Erinnern Sie sich noch, als Jürgen Klinsmann Hertha BSC Berlin als Big City Club bezeichnet hat? Klinsmann, der als Trainer in der Bundesliga sowohl beim FC Bayern als auch bei Hertha BSC eindrucksvoll bewiesen hat, auf keinen Fall eine komplette Saison durchzuhalten, skizzierte damals ein Bild der Hertha-Zukunft, in der alles andere als ein zeitnaher Gewinn der Champions League ziemlich ausgeschlossen schien. Dubiose Investoren pumpten einige hundert Millionen Euro in den Verein, die vornehmlich für überteuerte Transfer-Flops verbrannt wurden. Statt sich mit Real Madrid und dem FC Liverpool auf europäischem Parkett zu duellieren, findet sich Hertha im Frühling 2022 sportlich eher mit Greuther Fürth auf Augenhöhe. Gut, den offiziellen Aufbauclub für strauchelnde Abstiegskandidaten, Borussia Dortmund, konnten sie im eigenen Stadion schlagen, ansonsten gelang allerdings nicht viel in der abgelaufenen Saison, die den einen oder anderen Trainer verschlissen hat – bis Medizinball-Ikone und Taktikikone Felix Magath die angeschlagene Hauptstadt-Equipe aus dem Olympiastadion noch mal so gerade eben in die Relegation retten konnte.
Eine KolumnevonMarie von den Benken Diese Kolumne stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
Nun hatte Klinsmann eigentlich mit seiner Einschätzung recht, denn Berlin ist eine Big City und Hertha BSC ist ein Club. Warum die Millionentruppe mit dem Investitionsvolumen eines mittelgroßen Kontinents dennoch diese Woche mit dem Rückspiel in der Relegation beginnen musste, ist für die meisten Beobachter des Profifußballs nur schwerlich zu erklären. Zumindest das Glück war der Alten Dame im Schlussakkord hold: Der Gegner hieß Hamburger Sport-Verein. Der Leidensgenosse aus der anderen sportlich vollkommen unterproportional vertretenen Großstadt unseres Landes scheint ja einen Schwur abgelegt zu haben, einen Aufstieg in die erste Liga mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Lange Rede, kurzer Sinn: Nach einer weitestgehend indiskutablen Vorstellung im Hinspiel, die mit einer verdienten 0:1 Heimniederlage endete, konnte Magaths Trümmertruppe die Woche mit einem historischen 2:0 Auswärtssieg beginnen und so den Klassenerhalt sichern. Mehr Glück als Verstand sagt da der Volksmund. Scheißdreck, Digga, sagt da der Hamburger.
Fussball ist unser Leben So oder so, das Rückspiel in der Relegation geriet auf mehreren Ebenen zu einem interessanten gesellschaftlichen Ereignis. Während sich in den VIP-Logen des ebenfalls eher auf Duelle gegen Manchester United und den FC Barcelona ausgerichteten Volksparkstadion alte HSV-Legenden aus besseren Tagen die Daumen wunddrückten, damit der einstmals glamouröse Verein wenigstens mal wieder erstklassig spielen würde, hatte sich aus unerklärlichen Gründen der eigentlich eher dem FC Schalke 04 zugeordnete Clemens Tönnies ebenfalls unter die Ehrengäste geschlichen. Warum der König der Massentierschlachtung und Endgegner des Arbeitsrechts ausgerechnet ein Relegationsspiel in Hamburg besuchte, blieb zunächst unklar. Vielleicht im Navigationsgerät „beliebtester Club, der in Blau und Weiß spielt“ eingegeben und dann eher versehentlich an der Hamburger Sylvesterallee gelandet? Katastrophentourismus? Billigfelsich-Catering-Deal eintüten? Man weiß es nicht. Überliefert ist lediglich, dass er als Gastgeschenk für den Sieger einige seiner persönlichen Lieblingsgegenstände dabeihatte: Selbst geschossene, ausgestopfte Baby-Elefanten.
Verrückte Relegation: Boateng stellt Hertha-Elf auf und versaut HSV den Aufstieg Tröstlich für das für Zweitligaverhältnisse eigentlich viel zu überdimensionierte Stadion ist allerdings: Nur wenige Tage später wurde es Schauplatz des großen #WeAreAllUkrainians Benefiz-Spiels zwischen den Hamburg All Stars und den DFB All Stars. Auf der einen Seite, im Team Hamburg, sportliche Überflieger wie Tim Mälzer oder Kostja Ullmann, verstärkt durch alte HSV-Recken wie Ailton, Hans-Jörg Butt, Thomas Gravesen oder Stig Töfting. Unentschuldigt fehlte eigentlich nur Rafael van der Vaart. Der DFB trat dagegen in Bestbesetzung an und glänzte unter anderen mit Arne Friedrich, Patrick Owomoyela oder Thomas Helmer. Im Rahmenprogramm gaben sich Lokalmatadore wie Special Guest Johannes Oerding oder die eine Hälfte von Orange Blue die Klinke in die Hand. Oerding ist Ihnen mit Sicherheit spätestens seit dem Jahr 2019 ein Begriff. Damals gab es in der als „Oerding-Gate“ bekannt gewordenen Verschwörung aller deutschen Radiosender eine illegale Absprache, dass jedes Radioprogramm seinen Hit „An guten Tagen“ mindestens alle 30 Minuten einmal spielen musste. Der Song wurde mehr als 200.000-mal verkauft. Mal zur Einordnung: Die Fleischfabrik von Clemens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück schafft in Vollauslastung etwa die Schlachtung von 40.000 Schweinen am Tag. Ob Johannes Oerding in diesem Kontext auch bereits stolzer Besitzer eines ausgestopften Baby-Elefanten ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, möchte es aber tendenziell ausschließen.
