Green Cinema: Filmkuss ohne Palmöllippenstift

Green Shooting, Green Cinema, Green Storytelling: eine Branche sieht grün!. Was vor Jahren noch als Spinnerei galt, ist inzwischen in Produktion und auch Ausbildung angekommen. Es geht nicht darum, „irgendwas mit Umwelt zu machen“, sondern gezielt Umweltbelastung und Umweltzerstörung durch Film- und Fernsehproduktion zu reduzieren.

So umweltschädlich sind Filmproduktionen

Der ökologische Fußabdruck eines Fernsehfilms kann sich auf mehrere hundert Tonnen CO2 belaufen, bei einem Kinofilm liegt die Menge noch höher. Vor allem in den größten Schmutzbereichen Energie, Transport und Abfall muss ressourcenschonend und klimafreundlich produziert werden. Einfach ausgedrückt heißen die Ziele: Verringern, Vermeiden, Verwerten. Im Klartext vor allem weniger CO2-Emmisionen und Treibhausgase, weniger Plastik und Müll, keine umweltschädlichen Substanzen und Gifte, recycelfähige Kulissen (also keinesfalls Styropor), Überprüfung auf Wiederverwertbarkeit von Requisiten.

Nachhaltigkeit muss nicht teuer sein

Zu Beginn der Bewegung mussten erst einmal Vorurteile bezüglich Kostensteigerung und Jobverlust durch Reduktion von Equipment entkräftet werden. Umweltfreundliche Materialien müssen nicht die teuersten sein, außerdem entstehen neue Berufsbilder und Produktionsmethoden. Philip Gassmann, Münchens Nachhaltigkeitsexperte und Kritiker der negativen Umweltbilanz der Film-, TV- und Medienbranche, sieht Chancen: „Grünes Drehen eröffnet sogar viele neue Business-Modelle. Keiner muss Angst haben, dass er auf der Strecke bleibt. Im Gegenteil“. Es geht ihm nicht um Verbote, „sondern um einen Kreativitätsschub“.

Die Vorreiter einer grünen Filmbranche

Die Berlinale ließ schon unter Dieter Kosslick 2010 ihren CO2-Abdruck ermitteln und reduzierte massiv Abfallmengen. Seit 2019 ist der „Rote Teppich“ eigentlich grün, besteht er doch aus Garn alter Fischernetze und anderem Nylon-Abfall. So bot sich die Berlinale 2020 dann auch für große Unternehmen als Forum an, um anzukündigen, bis Ende 2021 rund 100 grüne Film- und Serienproduktionen zu realisieren. Die Constantin, die Bavaria Fiction, die UFA und die Sender ARD, ZDF, RTL, Pro7Sat.1 machten mit sowie Sky. Dieser Sender fordert nun von Auftragsproduzenten konsequent umweltfreundliches Drehen ein, auch bei Serienhits wie „8 Tage“ oder „Der Pass“. Bei der kompletten Eberhofer-Krimireihe der Constantin wurde bisher grün gedreht, trotz der Liebe des Ermittlers zur ungesunden Leberkässemmel.

Auch die Bavaria bemüht sich um Klimaneutralität

Beispielhaft hat auch die Bavaria auf Klimaneutralität umgerüstet und bezieht Strom sowie Wärme aus Geothermie, Solarenergie und Wasserkraft. Durch auf Studiodächern installierte Photovoltaik-Anlagen wird jährlich eine CO2-Einsparung von rund 55 Tonnen erzielt. Bavaria-Produktionen wie „Die Rosenheim-Cops“ oder „Sturm der Liebe“ wurden dann auch mit dem „Grünen Drehpass“ der fernen Filmförderung Hamburg und Schleswig-Holstein ausgezeichnet. Manchmal nutzen auch schon kleine Dinge: Der Tatort „Die goldene Zeit“ verzichtete auf Autos, man löste den Auftragsmord im Hamburger Kiez per Pedes.

„Die Vergabe von Geld sollte an Umweltstandards gekoppelt sein“

Optimistisch zeigt sich Birgit Heidsiek, Herausgeberin des seit 2013 erscheinenden Green Film Shooting Magazins und der dazu gehörenden Plattform, die erst belächelt wurden, inzwischen aber für Produzenten zur unverzichtbaren Grundausstattung gehören. Die Grünes-Kino-Beauftragte der Filmförderungsanstalt (FFA) konstatiert eine Schärfung des Bewusstseins für ökologische Produktion durch die „Fridays for Future“-Bewegung und den europäischen „Green Deal“ mit seinen Klimazielen bis 2050. Eine langfristige Änderung im Verhalten sieht sie aber nur durch finanzielle Anreize: „Die Vergabe von Geld sollte an bestimmte Auflagen in puncto Umweltstandards gekoppelt sein, schließlich geht es teilweise um Steuergeld.“ In diese Richtung zielt das neue 2022 in Kraft tretende Filmfördergesetz, das Förderung mit ökologischen Maßnahmen verknüpft. Kritik übt sie am „Fördertourismus“. Für die Finanzierung durch die Länderförderungen müssen Teams oft quer durchs Land reisen, Ursache immenser Kosten, auch schon mal mehr als 60.000 Euro allein für Sprit.

