Der Gedanke an eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, dessen Wurzeln nunmehr ein Jahrhundert zurückliegen, keimte vor rund 30 Jahren auf. Es war eine verspätete Reaktion auf die palästinensische Intifada, die Ende 1987 in den seit 1967 israelisch besetzten Gebieten ausbrach und in Israel erst einmal eine Verhärtung der israelischen Position zur Folge hatte.
Sie führte im Juni 1990 zur Gründung einer ultrarechten israelischen Regierung. Geführt von dem Likud-Politiker Itzchak Schamir lehnte sie Verhandlungen mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) kategorisch ab. Obwohl die PLO, als sie 1988 im algerischen Exil einen palästinensischen Staat ausrief, Israel zum ersten Mal, wenn auch indirekt, anerkannte, verweigerte Schamir jegliches Gespräch mit dem Argument, die von Jassir Arafat geführte PLO sei eine Terrororganisation – Schamir selbst war wohlgemerkt in früheren Jahren als einer der Anführer der jüdischen Untergrundorganisation Lechi an Terroranschlägen gegen Briten und Araber beteiligt gewesen.
Seine terroristische Vergangenheit hatte Schamir politisch keineswegs geschadet. Die Rechte im Land sah in ihm immer noch den Helden des glorifizierten Untergrundkampfs gegen die britischen Mandatsherren. Ähnlich galt PLO-Chef Jassir Arafat, dessen Organisation für zahlreiche Terroranschläge gegen Israelis verantwortlich zeichnete, bei den Palästinensern als Held ihres nationalen Befreiungskampfes. Seine radikalislamischen Rivalen jedoch – etwa von der Hamas-Bewegung – wollten ihm nicht verzeihen, dass er bereit war, mit den Israelis zu sprechen.
Nahostkonflikt: Die PLO nimmt Abstand von der „Großvision“
Indes war bei den führenden Politikern der beiden Konfliktparteien Anfang der neunziger Jahre die Erkenntnis gereift, dass man sich von den eigenen territorialen Herrschaftsvisionen verabschieden und Kompromissbereitschaft signalisieren muss, um den Weg zum Frieden zu bahnen. Von einer solchen „Großvision“ hatte die PLO schon in ihrer Unabhängigkeitserklärung 1988 Abstand genommen. Der Likud, Erbe der ultranationalistischen zionistischen Revisionistenbewegung, hatte sich zwar bereits Jahre zuvor von deren Zukunftsvision von einem jüdischen Staat zu beiden Seiten des Jordans distanziert.
Nicht aber von der Idee der kontinuierlichen Besiedlung und schleichenden Einverleibung des von Palästinensern bewohnten Westjordanlands. Hier lebte eine israelische „Großvision“ fort, obwohl der palästinensische Volksaufstand gegen die Besatzung deutlich vor Augen führte, dass eine solche auf Dauer kaum zu realisieren sei. Erst der Druck von amerikanischer und die Mitwirkung von sowjetischer Seite brachte 1991 die Madrider Konferenz zustande, auf der Vertreter der Regierung Schamir erste Gespräche mit Palästinensern und Jordaniern führten – Jassir Arafats PLO durfte allerdings nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.
Die Wende kam 1992
Die eigentliche Wende kam, als die Rivalin des Likud, die Arbeitspartei, unter der Führung Itzchak Rabins 1992 an die Macht kam. Unterstützt durch die linksliberale Meretz-Partei und zwei kleine mehrheitlich arabische Listen nahm sie direkte Gespräche mit der PLO auf. Schon 1993 schlossen die Rabin-Regierung und Arafats PLO das Oslo-Abkommen, das Israels sukzessiven Rückzug zumindest aus einem Großteil der besetzten Gebiete vorsah, womit die Grundlage für die Entstehung eines palästinensischen Staates geschaffen werden sollte. Damit wurden im Namen des Friedens die „Großvisionen“ zugunsten von „Teilvisionen“ aufgegeben: Palästinenser würden auf einem Teil des historischen Palästina einen Staat neben Israel erhalten und Feindseligkeiten würden auf beiden Seiten begraben – dafür stand die „Zwei-Staaten-Lösung“.
Ihre Realisierung blieb jedoch Theorie. Rabin konnte noch im September 1995 den Vertrag für die Umsetzung der zweiten Phase des Friedens-Abkommens (Oslo II) unterzeichnen, bevor er am 4. November von einem rechtsradikalen Israeli auf einer Friedensfeier in Tel Aviv erschossen wurde. Der Attentäter kam aus einem politischen Lager, das an seiner „Großvision“ – ein Groß-Israel nach vermeintlichem biblischem Vorbild – beharrlich festhält. Ihr Pendant auf palästinensischer Seite findet sich bei islamistischen Extremisten, die von einer islamisch-palästinensischen Herrschaft über dasselbe Gebiet träumen. Mit Terroranschlägen und vor allem auch mit Selbstmordattentaten hofften auch sie, dem gerade begonnenen Friedensprozess bald ein Ende zu setzen.
