Sibel Kekilli: Die Chance im Runterfahren

Am Donnerstag war – nach nur einem Drehtag – der Film „Shutdown“ in München abgedreht. Regisseur Wolfgang Panzer hat dazu vor allem eine Zoom-Konferenz benutzt. Aber Corona hat nicht nur die Technik des Drehens beeinflusst, der Lockdown ist selbst Thema des Films. Denn Sibel Kekilli spielt darin eine erfolgreiche Eventmanagerin, die durch Corona ihren Job verliert und die Idee hat einen Öko-Lieferservice aufzuziehen. Nur dazu braucht sie ihren Ex (Kostja Ullmann). So ist in kürzester Zeit die Tragikomödie entstanden.

Sibel Kekili ist 1980 in Heilbronn geboren. 2002 wurde sie – ohne vorherige Schauspielausbildung – für den Film „Gegen die Wand“ gecastet, der dann den Goldenen Bären der Berlinale und den Europäischen Filmpreis gewann. Seidem ist sie in einem guten Dutzend Spielfilmen aufgetreten und bis 2017 beim Kieler „Tatort“ Kommissarin gewesen. Für ihr Engagement für Frauenrechte, gegen Sexismus und Rassismus bekam sie 2017 das Bundesverdienstkreuz

AZ: Frau Kekilli, wir sind in besondere Zeiten. Wie hat Corona Ihre Welt verändert?
SIBEL KEKILLI: Meine Welt ist kleiner geworden. Ich bin vergangenen März aus Brasilien zurückgekommen und seitdem nicht mehr gereist. Einerseits hat es sich nicht mehr ergeben, andererseits habe ich mich dafür auch ganz bewusst entschieden. Und so war ich überwiegend an mein Zuhause gebunden. Die sozialen Kontakte, die Umarmungen, einfach alles, was selbstverständlich gewesen war, ist nun anders.

Aber fühlt sich das jetzt besser oder schlechter an?
Das ist ganz unterschiedlich. Anfangs habe ich das richtig genossen: diese Entschleunigung, die – glaube ich – auch viele andere so empfunden haben. Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Welt mal kurz runterfahren musste, was wiederum eine Atmosphäre erzeugt hat, in der man innehalten konnte, sich vielleicht auch Gedanken gemacht hat: Was brauche ich wirklich? Was ist wichtig im Leben? Es war fast so eine philosophische Phase. Aber sowas hält natürlich nicht für immer an, je länger das Ungewisse andauert, desto unruhiger wird man. Es fällt einem schwerer, sich die Situation weiter schönzureden. Für mich bedeutet nämlich Bewegung, lebendig zu sein.

Shutdown: „Screen Only“-Film

Der Film „Shutdown“ spielt vor Laptop- und Computerbildschirmen, mit Videoanrufen und Zoom-Konferenzen. Ist so ein „Screen Only“-Film die neue Wirklichkeit?
Ich hoffe nicht. Zwar sind Castings inzwischen per Zoom, Skype oder E-Castings für uns Schauspieler zur Normalität geworden. Aber ich empfinde sie dadurch nicht besser. Es mag schneller gehen, aber ist leider auch unpersönlicher. Für meine Rolle in „Game of Thrones“ sollte ich etwa ein so genanntes E-Casting machen, also per Video. Weil mir das aber nicht ganz so zugesagt hat, fragte ich, ob auch ein Casting möglich sei und so bin ich schließlich auf eigene Kosten nach London geflogen und habe es, ganz altmodisch, vor Ort gemacht. Letzten Endes lebt ein Film, die meisten zumindest, von der Atmosphäre und dem Willen eine eigene Welt kreieren zu wollen. Das kann man nur durch enge Zusammenarbeit und eine empathische Crew herstellen. Das alles kann man mit Zoom nicht ersetzen.

Gibt einem der digitale Abstand mehr oder weniger Sicherheit bei der Arbeit?
Ich persönlich bevorzuge den persönlichen Kontakt. Aber wahrscheinlich ist das typbedingt unterschiedlich. Die einen empfinden es als sicherer, die anderen nicht.

