‚Hauskonzert‘: Igor Levit – im Kulturbetrieb im Kampf gegen Nazis alleingelassen

Musiker, zumindest klassisch ausgebildete, schaffen es normalerweise nicht in politische Talkshows. Außer Igor Levit. Im November 2019 ist der Pianist in der Sendung von Maybrit Illner zu Gast, in der über „Hass im Netz“ diskutiert wird. Levit bezieht couragiert Stellung und wird danach sofort von einem Boulevardjournalisten angegriffen. Drei Tage später erhält er Morddrohungen, das Landeskriminalamt muss eingeschaltet werden. Noch heute ist erschütternd, was auf Youtube in den Kommentarspalten zum Sendungsmitschnitt gepostet wird.

Was aber hat das mit Igor Levits Kunst zu tun? In erster Linie ist der russischstämmige Wahlberliner einer der interessantesten Musiker seiner Generation, der sich in Konzerten schonungslos verausgabt, der den Klavierkosmos von Ludwig van Beethoven wie kaum ein zweiter aktualisiert, dessen geistigen Gehalt für die heutige, widerspruchsgesättigte Gesellschaft spiegelt. Levit selbst reflektiert, dass politisches Klima durch Sprache hergestellt wird, sein Klavierspiel also nicht direkt als Äußerung verstanden werden kann: „Ich habe keine Sprache in dem, was ich tue“.

Igor Levit: Schwierigkeiten, als politisch denkender Bürger ernst genommen zu werden

Diesem Widerspruch zwischen nonverbaler Kunst und engagierter politischer Wortmeldung geht Florian Zinnecker in „Hauskonzert“ nach. Der Kulturjournalist von der „Zeit“ hat Levit ein gutes Jahr lang, von Herbst 2019 bis 2020, begleitet. Dieser Lebensabschnitt des noch nicht Mitte 30-jährigen Pianisten beginnt mit einem Beethoven-Konzert, vor der Pandemie vor Publikum gespielt, reicht über die Wahl eines FDP-Politikers zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD, die Levit empört kommentiert, und mündet in das erste Corona-Jahr, in dem der Pianist versucht, via Internet mit seinem Publikum im Kontakt zu bleiben: durch die titelgebenden „Hauskonzerte“.

Aus nächster Nähe berichtet Zinnecker über Levits frustrierende Versuche, als politisch denkender Bürger ernst genommen zu werden. Deprimierend deutlich kommt heraus, dass er, der gegen rassistische Hetzer, Neo-Faschisten, offene und versteckte Antisemiten aufbegehrt, in diesem Kampf von großen Teilen des Kulturbetriebs allein gelassen wird. Der berüchtigte Ausfall eines Münchner Journalistenkollegen im Oktober des letzten Jahres reiht sich in diese Folge von Attacken ein.

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Auch der Pianist selbst kommt in „Hauskonzert“ zu Wort

Zinnecker lässt Levit auch ausführlich selbst zu Wort kommen. Zu den lohnendsten Passagen gehören seine Erinnerungen an die Kindheit, die Ausbildung beim strengen Karl Heinz Kämmerling, die befreiende Wirkung des Unterrichts bei Bernd Goetzke, eine harsche, konstruktive Kritik von Grigory Sokolov. Auch über das musikalische Denken Levits erfährt man etwas, seinen Mut, im Konzert spontan zu agieren, Risiken einzugehen, denn: „ohne ihn wäre das Stück jetzt sowieso nicht da“.

Weil neben den öffentlichen Einlassungen Levits sein pianistischer Werdegang und sein Nachdenken über Musik nicht zu kurz kommen, kann man dem Buch einen Erkenntnisgewinn nicht absprechen. Wenn man es dennoch bei der Lektüre immer wieder einmal aus der Hand legen muss, liegt das an der prätentiösen Darstellungsform. Zinneckers bemüht lässiger Schreibstil im simpelsten Satzbau geht einem schnell auf die Nerven. Zudem weiß man oft nicht, wann man sich gerade wo befindet, weil Zinnecker keine nachvollziehbare Zeitenfolge einhält.

Vorschlag: Nach der Lektüre eine Levit-Klaviersonate hören

Über weite Strecken liest sich „Hauskonzert“ mit seinen einzeln zusammenmontierten Szenen wie ein nacherzählter Fernsehfilm: Levit fährt nach dem Konzert mit dem Rad nach Hause; er erzählt einen Witz; er nimmt einen Schluck Tee. In dieser punktuellen Form bildhaft zu erzählen kann das Medium Film besser.

Und die wirklich wichtigen Sachen drückt ohnehin die Musik aus. Vielleicht sollte man nach der Lektüre des Buches erst einmal eine Klaviersonate von Beethoven hören, gespielt von Igor Levit.

Igor Levit/Florian Zinnecker, „Hauskonzert“, 302 S., Hanser, 24 Euro

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