Film-Studenten lernen „Grünes Drehen“ 

„Grünes Drehen“ gehört zum festen Bestandteil des Lehrplans der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München und wird auch in den studentischen Produktionen angewandt. Regisseur, Produzent und Green-Filming Fachmann Gassmann hält es für unabdingbar, Studierende „für eine ökologisch nachhaltige Filmherstellung“ zu sensibilisieren. Er unterrichtet nicht nur „Green Shooting“ an der HFF, sondern auch an anderen Filmhochschulen. Unter seiner Leitung fand die zertifizierte Ausbildung zum „Green Consultant in Film & TV“ an der IHK Akademie München und Oberbayern statt. Die ersten Absolventen verließen den Weiterbildungskurs vor kurzem und sind als professionelle Berater schon begehrt.

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Corona-Hygiene-Auflagen erschweren nachhaltige Produktionen

Unterstützt und gefördert werden die Produktionsfirmen bei der Umsetzung umweltschonender und klimafreundlicher Maßnahmen und bei der Aus- und Weiterbildung durch den Film- Fernsehfonds Bayern (FFF). Der Münchner Produzent Philipp Budweg („Smaragdgrün“, „Mein Lotta-Leben“) drehte „Amélie rennt“ größtenteils grün. So lief bei den Dreharbeiten in Bozen der Generator nicht ständig, wurde möglichst bei Tageslicht gedreht, ersetzte Porzellan Plastikgeschirr, bei Extrabauten wurde schon im Vorfeld über die Entsorgung und Weiterverwertung der Ausstattung nachgedacht. Nur bei den E-Autos funktionierte nicht alles wie am Schnürchen. Vor Ort wurden zwar E-Autos eingesetzt, „aber so ein Auto kriegt man nicht über den Brenner, die Reichweite von München nach Südtirol war nicht zu schaffen“, bedauert Budweg. Bei den Dreharbeiten zu Marcus H. Rosenmüllers neuer Komödie „Beckenrandsheriff“ (ab Herbst im Kino) mit Milan Peschel und Gisela Schneeberger machten die Corona-Hygiene-Auflagen wie einzeln in Plastik verpackte Masken das grüne Drehen schwerer.

Hilft eine freiwillige Selbstverpflichtung?

Nach der freiwilligen Selbstverpflichtung des Deutschen Produzentenverbandes 2019 für grünes Drehen, plädierte im vergangenen Jahr auch die Initiative Changemakers.film für eine freiwillige Selbstverpflichtung mit prominenten Unterzeichnern wie Tom Tykwer, Katja Riemann, Jella Haase und Lars Eidinger. Ein 13 Punkten-Katalog listet auf, wo man mit Gewohnheiten brechen kann – Bahnreisen statt Flüge, Fahrgemeinschaften, emissionsarme PKW-Transporte, LED-Lampen, Naturkosmetik, Catering mit „veganen Optionen“ und Biofleisch höchstens einmal die Woche, umweltfreundliche Alternativen zu den Wohnwagen und Campern am Set, möglichst Fundus-Kleidung oder Second Hand und keine „Fastfashion“… Ob sich vor Ort dann wirklich alle mit weniger Bequemlichkeiten zufrieden geben, bleibt abzuwarten.

Öko-Vorschläge werden als Filminhalt kritisch betrachtet

Und es ist sicherlich honorig, beim „Green Storytelling“ an die „Vorbildfunktion der Filme, Geschichten und Bilder“ zu erinnern und „Selbstverständlichkeiten vor dem Hintergrund der Klimakrise“ zu hinterfragen. Sollten jedoch Öko-Vorschläge auch zu inhaltlichen Vorschriften werden, machen wohl nicht alle Autoren und Regisseure mit. Film als Erziehungsmittel scheitert immer auch am Zuschauer. Der verweigert sich, wenn er zu penetrant darüber nachdenken soll, was die Figuren warum essen, woher sie ihr Outfit beziehen und welches „ökologische Bewusstsein“ sie haben. Das Klischee vom Bösen, der ins Steak beißt und vom Guten, der am Tofu nagt, funktioniert nicht. Kino ist auch ein Ort zum Träumen, Film „bigger than life“.

Und was wäre mit legendären Kussszenen wie zwischen Leonardo DiCaprio und Kate Winslet am Bug der „Titanic“ oder Clark Gable und Vivien Leigh in „Vom Winde verweht“? Wird demnächst der Kerl vor dem ersten Kuss korrekt fragen müssen, „ist Dein Lippenstift auch ohne Palmöl?“.

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