Nürnberg – Man hört den ersten Ton und weiß: Das wird toll. Martin Platz lässt als Orfeo seinen Lobpreis „Rosa del ciel“ aus der Stille heraus anschwellen wie aus mythischer Vorzeit, dabei höchst präsent und von Spannung getragen. Vor allem aber klingt es wunderschön. Und was danach kommt auch.
Er erweicht die Unterwelt: Martin Platz singt Orfeo
Das ist bei diesem Stück bereits mindestens die halbe Miete, denn dieses Urbild des Sängers überhaupt, den Claudio Monteverdi in seiner Oper „L’Orfeo“ in den Mittelpunkt stellte, darf nicht bloß beachtlich gesungen werden.
Schließlich erweicht der Mann die Unterwelt mit seiner Musik! Genau diese magischen Kräfte kann Martin Platz erfahrbar machen mit seinem gedeckt schimmernden, geschlossen konturierten Tenor, der sich bei tänzerischen Rhythmen geschmeidig bewegen kann, in der Höhe aber einen metallischen Kern offenbart.
„L’Orfeo“ als Opernfilm: Vieles wird mit Handys aufgenommen
Orfeos große Szene mit den instrumentalen Echos, in der er den Toten-Fährmann Caronte (mehr gütig als garstig: Wonyong Kang) außer Gefecht setzt, gerät denn auch zu einer der fesselndsten dieser Nürnberger Produktion. Wenn die Inszenierung von Intendant Jens-Daniel Herzog diese Kraft nicht ganz durchhalten kann, muss man ihr zugute halten, dass sie letztes Jahr unter Corona-Bedingungen entstand.
Bühne und Orchester nehmen Rücksicht auf die Abstandsregeln, dafür wird viel mit Handys gefilmt, der angestrengte Hochzeits-Trubel etwa in Großaufnahme live auf Bildschirme übertragen. Später sitzen Proserpina (charaktervoll: Almerija Delic) und Plutone (gebieterisch: Nicolai Karnolsky) an einem Esstisch. Über diesen ist die überdimensionierte Leiche der Euridice projiziert, die Julia Grüter vorher so anrührend gesungen hatte, während der Hadesgott lautstark seine Suppe schlürft (Bühne/Kostüme: Mathis Neidhardt).
Für einen Kommentar zur pandemischen Situation erscheint das alles ein bisschen zu trivial, und im letzten Drittel, wenn Orfeo weitgehend allein auf der Bühne ist, fällt Regisseur Herzog nicht mehr allzu viel ein. Da bleibt vieles statisch, etwa der an sich gut düster tönende Geisterchor, auch, wenn auf dem Bildschirm im Hintergrund in Echtzeit malerisch Noten gekleckst werden.
Im Netz kann man eine Filmfassung der Produktion sehen, die kurz nach der Premiere im Oktober 2020 in einem Hades namens Lockdown versank. Interessanterweise kommen die Videos von Stefan Bischoff auf dem heimischen Rechner attraktiver rüber als das sonst mit Filmprojektionen im Theater der Fall ist, wo diese immer ein bisschen wirken wie ungebetene Gäste.
Auch das Orchester musste reduziert werden. Joana Mallwitz und Frank Löhr haben diese Not als Anlass missverstanden, in der Partitur herumzupfuschen. Rezitative werden mit Glissandi und halbseiden esoterischen Streicherflageoletts aufgemotzt, das Schlagzeug dröhnt wie im Blockbuster, ein Klavier klimpert zusammenhanglos nervig dazu: alles Versatzstücke, die sich selbst in Film und Fernsehen lange abgenutzt haben.
Das ist schade, weil Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz ansonsten mit den exzellenten Solisten der Staatsphilharmonie Nürnberg zusammen ganz natürlich musiziert, mit viel Lächeln und Mitatmen. Es liegt am Arrangement allein, wenn die Musik mitunter klingt wie der Soundtrack zu einem mittelmäßigen Horrorfilm. Da hören wir dann immer konzentriert auf den herausragenden Orfeo von Martin Platz.
Das Video kann man auf br-klassik.de/concert und fundus.staatstheater-nuernberg.de/ ansehen. Am 13. Juni (21.50 Uhr) wird der Film auf ARD-alpha, am 15. Juni (0.35 Uhr) im BR-Fernsehen gesendet.
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