Salzburg – Das nennt man dann wohl Fallhöhe. Gerade hat der Hirtenknabe sein Liebesliedchen in die letzten, mit impressionistischen Akkordparallelen duftig hingemalten Sternenblitzer der römischen Nacht hinaus geträllert. Aber nicht etwa wie üblich aus der Ferne, sondern auf der Bühne.
„Tosca“ in Salzburg: Jonas Kaufmann in der Form seines Lebens
Cecilia Bartoli schlenderte dabei lächelnd am Orchester entlang, barfuß, die Hände keck in den Taschen einer Bocksledernen. Gewiss, da hat sich die Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele einen beinahe Hitchcock-mäßigen Miniauftritt erlaubt in dieser konzertanten Aufführung der „Tosca“, indem sie zu jener Episodenrolle zurückkehrte, die sie einst schon als Neunjährige im Opernhaus ihrer Heimatstadt Rom gesungen hat. Aber es war kein aufgesetzter, störender Gag, sondern er gelang subtil genug, um den Kontrast am Beginn des dritten Akts zu verstärken.
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Denn von diesem kollektiven Publikumsschmunzler im Großen Festspielhaus ging es partiturgetreu hinein in das dramatisch anwachsende Morgengeläut der Ewigen Stadt, das Puccini mit Akribie nachgezeichnet hat, hinein in Cavaradossis bewegenden Abschied vom Dasein – und Jonas Kaufmann war in der Form seines Lebens.
Anna Netrebko springt ein – und lässt Pulse flattern
Nach all dem Heil- oder je nach Ansicht auch Unheil-Fasten, das Opernfans in Zeiten der Pandemie auferlegt worden war, pilgerten die Ausgehungerten, die sich’s leisten können, nun nach Salzburg – und bekamen nicht erst bei dieser opulent besetzten „Tosca“ zum Finale der Pfingstfestspiele gleich Kaviar kredenzt, aber hier erst recht. Dabei hätte die Besetzung ursprünglich anders aussehen sollen, und schon mit Anja Harteros und Bryn Terfel war das im Schachbrettmuster von Geimpften, Getesteten und Genesenen hinter FFP2-Masken besetzte Haus ausverkauft gewesen.
Vor allem die Einspringerin Anna Netrebko ließ nun zusätzlich Pulse flattern. Dabei, apropos Puls, ging es Zubin Mehta um einen Tick ruhiger an als üblich. Von seiner Lesart des hitzigen Reißers, die er etliche Male vor Mikrofonen und Kameras realisierte, hat sich der 85-Jährige verabschiedet.
Zubin Mehta achtet genau auf die Stimmen
Ohne sich über Gebühr in den Lyrismen zu verlieren, wie dem späten Herbert von Karajan am selben Ort vorgeworfen wurde, liefen unter seiner Leitung die dramatischen Zuspitzungen etwas breiter ab, in gewissem Sinn auch symphonischer: Das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino folgte ihm dabei nicht immer ganz makellos, aber mit großem Klang und der Flexibilität des erfahrenen Opernorchesters.
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Der alte Hase Mehta hörte genau auf die Stimmen und hegte sie rhythmisch auch dann professionell ein, wenn sie hinter seinem Rücken an der Rampe agierten oder rund ums Dirigentenpult Hände rangen und einander feurige Blicke zuwarfen: Zusammen mit projizierten Fotos der drei Schauplätze ging das Ganze spielend als halbszenisch durch.
Netrebko gleitet mit lyrischer Anmutung über das Orchester
Gerade der Netrebko kam Mehtas leichter Zug zum Pathos entgegen. Ausgeruht, mit opulent rundem, samtenem Klang und weniger Beanspruchungs-Vibrato als zuletzt ist sie keine Tosca der jähen Temperamentsausbrüche und dramatischen Attacken. Lieber nutzt sie Expansion und Kraft ihres Soprans dazu, selbst im Fortissimo mit lyrischer Anmutung über das Orchester zu gleiten – und sie kann, etwa am Schluss von „Vissi d’arte“, die Fülle auch mühelos wieder ins Piano zurücknehmen.
Luca Salsi fehlt die Gefährlichkeit der Zwischentöne
Sein baritonal-kehliges Timbre mag Geschmacksache bleiben, aber ein Meister des Vortrags ist Jonas Kaufmann allemal, auch jenseits der üblichen dramatischen Prüfsteine und populären Arien. „La vita mi costasse“ zum Beispiel ist bei ihm keine bloße Stimmprotzerei, sondern wirklich ein selbstlos-heroischer Schwur.
Etwas enttäuschend freilich blieb der böse Dritte im Bunde: Luca Salsi (statt Terfel) fehlt für den Scarpia zwar nicht das Volumen, aber doch das Perfide, die Gefährlichkeit der Zwischentöne. Dennoch: Jubelstürme auch für ihn, so wie für alle.
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