweiligen Stunden erzählt der 1981 in Paris geborene Regisseur Arthur Harari („Schwarzer Diamant“) die unglaubliche, aber auf Tatsachen beruhende Geschichte eines Mannes, der 30 Jahre lang auf einer tropischen Insel im Dschungel überlebt und einfach nicht wahrhaben will, dass der Krieg längst vorbei ist.
In dessen Endphase 1944 sollte der junge japanische Leutnant Onoda (Yuya Endo) eigentlich als Pilot, vielleicht sogar als Kamikazeflieger eingesetzt werden. Aber seine Höhenangst macht den Plan zunichte. Stattdessen wird Onoda von einem ehrgeizigen Major für eine Elitetruppe rekrutiert. „Dein Körper ist das Vaterland“, dieses martialische Motto impft der Vorgesetzte ihm ein, und schult Onoda in der Kunst der „geheimen Kriegsführung“.
Psychogramm eines Kämpfers
Als der Leutnant dann 1944 auf der philippinischen Insel Lubang den Widerstand gegen die Alliierten organisieren soll, ist er Krieg für die Japaner fast schon verloren. Onoda zieht sich mit drei Getreuen in die Berge zurück, um als mobile Guerilla-Einheit den Feind zu attackieren. Aber der taucht nie auf, der Krieg ist vorbei. Nur nicht im Kopf des fanatisierten Onoda.
Eindringlich entwirft dieser ungewöhnlich spannende Film, der bisweilen wie ein Kammerspiel daherkommt, das Psychogramm eines Kämpfers, der seinen ganz privaten Feldzug führt. Dabei erweist sich Onoda durchaus als fürsorglicher Vorgesetzter, der sich um das Wohlergehen seiner Leute sorgt. Aber es werden immer weniger: Nach Jahren im Dschungel bleibt ihm nur sein Stellvertreter Kozuka (Yuya Matsuura) treu. Wie zwei Robinsons vegetieren sie auf der Insel dahin, gehen nach Jahren zum ersten Mal im Meer schwimmen, kommen schließlich in den Besitz eines kleinen Radios und hören fasziniert die Berichte von der Mondlandung 1969. Die Einsamkeit der Astronauten kommt ihnen bekannt vor.
Neben diesen wunderbar intimen Momenten stehen auch immer wieder Szenen von Gewalt und Paranoia: Der ohrenbetäubend laute Dschungel, die Einsamkeit und der wochenlange Monsunregen gebären Ungeheuer, ganz ähnlich wie in Francis Ford Coppolas drogengeschwängertem Vietnam-Klassiker „Apocalypse Now“ (1979).
Auch Arthur Hiraras 2021 bei den Filmfestspielen in Cannes präsentiertes Drama zeigt auf eindringliche Weise, wie der militärische Drill das Bewusstsein der Soldaten verformt und jede humane Regung verkümmern lässt: Im Kopf ist immer Krieg. Diese eindringliche Botschaft erlangt in unserer gegenwärtigen Lage wieder eine erschreckende Aktualität. © dpa
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