Der Lockdown hat Kinder in ihren sozialen Kontakten lange eingeschränkt. Viele haben sich daran gewöhnt, nur noch einen Freund oder eine Freundin zu treffen. Andere Freundschaften und persönliche Gespräche sind in dieser Zeit zu kurz gekommen. Fällt es Kindern deshalb jetzt schwer, sich wieder sozial zu entfalten? Psychotherapeutin Dr. med. Dunja Voos, Verfasserin des Blogs "Medizin im Text", erklärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, wie Kinder mit der jetzigen Situation umgehen, wie wichtig soziale Kontakte für sie sind und wie Eltern ihre Schützlinge unterstützen können.
Wie gehen Kinder mit der Rückkehr in den normalen Alltag um?
Dr. med. Dunja Voos: Ich erlebe es bei vielen Kindern und Jugendlichen so, dass sie jetzt regelrecht aufeinander zustürmen. Die meisten freuen sich sehr auf ihre Freunde. Wenn Freundschaften zu kurz gekommen sind, kann man schauen, wie sich die Dinge entwickeln, wenn jetzt wieder mehr Kontakte möglich sind. Vielleicht ist es ähnlich wie nach einer längeren Krankheit: Man kann dann nicht sofort wieder loslegen wie früher. Viele Kinder und Jugendliche haben ihre Freundschaften dank Smartphone gut halten können. Ich erlebe es sogar so, dass sich durch die intensiven Smartphone-Kontakte oft bis spät in die Nacht viele Freundschaften gefestigt haben. Gemeinsames Kuchenbacken und Schminktipps bei der Morgentoilette waren bei vielen Kindern und Jugendlichen virtuell möglich und es hat ihnen (und auch den Eltern) Spaß gemacht.
Die Kinder haben auf diese Weise gemeinsam eine besondere Zeit erlebt – das schweißt zusammen. Geburtstagsfeiern und Ausflüge werden jetzt wieder möglich, sodass man auch bewusst freie Tage für gemeinsame Unternehmungen einplanen kann. Oft sind auch Überraschungen hilfreich, wie z.B. ein schöner Brief, der auf dem guten alten Postweg zum Freund kommt und in dem das Kind seinem Freund beschreibt, wie es die Zeit der Pandemie erlebt hat.
Wie können Eltern ihren Kindern helfen, wenn ihnen der Mut fehlt, sich wieder sozial zu entfalten?
Voos: Eltern können ihre Kinder ermutigen und motivieren, indem sie mit ihnen zusammen zu geselligen Treffen gehen oder dazu einladen. Doch ich weiß gar nicht, ob man gesunde Kinder überhaupt dazu ermutigen und motivieren muss – sie haben ja von sich aus die sozialen Kontakte vermisst und lechzen danach. Zurückhaltenderen Kindern kann man aktiv Kontakte zu anderen Kindern ermöglichen, aber es ist auch wichtig, sie nicht zu überfordern. Manche Kinder mögen es phasenweise, eher allein oder nur zu zweit zu sein – hier reicht es schon, wenn Eltern sich für ihre Kinder interessieren und verstehen, warum ihre Kinder sich mal mehr und mal weniger Kontakte wünschen.
Der Schlüssel zu Freundschaften liegt natürlich darin, dass die Eltern selbst genügend mit den Kindern gespielt haben, aber in dieser Pandemie blieb ihnen ja oft auch nichts anderes übrig. Kinder, die eine gute Eltern-Kind-Beziehung erleben, können meistens auch gute Kontakte zu Freunden knüpfen. Schüchternen Kindern kann man Zeit lassen. Die Zeiträume sind für Kinder ja anders als für Erwachsene. Die Zeit der Isolation während der hohen Inzidenzphasen war für ein z.B. sechsjähriges Kind wie eine Ewigkeit. Ich denke, es besteht jetzt keine Eile. Die Kinder werden wieder neue Kontakte knüpfen, sobald sie Gelegenheit dazu haben, z.B. in der Musikschule, im Sport und auch im wohlverdienten Urlaub.
Wie wichtig sind soziale Kontakte jetzt für Kinder?
Voos: Soziale Kontakte sind natürlich immer wichtig für Kinder. Auch in kritischen Phasen der Pandemie haben sich manche Eltern und Kinder unter Vorsichtsmaßnahmen zusammengetan, weil es eben sonst nicht auszuhalten gewesen wäre. Nicht wenige Kinder haben es jedoch auch genossen, zu Hause zu bleiben und alles ruhiger angehen zu lassen. Manche finden erst langsam wieder zueinander, andere haben mit den Lockerungen der Regelungen sofort wieder zusammengefunden. Die Psyche entwickelt sich durch gemeinsame Erlebnisse mit anderen – das spüren Kinder ebenso wie Erwachsene auch.
Wie können Eltern ihre Kinder davon überzeugen, dass persönliche Treffen wertvoller sind als virtuelle Gespräche?
Voos: Mit dem "Überzeugen" ist das so eine Sache. Der Arzt kann uns Eltern auch kaum davon "überzeugen", dass es besser ist, nach der Arbeit noch Sport zu machen, als sich mit dem Laptop auf die Couch zu legen. Erst, wenn ich diese Erfahrung mache, bin ich überzeugt.
Ich denke, allein über den Verstand funktioniert wenig. Voraussetzung dafür, dass persönliche Treffen als wertvoll erachtet werden, ist ja, dass das Kind ein Mindestmaß an Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein hat. Im psychotherapeutischen Alltag begegnen mir immer wieder Kinder und Jugendliche, die sagen, dass sie virtuelle Kontakte als angenehm empfinden, während sie persönliche Treffen als Stress erleben. Die Erfahrung dieser Kinder und Jugendlichen ist, dass die virtuellen Kontakte ihnen zumindest etwas Freude bereiten, während die persönlichen Kontakte oft mit Schamgefühlen und Erschöpfung enden. Doch glücklicherweise finden wohl die meisten Kinder sozusagen von Natur aus persönliche Treffen wertvoller als virtuelle Kontakte.
Ich denke, die meisten Kinder wollen von sich aus ihre Freunde wiedersehen – viele freuten sich am Ende des Lockdowns ja auch auf die Schule. Eltern können jedoch generell in die Beziehung zu ihren Kindern investieren. Die Eltern-Kind-Beziehung wirkt wie eine Schablone für alle weiteren Beziehungen. Wenn Eltern Freude haben an der persönlichen Beziehung zu ihren Kindern, dann fördern sie damit gleichzeitig die Lust der Kinder auf weitere soziale Kontakte. Eltern können ihre Kinder zu Freunden hinstupsen, indem sie Treffen ermöglichen und gemeinsame Kaffeekränzchen mit anderen Müttern und Kindern wahrnehmen, soweit es die eigene Zeit erlaubt. Damit die Kinder die Freude am Zusammensein erleben, brauchen sie die Gelegenheit dazu und manchmal müssen wir Eltern uns selbst ein wenig dazu motivieren, die Gelegenheit zu Treffen zu ermöglichen. Doch auch hier denke ich, dass sich das Meiste von selbst reguliert, weil der Mensch eben ein soziales Wesen ist.
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