Ein Wagen nähert sich mit gleißenden Scheinwerfern einem Haus, das solitär in einer ländlichen Gegend steht, die Architektur gläsern, das Ambiente edel. Ein Paar kommt nach Hause, es ist ein Uhr nachts. Sie kehren von einer Filmpremiere zurück, er, Malcolm, ist der Regisseur; sie, Marie, seine Freundin.
Nachdem sie angekommen sind, geht sie zunächst auf die Toilette, während er sich schon mal einen Drink einschenkt und einen Song aufdreht: James Brown ist „Down & Out in New York“.
Und Malcolm ist gut drauf, denn die Filmpremiere lief großartig, auf der Party danach wurde er gefeiert. Marie hingegen schmollt, ist kurz angebunden, passiv aggressiv. Malcolm tanzt dennoch durchs Haus, während die Kamera draußen an den Fensterrahmen, dem Glas vorbeigleitet, den Tanzenden drinnen aus dem Blick verliert, ihn wieder einfängt. Die Kamera wahrt Distanz, geht dann hautnah dran. Und auch das Paar driftet auseinander und geht immer wieder auf Tuchfühlung.
Warum ist Marie nur so wütend?
Der Grund für Maries Wut kommt bald ans Licht, unweigerlich und sehr direkt, wie das nun mal so ist in Beziehungen, in denen die glücklichen Momente entstehen, wenn beide guter Stimmung sind, und die unglücklichen, wenn die Launen völlig quer laufen. Verletzungen können keine Geheimnisse bleiben, die Gedanken müssen raus und wenn sich zwei so gut kennen wie diese beiden, muss nach den Schwachstellen des anderen nicht mehr lange gesucht werden. Jeder Schuss ist hier ein Treffer.
Die Grundidee des Films ist autobiographisch
Malcolm hat sich bei seiner Rede vor dem Publikum bei allen möglichen Leuten, nur nicht bei Marie bedankt. Darum geht es. Nach ihrer Eröffnung lässt Malcolm sich in die Defensive drängen, schlägt aber bald zurück. Dann schlägt sie zurück. So zerfleischen sich die beiden gegenseitig, während man als Zuschauer immer mehr von ihnen erfährt: von Maries Drogensucht und ihrem darunter liegenden Hang zur Selbstzerstörung; von Malcolms narzisstischem Größenwahn und seinem Drang, als Künstler beachtet zu werden, ohne dabei auf seine Hautfarbe reduziert zu werden.
Die Grundidee des Films ist dabei autobiographisch: Bei der Premiere seines zweiten Spielfilms „Assassination Nation“ (2018) vergaß Regisseur Sam Levinson, sich bei seiner Frau Ashley zu bedanken. Dabei hatte sie seinen Film, ähnlich wie nun „Malcolm & Marie“, mitproduziert. Die Anekdote hat Levinson weiter gesponnen: Malcolms Film basiert sogar auf Maries Lebensgeschichte, auf ihrer Drogenabhängigkeit, ihrem Entzug, weshalb sie ein bisschen Anerkennung verdient hätte.
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Regisseur Levinson nutzte Corona-Zwangspause äußerst kreativ
Hauptdarstellerin Zendaya wirkt als Marie abgebrüht und doch verletzlich, ist dabei eine (ehemalige) Drogenabhängige, ähnlich wie die siebzehnjährige Rue, die sie in der HBO-Serie „Euphoria“ spielt. Sam Levinson, Sohn von Barry Levinson („Rain Man“), hat als Showrunner den Großteil der ersten „Euphoria“-Staffel geschrieben und sämtliche Folgen gedreht. Kurz vor den Dreharbeiten für die zweite Staffel, im März 2020, brach die Corona-Pandemie aus. Levinson nutzte die Zwangspause sehr kreativ: Er drehte sowohl zwei „Euphoria“-Sonderfolgen (siehe Text unten) und „Malcolm & Marie“.
Levinson bespiegelt den Narzissmus einer ganzen Branche
Das Drehbuch zu seinem filmischen Kammerspiel schrieb er in knapp einer Woche und holte einen Teil seines „Euphoria“-Teams, darunter Zendaya, Kameramann Marcell Rév und Ausstatter Michael Grasley, mit an Bord.
Im Sommer 2020 drehten sie im Caterpillar House in Carmel, Kalifornien. Das Glashaus konnte gut durchgelüftet werden, das Ensemble war mit zwei Schauspielern überschaubar. Dabei war John David Washington im letzten Jahr schon mit Christopher Nolans „Tenet“ stark präsent, kann hier aber mehr Facetten seiner Schauspielkunst zeigen. Wenn Malcolm etwa Marie die Online-Rezension einer weißen Kritikerin vorliest, dreht er mächtig auf. Alles Idioten, diese Kritiker!
Wie würde Sam Levinson jetzt wohl reagieren, wenn man ihm bei aller Schönheit der Schwarz-Weiß-Aufnahmen und dem leidenschaftlichen Spiel seiner Darsteller unterstellen würde, dass sein Film auch eine etwas eitle Nabelschau ist? Schließlich bespiegelt er hier die Leiden eines Regisseurs und den Narzissmus einer ganzen Branche, ja, Malcolm und Marie haben doch recht exquisite Probleme. Immerhin: Bei seiner Tirade gegen die Rezensenten kann sich Malcolm mit der kichernden Marie kurz mal verbünden. Pärchenharmonie dank einer Filmkritik. Da könnte man doch auch mal dankbar sein.
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