Totaler Notstand im Krankenhaus: "Team Wallraff" zeigt Missstände in Kliniken

Geschlossene Stationen, abgewiesene Patienten und Pflegekräfte am Limit: Das RTL-Investigativteam um Günter Wallraff zeigt dramatische Missstände in deutschen Kliniken.

Eine KritikvonJulia Wolfer

Diese Kritik stellt die Sicht von Julia Wolfer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Spätestens seit der Corona-Pandemie ist es offenkundig: Das deutsche Gesundheitssystem ist krank. Es fehlt an Pflegekräften und Ärzten. Notfallaufnahmen sind heillos überfüllt, auf den Stationen gibt es zu wenige Betten. Das Personal ist am Limit und die Kliniken sind es auch.

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Insofern hat das Investigativ-Team um Günter Wallraff im jüngsten Teil der RTL-Reportagereihe „Team Wallraff: Reporter Undercover“ nichts Neues präsentiert. Dafür aber viele dramatische Einzelgeschichten, die den Notstand in deutschen Kliniken eindrücklich illustrieren.

Drei Kliniken hat das „Team Wallraff“ für die Reportage in Augenschein genommen. Getarnt als Pflegepraktikantinnen versuchen drei Reporterinnen herauszufinden, wie sich der Spardruck und der Fachkräftemangel auf den Klinikalltag auswirken. Wie gut wird man als Patient oder Patientin in deutschen Krankenhäusern tatsächlich behandelt?

Mutter mit krankem Kind in Notaufnahme abgewiesen

Manchmal einfach gar nicht, wie sich gleich zu Beginn der Sendung zeigt. Ein kleiner Junge leidet seit drei Wochen an Durchfall. Der Kinderarzt schickt die Mutter mit ihrem kranken Kind in die Notaufnahme, doch in der Asklepios-Kinderklinik in St. Augustin, Nordrhein-Westfalen, werden sie abgewiesen.

Den Grund erklären die Pfleger der als Pflegepraktikantin getarnten Undercover-Reporterin: Der Junge hat keine Überweisung vom Kinderarzt und müsste daher über einen sogenannten Notfall-Schein abgerechnet werden. Für einen Patienten mit Notfall-Schein erhält die Klinik 18 Euro. Allein die Entzündungswerte im Blut des Jungen zu bestimmen, würde 20 Euro kosten – für die Klinik ein Minusgeschäft.

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Gespart werden muss hier offenbar an allen Ecken und Enden. Vor allem am Personal, und damit zwangsläufig auch an der Einhaltung von grundlegenden Regeln, für die dann einfach keine Zeit bleibt.

Zwei Kinder mit Verdacht auf eine Infektion mit dem RS-Virus werden zusammen auf ein Zimmer gelegt. Ob tatsächlich beide Kinder an dem hochinfektiösen und potenziell tödlichen Erreger erkrankt sind, kann zu dieser Zeit nicht festgestellt werden – im klinikeigenen Labor arbeitet um diese Zeit längst niemand mehr.

Sollte nur eines der beiden Kinder tatsächlich an RSV erkrankt sein, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es am nächsten Morgen beide sind.

Freie Krankenhaus-Betten sind rar

Auch im „St. Vincenz“-Krankenhaus im hessischen Limburg sind die Zustände dramatisch. 28.000 Patientinnen und Patienten werden in der gemeinnützigen Einrichtung jährlich behandelt. Als eine Undercover-Reporterin ihren ersten Tag als Pflegepraktikantin auf einer Station antreten will, ist diese geschlossen – aus Personalmangel.

Die Personaldecke der Station ist so knapp kalkuliert, dass der Krankheitsausfall einer Pflegekraft den Betrieb unmöglich macht. Nach Auskunft der Angestellten keine Seltenheit: Stationen müssten immer wieder geschlossen, die Patienten auf andere Stationen verlegt werden – wenn es denn genug Betten gibt. Wenn nicht, müssen sie vorzeitig entlassen werden.

Kurz darauf erlebt die Reporterin, wie einer jungen Unfallpatientin nahe gelgt wird, die Klinik entgegen ärtzlichen Rats zu verlassen – dabei sollten Unfallpatienten zur Beobachtung 24 Stunden im Krankenhaus bleiben, denn nach Unfällen können auch später noch Komplikationen wie innere Blutungen auftreten.

