Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.
Wer am Donnerstagabend während der dritten Folge von „Germany’s Next Topmodel“, die Sie hier im GNTM-Couchticker nachlesen können, eine Runde GNTM-Bullshit-Bingo gespielt hat, der hat sein Glück wohl kaum fassen können. Denn hier hagelte es die Treffer schneller, als man „hot“ und „sexy“ sagen kann. Der Grund ist ein einfacher: Unter dem Motto „Express yourself“ verlangte Heidi Klum in Folge drei von ihren Kandidatinnen vor allem eines: „Personality“.
Wem beim Stichwort „Personality“ bereits der Spannungskopfschmerz in die Schläfen schießt, der sollte sich besser ein, zwei Ibuprofen gönnen. Denn damit die Damen der Klum ihr „gewisses Etwas“ zeigen können, müssen die Model-Azubis ein Drei-Punkte-Programm durchlaufen. In der Praxis heißt das: Bei einem Video-Shooting verschiedene Posen einnehmen, drei Schritte Richtung Kamera laufen und dann den selbst kreierten „Signature-Satz“ präsentieren, um die eigene „Personality“ auszudrücken.
Die Ibuprofen wirken bereits? Gut, denn Heranwachsenden zu sagen, sie sollen mit ihren GNTM-infiltrierten Gehirnen mal so eben ihrer Persönlichkeit durch einen griffigen Slogan vor einem Millionenpublikum in einer TV-Show-Atmosphäre Ausdruck verleihen, birgt ein gewisses Risiko. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Eine kurze Auswahl, was jahrelanger, missbräuchlicher GNTM-Konsum so hervorbringen kann:
„Ich bin Selma. Selbstbewusst, cool und locker. Genau so bist du ein Rocker. Und jetzt hau ich jeden vom Hocker.“ „Man könnte denken, ich bin Kim Possible. Bin ich zwar nicht, ich bin Cassy, aber indem ich mich niemals für andere verändert habe und immer mein Ding durchziehe, mach ich alles possible.“ „Ich bin Lara und meine Kreativität ist genau so, wie mein Look. Meine Haare sind auch so verrückt wie ich.“ „Hi! Ich bin Coco Clever und mein Name ist unique so wie ich, also vergesst mich nicht.“ „Hi! Ich bin Tracy und classy, nicht lazy und manchmal auch bossy.“ Nun ist es ein Leichtes, sich über diese „Signature-Sätze“ lustig zu machen, doch die Nachwuchsmodels trifft hier die geringste Schuld. Denn diese „Personality“-Idee ist nicht alleine aus Ergebnis-Sicht bedenklich, sondern war es bereits von Anfang an.
Was ist eigentlich diese „Personality“? Denn während des Video-Shootings offenbart die Klum zwischen den Zeilen, was sie denn eigentlich unter „Personality“ versteht. Ein Großteil der Kandidatinnen präsentiert sich nämlich für Klums Geschmack zu schüchtern, zu schläfrig, zu träge, zu leise, zu unspannend oder zu unlocker. Doch als Kandidatin Sarah auf die Frage nach den gewünschten Anforderungen erklärt, man solle sich besser locker und nicht ganz so streng geben, antwortet die Klum: „Also nur, wenn du so bist. Das ist ja dein Vorstellungsgespräch!“
Da hat die Logik allerdings ein Loch, denn im Umkehrschluss bedeutet das ja: Wenn man ein eher schüchterner Charakter ist, dann soll man diesen Teil der „Personality“ zeigen – ist ja das eigene Vorstellungsgespräch. Zeigt man sich dann allerdings schüchtern, findet die Klum das nicht gut. Denn „Personality“ bedeutet bei Klum nicht etwa „Persönlichkeit“, sondern Lautstärke, Exaltiertheit, Rambazamba. Mit anderen Worten: „Personality“ hat jemand, wenn er genau so ist wie die Klum. Darauf ein „Wohooo!“
Da die Klum den Kandidatinnen aber nicht sagen kann „Seid so wie ich!“, nennt sie das Ganze eben „Personality“ oder „das gewisse Etwas“. Das ist so herrlich unkonkret, so dass man hier alles hineininterpretieren kann. Hauptsache, am Ende kann man jemanden wegen unterlassener „Personality“ aus der Show werfen. Also erstellen die Klum und der Fotograf des Ganzen, Rankin , eine Rangliste, wer denn hier am wenigsten gut seine „Personality“ gezeigt hat. Am Ende landen Slata und Melissa auf den beiden letzten Plätzen des Rankin-Rankings und müssen die Show unverzüglich verlassen.
