Berlin – „Grâce à Dieu.“ Er sagt es tatsächlich. Vor laufenden Kameras. „Die Mehrheit der Fälle ist Gott sei Dank verjährt.“ Es geht um massenhaften Kindesmissbrauch durch den katholischen Priester Bernard Preynat. Der Satz, gefallen während einer Pressekonferenz, stammt von seinem vorgesetzten Kardinal Philippe Barbarin.
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Der französische Regisseur François Ozon macht die Szene in seinem preisgekrönten Film „Gelobt sei Gott“ („Grâce à Dieu“) aus dem Jahr 2019 zu einem beklemmenden Sinnbild – für mangelndes Problembewusstsein und schleppende innerkirchliche Aufarbeitung: Die Kirchenoberen hören zu, sie sehen das Problem, handeln aber nicht. Ozons Film basiert auf realen Ereignissen, auf erschütternden Fakten. An diesem Mittwoch um 20.15 Uhr läuft das Drama auf Arte.
Alexandre (Melvil Poupaud) lebt in Lyon, ein erzkatholischer Teil Frankreichs. Mit seiner Frau und den fünf Kindern erfüllt er das – noch immer sehr reale – Klischee einer Großfamilie der französischen Bourgeoisie. Der tief gläubige Alexandre erfährt, dass dem Priester Preynat (Bernard Verley), der ihn als Kind missbraucht hat, noch immer Kindergruppen anvertraut werden.
In einem Briefwechsel mit Kardinal Barbarin (François Marthouret), den Ozon zu Beginn des Films aus dem Off vorlesen lässt, berichtet Alexandre über die Verbrechen, unter denen er zu leiden hatte: „Warum kümmert sich dieser Mann immer noch um Kinder?“ Ozon schildert sehr eindringlich, wie Alexandre scheitert, der seine Kirche und ihre jungen Mitglieder vor einem Sexualstraftäter bewahren will. Seine Versuche scheitern schließlich auch im persönlichen Gespräch mit Barbarin. „Preynat wird immer Priester bleiben“, sagt ihm ein Kirchenoberer.
Alexandre stößt auf La Parole Libérée (Die befreite Sprache), eine Selbsthilfeorganisation von Opfern, die von Geistlichen missbraucht wurden. Das gibt Ozon die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Schicksale zu erzählen: Neben dem streng gläubigen Alexandre, der seine Kirche durch die Aufklärung schützen möchte, treten der robuste François (Denis Ménochet) als Kämpfer gegen den Klerus und Emmanuel (Swann Arlaud), der am Missbrauch auch körperlich gebrochen ist.
„Ich habe viele Filme gemacht mit starken Frauen, und ich wollte schon lange einen Film machen über Männer, die ihre Gefühle und Emotionen ausdrücken“, sagte Ozon zu seiner Motivation. Die Realisierung gestaltete sich aber auch für den französischen Regie-Star schwierig: Frühere Produktionspartner wollten dieses Werk wegen des Themas nicht finanzieren.
Ozon lässt seine Protagonisten ohne Hast ihre Geschichten erzählen, die sie so lange verdrängten oder nicht drüber sprachen. Er zeigt die langfristigen Wirkungen des Missbrauchs auch in der Unfähigkeit von Opfern, mit den Menschen um sie herum umzugehen. Der gefeierte Gang an die entsetzte Öffentlichkeit, die schließlich erfolgreiche Suche nach Opfern, deren Leiden noch nicht verjährt sind, bleiben die einzige Action des Films. Ozons Szenen werden auch nie voyeuristisch; die Missbrauchssituationen bleiben als Rückblenden im Ungefähren.
Der Film kann dabei allerdings kein wirklich befriedigendes Ende haben: Durch die gemeinsame Arbeit der Opfer, die Öffentlichkeit und einige Anzeigen darf Preynat nicht mehr mit Kindern arbeiten, ein juristisches Verfahren steht an. Das muss bei Ozon als erste Genugtuung für die Opfer reichen.
Die Wirklichkeit hat den Film inzwischen überholt. Die Frist für Verjährung sexueller Gewalt an Minderjährigen wurde verlängert. Opfer haben nun nach ihrer Volljährigkeit 30 statt 20 Jahre Zeit für eine Anzeige. Außerdem entließ ein Kirchengericht Priester Preynat wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen aus dem Klerikerstand. 2020 wurde er zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Im selben Jahr sprach ein Berufungsgericht Kardinal Barbarin vom Vorwurf der Vertuschung von Missbrauchsvorwürfen frei. Der Kassationshof – Frankreichs höchstes Gericht – stellte sich 2021 hinter diese Entscheidung. Barbarin war zu diesem Zeitpunkt schon zurückgetreten. © dpa
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