Promiauflauf (vegan) Orange Blue dagegen, die älteren kennen womöglich noch den Song „She’s Got That Light“, in dem es vermutlich um besonders bei Influencerinnen beliebte Ringlichter geht, gab sich genau genommen nur zu 50% die Ehre: Volkan Baydar war vor Ort, Kollege Vince konnte ich nicht entdecken. Halb so wild. Für boulevard-sichere Gossip-Liebhaberinnen wie mich ist ohnehin eher Baydar interessant, denn der war immerhin mal mit Désirée Nosbusch liiert. Promiauflauf in der Zweitliga-Arena also, wenn man so will. Natürlich vegan, denn keine lebende Person wurde unfreiwillig angeknabbert. Wir sind ja nicht auf einer Vertriebler-Party der ERGO Versicherungsgruppe. Aber mal Spaß bei Seite: Was „We Are All Ukrainians“ Deutschland mit ihren Macherinnen Tatjana Kiel, Dörte Kruppa und Anja Tillack da innerhalb kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben, war schon außergewöhnlich beeindruckend.
Was ist diese Woche sonst noch so passiert? Jan Böhmermann verabschiedete sich gemeinsam mit seiner „ZDF Magazin Royale“ Crew von seinen Zuschauern. Zum Leidwesen der AfD und der unheiligen Allianz aus „ÖRR-Abschaffen“-Krakeelern, Hufeisentheorie-Forschern und Freiheits-Journalisten allerdings nicht für immer, sondern nur bis September. Sommerpause. Natürlich nicht, ohne sich mit einer filigran in den Vorgarten des Bundesinnenministeriums platzierten Brandbombe zu verabschieden. In einer fast einjährigen Recherche darüber, wie die Polizei unserer 16 Bundesländer mit Anzeigen auf Hate Speech umgeht und wie seriös und ernsthaft an der Ermittlung der Täter gearbeitet wird, zeigte der im Axel Springer Verlag meistgehasste linksversiffte Berufs-Querulant, dass die Motivation bei deutschen Polizisten, gegen Hate Speech im Internet vorzugehen, etwa dasselbe Level hat, wie die Motivation von Dunja Hayali, Schirmherrin und Moderatorin der Gala zur Miss Rosenkohl 2022 zu werden.
Nach Böhmermann-Aktion: Ermittlungen gegen Polizisten wegen Strafvereitelung Da sind wir uns Dunja einig Kurz als Kontext für alle Leser und Leserinnen, die sich nur unregelmäßig auf Twitter über die Ernährungsgewohnheiten von Jan Böhmermanns ZDF-Kollegin Hayali informieren: Die von hochintellektuellen Rechtspopulisten und Internet-Kommentarspaltentrollen gerne mit den Worten „verschwinde bitte wieder dahin, wo du hergekommen bist“ beehrte Moderatorin hat viele herausragende Fähigkeiten und Talente. Geschmack in Sachen Gemüse und Fußball gehört allerdings nicht dazu. Offen steht sie zu ihrer Abneigung gegen das gleichwohl gesunde wie vegane Superfood Rosenkohl, wie auch zu ihrer Vorliebe für den Ausbildungsverein Borussia Dortmund. Wenn Sie also ihr Herz gewinnen und prominent im Fernsehen auftauchen möchten, überraschen Sie Frau Hayali bei einer der kommenden Ausgaben des ZDF-Morgenmagazins mit einem aus Rosenkohl zusammengesetzten BVB-Wappen.
Ach übrigens, Stichwort „geh dahin zurück, wo du hergekommen bist“: Dunja Hayali wurde in Datteln geboren. Datteln liegt zwischen Oer-Erkenschwick und Waltrop, in direkter Nachbarschaft von Recklinghausen. Sicherlich Orte, deren schönste Ecken die Auffahrten zur Autobahn Richtung Dortmund sind, die aber nicht unbedingt als „Ausland“ im Herkömmlichen Sinne bezeichnet werden können. Vielleicht liegt bei den Diplom-Welterklärern mit rassistischer Grundprägung aber auch einfach ein kognitives Missverständnis vor: Datteln wachsen an Dattelpalmen. Dattelpalmen sind eine orientalische Kulturpflanze, die aus Vorderasien stammen. Für Menschen, die Corona für eine Grippe, Putin für einen Friedensnobelpreisträger und/oder Sawsan Chebli für den Teufel in Rolexgestalt halten, vermutlich Grund genug, bei Hayali automatisch einen Geburtsort im Randgebirge des Iran zu vermuten. Die gute Nachricht auch hier: Anders als Böhmermann und das „ZDF-Magazin Royale“ mache ich keine Sommerpause. Wir lesen uns also nächste Woche an dieser Stelle wieder. Bis dann!
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