Lesen Sie auch: GNTM-Kandidatin Mirella kam „im Körper eines Jungen zur Welt“Wer ersetzt Heidi Klum? Dadurch entgeht den beiden die Gelegenheit, einer echten „Katastrophe“ beizuwohnen. Die Klum will nämlich noch einen Entscheidungswalk abhalten und hat sich dafür etwas Besonderes ausgedacht. Erst werden die Kandidatinnen in Latex-Ganzkörperanzüge geschossen, über die dann eine Art übergroßer Oma-Bademantel geworfen wird.
So drapiert sollen die Damen dann durch eine Halle mit einer Vier-Jahreszeiten-Kulisse stöckeln, am Ende wartet wieder ein Rankin-Ranking. „Das hat auch sehr viel mit Personality zu tun, weil man in den einzelnen Jahreszeiten verschiedene Gesichtsausdrücke machen muss“, glaubt Juliette die Aufgabe erfasst zu haben, zeigt aber nur, dass 17 Staffeln GNTM ihre Spuren im Kopf junger Frauen hinterlassen haben.
Bevor es losgeht, kommt die Klum allerdings mit einer Hiobsbotschaft um die Ecke: „Unser Set steht und eigentlich könnte der Entscheidungswalk beginnen – gäbe es nicht die nächste Katastrophe.“ Eine GNTM-Mitarbeiterin klärt die Belegschaft in der Umkleide auf. „Heidi kann leider nicht heute persönlich bei uns sein.“ Erstaunen bei den Kandidatinnen und auch als Zuschauer wittert man einen Affront, heißt die Show doch „Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“ und nicht „Germany’s Next Topmodel bye, bye Heidi Klum.“ Das ist ein Riesenunterschied!
Doch bevor die ersten Kandidatinnen empört ihre Werbegeschenke zurück geben, erklärt sich die Klum: Ein positiver Corona-Test zwinge sie zur Nicht-Teilnahme. Aber die Klum hat sofort gleichwertigen Ersatz besorgt. Statt Heidi Klum sitzt diesmal neben Rankin: Heidi Klum in einem Bildschirm. Die Original-Klum guckt sich das ganze Jahreszeiten-Gerenne per Video-Schalte von ihrem Garten aus an. Man wünscht ihr natürlich nur das Beste, aber sie hätte keinen günstigeren Zeitpunkt für eine häusliche Isolation erwischen können, denn der Entscheidungswalk ist diesmal schwer auszuhalten.
Melina und Juliette scheitern am Vier-Jahreszeiten-Walk Da sitzt ein Mitfünfziger mit chronischer Sonnenbrille in einer ausgeleuchteten Halle neben einer von einem Bildschirm grinsenden Klum und guckt dabei zu, wie eine Bande Latex-Matrjoschka-Doubles durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter stolpert und in einem Anflug von „Personality“ Kunstschnee und Blütenblätter durch die Luft wirbelt. An dieser Stelle ein Tipp für zuhause: Gucken Sie sich den Vier-Jahreszeiten-Walk unbedingt einmal ohne Ton an, das erhöht den Plemplem-Faktor der Show um ein Vielfaches!
„Ich fand deine Posen etwas strange“, urteilt die Klum zwischendurch über den Walk von Melina und man muss der Kandidatin eigentlich zur Hilfe eilen, denn die Posen waren nicht das Problem an dem ganzen Zirkus. Melina erwischt es diesmal trotzdem. „Es gab Schlechtere, bin ich mir sicher“, meint dagegen Juliette nach ihrem Walk, was grundsätzlich ein guter Gedanke ist. Man muss schließlich nicht schneller sein als der Löwe, sondern nur schneller als der Nebenmann. Blöd nur für Juliette, dass Heidi Klum definiert, was schnell ist und was nicht.
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