Auf ihrem Entlassungsschein wird später stehen, die Klinik habe sie auf eigenen Wunsch entlassen. Jeder Patient, der nicht aufgenommen wird, ist ein Patient weniger, der ein Krankenhausbett belegt – und das ist gut, denn freie Betten sind rar.

Andere Patienten müssen hingegen mit Schmerzen tagelang in ihren Betten ausharren, weil ihre Operationen immer wieder verschoben werden. Die OP-Säle stehen zwar leer, doch es gibt zu wenige Ärzte, um alle Operationen zeitnah durchzuführen. Eine Pflegefachkraft schreibt erfundene Vitalwerte in die Patientenakten, weil die Zeit nicht ausreicht, alle 30 Minuten Puls, Blutdruck und Temperatur zu messen.

Sind ausländische Fachkräfte die Lösung?

All diese Beispiele verdeutlichen einmal mehr, wie Kostendruck und Personalnot in Kliniken die Gesundheit der Patientinnen und Patienten und der Pflegekräfte gefährdet. Dabei ist jedoch nicht nur Geld, das fehlt. Es mangelt auch an Pflegekräften, die bereit sind, unter solch widrigen Bedingungen zu arbeiten.

Schon heute fehlen in Deutschland 200.000 Pflegekräfte. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln wird die Zahl in den nächsten zwölf Jahren auf eine halbe Million steigen.

Fachkräfte aus dem Ausland verheißen die Lösung für das Problem. Die Asklepios-Klinik in Hamburg begegnet dem massiven Pflegekräftemangel in Deutschland mit Integrationsprogrammen für ausländischer Fachkräfte.

208.000 Pflegerinnen und Pfleger wurden von dem Klinikkonzern bereits aus dem Ausland rekrutiert. Was gut klingt – doch die Realität sieht anders aus, wie die Recherchen des „Team Wallraffs“ zeigen.

Als Pflegepraktikantin getarnt, schleust sich eine Undercover-Reporterin in der Ausbildungsstation des Klinikums ein. Dort arbeiten viele ausländische Pflegekräfte, die unter Anleitung examinierter Fachkräfte auf die sogenannte Anerkennungsprüfung und damit auf den Klinikalltag in Deutschland vorbereitet werden sollen. Die Reporterin beobachtet jedoch mehrfach, wie die ausländischen Fachkräfte auf sich allein gestellt und mitunter überfordert sind.

Zwar sind Deutschkenntnisse eine Voraussetzung für die Arbeit, doch diese seien häufig „nur auf dem Papier vorhanden“, wie es eine Pflegerin ausdrückt. Die Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten führen zu Situationen, die die Gesundheit der Patienten und der Pflegekräfte gefährden.

So beobachtet die Reporterin einmal, wie eine Pflegekraft das Zimmer eines hoch ansteckende Patienten ohne Schutzkleidung, Handschuhe und Maske betritt und die hochinfektiöse Abfälle nicht wie vorgeschrieben im Quarantäne-Zimmer, sondern auf der Station entsorgen will. Die getarnte Reporterin kann die Kollegin gerade noch rechtzeitig auf den fatalen Fehler hinweisen.

Ein Pfleger entdeckt ein falsch angemischtes Medikament auf dem Tablett einer Kollegin: In zu hoher Konzentration verabreicht, hätte das Medikament die Nieren des Patienten schädigen können.

Lauterbach: „Die Verhältnisse sind unhaltbar“

Alle Klinikbetreiber wurden mit den Recherchen des Investigativ-Teams vor Ausstrahlung konfrontiert. Sie bestreiten den Vorwurf, an Personal und Qualität zugunsten von Gewinnmaximierung zu sparen. Ihre Angaben zu Personalbesetzungen, Regelungen zu Bettenbelegung oder Hygienestandards entsprechen nicht den Eindrücken, die die Reporter während ihrer Zeit als Pflegepraktikantinnen sammeln mussten.

Und was sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu Szenen wie diesen? Er wolle die Missstände im deutschen Gesundheitswesen nicht kleinreden, sagt Lauterbach im Interview mit Günter Wallraff. „Die Verhältnisse sind unhaltbar.“

Das Gesundheitswesen „müsse raus aus der Kommerzialisierung“, es bedürfe dringend einer Reform. Pläne dafür hat Lauterbach bereits vorgelegt, sie sollen am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Das sei sein wichtigstes Ziel in dieser Legislaturperiode, sagt Lauterbach. Man kann nur hoffen, dass er es bald erreicht.

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