Wobei: Bei Ihrem Dreh am Mittwoch ist das WLAN ja zusammengebrochen.
Ja, da hat man gemerkt, wie verwundbar die digitale Konstruktion ist, auf der in unserem Leben fast alles schon aufbaut. Man kennt das ja, wenn das WLAN zuhause mal komplett ausfällt, da dreht man ja beinah durch: Computer, Fernsehen, Telefon, alles weg. Dabei habe ich – und dafür werde ich oft bestaunt wie ein Alien – sogar noch einen Festnetzanschluss. Und Deutschland hinkt leider digital immer noch sehr hinterher.

Direkter Kontakt zum Regisseur ist wichtig

Der Film wurde komplett in der Situation der Videogespräche gedreht. Da hätte ja auch jeder Zuhause bleiben können und seinen Computer anschalten müssen.
Theoretisch, ja. Aber das war der Produktion und dem Regisseur Wolfgang Panzer dann doch zu heikel. Für Schauspieler ist es aber doch schon ein anderes Gefühl, wenn sie sich und das Team vorher persönlich kennenlernen und ein Wir-Gefühl entsteht. Vor allem ist es auch wichtig für uns, den direkten persönlichen Kontakt zum Regisseur zu haben, der dann eben auch mal kurz in den Raum kommen kann. Gerade wenn dann das Internet streikt, ist das auch mit der Empathie schwierig.

Im Film spielen Sie eine Frau, die auf Corona mit einem Ökolebensmittel-Lieferdienst reagiert, und dafür ihren Ex braucht. Filmschauspielerei ist nicht gerade ökologisch.
Absolut, und darüber denke ich auch zunehmend nach, wenngleich einige Produktionen ja vermehrt dabei sind, ihr ganzes Setting viel ökologischer zu gestalten. Aber natürlich ist unser Leben oft auch ein großer Widerspruch. Einerseits wollen wir Bioprodukte und faire Klamotten – was alles ja auch richtig ist, aber bitte möglich günstig. Andererseits wollen wir unsere Freiheit und Mobilität beibehalten und uns nicht einschränken, obwohl wir alle wissen, dass es unserem Planeten nicht guttut. In meinem Mikrokosmos versuche ich schon gegenzusteuern, fahre weniger Auto, esse kaum Fleisch und achte darauf, dass ich generell weniger Müll produziere.

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Haben Sie, wie viele, auch angefangen, selbst zu kochen?
Gekocht habe ich ja schon vorher, aber sicherlich habe ich die Frequenz gesteigert. Dazu habe ich mir jetzt tatsächlich eine neue Küche gegönnt. Nun versuche ich langsam die Backkünste in mir zu erkunden.

Sie selbst haben vor einigen Jahren – gerade auch für Ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen. Ist man da nicht irgendwie am Gipfel angekommen?
Die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz ist natürlich etwas ganz Besonderes. Was mich hier aber vor allem gefreut hat, dass es eine Auszeichnung für mich als Mensch und nicht als Schauspielerin gewesen ist. Für mein ehrenamtliches Engagement, das auch gesehen wird, was nicht immer selbstverständlich ist. Und so eine Ehrung bedeutet ja gleichzeitig, dass man sich nicht darauf ausruhen darf. Jeder kann etwas ändern, wir müssen noch so vieles angehen.

Einerseits hat sich die Gesellschaft stark liberalisiert, andererseits haben wir eine Partei wie die AfD in fast allen Parlamenten. Was ist da die Wahrheit?
Die Stärke der AfD ist ein brutaler Rückschritt. Gerade jetzt merken wir endlich auch hier in Deutschland, dass bei uns doch auch einiges noch sehr problematisch ist und wir uns wieder stärker wehren müssen. Aber wir sind noch viel zu bequem in unserer Selbstwahrnehmung. Die letzten Jahre haben wir unter anderem auf Amerika geschaut und gedacht: wow, was die für Probleme haben?! Aber jetzt merken wir, dass es bei uns auch ständigen, vielleicht sogar subtileren Alltagsrassismus gibt, dass #MeToo auch in Deutschland eine gewaltige Rolle spielt und tatsächlich einiges in Schieflage geraten ist, was wir dringend gemeinsam korrigieren sollten.

 

 

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