Zu diesem hatte die israelische Gesellschaft von Anfang an ein gespaltenes Verhältnis. Das Friedenslager unter der Führung Rabins und seines Amtsnachfolgers Schimon Peres (November 1995 bis Juni 1996) besaß im Parlament nur wenige Mandate mehr als die rechte Opposition. Als deren Anführer, Likud-Chef Benjamin Netanjahu, 1996 Peres dann ablöste, hatte er bei den Wahlen wiederum nur wenige Zehntausend Stimmen mehr als sein Rivale erhalten.
Der israelische Siedlungsbau im Westjordanland setzt sich fort
Diese fast Pattsituation machte zwar die vorübergehende Rückkehr des Friedenslagers an die Macht (Juli 1999 bis März 2001) möglich. Aber mit dem Ausbau israelischer Siedlungen im Westjordanland ging es auch unter der regierenden Arbeitspartei weiter – und der setzt sich seit knapp zwei Jahrzehnten, seit die Rechte wieder das Land regiert, unaufhörlich fort.
In den Köpfen der israelischen Ultra-Rechten und ihrer Sympathisanten lebt die „Großvision“ bis heute fort. Aber nicht nur sie betrachten das Oslo-Abkommen als einen historischen Fehler. Der daraus hervorgegangenen Palästinensischen Autonomiebehörde kommt aus Sicht vieler Israelis bestenfalls eine Statistenrolle zu, die darin besteht, in den von ihr ganz und teilweise kontrollierten Gebieten (A- und B-Zonen) den Widerstand gegen die Besatzung im Zaum zu halten – so wie dies in der von Israel vollständig kontrollierten C-Zone, die rund 60 Prozent des Westjordanlands umfasst, mit oft rigorosen Methoden geschieht. Im Übrigen erlaubt sich die Besatzungsmacht, auch in den palästinensisch verwalteten A-Gebieten gegen Besatzungskritiker vorzugehen. Die von der säkularen Fatah dominierte Autonomiebehörde kooperiert auch gern bei der „Terrorbekämpfung“, vor allem wenn sie sich gegen die lokalen Aktivisten ihrer islamistischen Rivalin Hamas richtet.
Der Streit schwelt an vielen Enden
Was ist aus den „Teilvisionen“ geworden, deren Realisierung die Osloer Friedensverträge in Aussicht gestellt hatten? Die Palästinenser hatten gehofft, dass das Westjordanland, Ostjerusalem und der Gazastreifen unter ihre Kontrolle kommen. Tatsächlich erfolgt ist dies im Westjordanland, dort aber nur auf rund 40 Prozent des Gebiets. Unter vollständiger palästinensischer Herrschaft steht seit 2005 der Gazastreifen, wo allerdings seit 2007 die islamistische Hamas nach ihrem Putsch allein regiert, was dazu geführt hat, dass er seitdem von Israel abgeriegelt wird.
Die Hamas hat sich 2017 in ihrem neuen Programm von der eigenen „Großvision“ eines islamischen Palästina nicht verabschiedet und besteht auf dem Abzug Israels aus dem gesamten Westjordanland. Diese Forderung, die auch die kompromissbereite PLO grundsätzlich erhebt, kollidiert nicht nur mit der „Großvision“ der israelischen Rechten. Sie steht auch der israelischen „Teilvision“ entgegen, der zufolge wenigstens ein gewisser Teil des Westjordanlands – die „großen Siedlungsblöcke“ – dem Staat Israel einverleibt werden sollte. Sowohl in der israelischen „Groß-“ als auch in der „Teilvision“ ist freilich derzeit weder Platz für einen voll souveränen Palästinenserstaat noch für eine zumindest partielle palästinensische Kontrolle über das arabische Ostjerusalem.
Ehe nicht auf allen Seiten die „Großvisionen“ endgültig begraben sind, wird es keinen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern geben. Ein solcher braucht eine gemeinsame Vision, die auf gegenseitigem Respekt gründet – statt nostalgische Träume zu hegen und der anderen Seite ihre legitimen Ansprüche abzusprechen, sollten beide Konfliktparteien wieder auf Augenhöhe miteinander reden. Palästinenser könnten gegen eine angemessene Entschädigung auf die Verwirklichung ihres völkerrechtlich verbrieften Rückkehrrechts in ihre einstigen Wohnorte im israelischen Kernland verzichten. Israel, das dann nicht mehr argumentieren könnte, seine Existenz sei durch eine massenhafte Rückkehr bedroht, sollte seinerseits den Anspruch auf die von ihm völkerrechtswidrig besetzten Gebiete aufgeben.
Wenn sie sukzessive geräumt würden, könnten dort rückkehrwillige Exil-Palästinenser – eventuell auch mit finanzieller Unterstützung jener arabischen Golfstaaten, die sich jüngst Israel angenähert haben -, eine Heimat finden. Ein Nebeneinander in Frieden könnte dann Realität werden, vielleicht irgendwann auch ein produktives Miteinander.
Von Joseph Croitoru das Buch „Die Deutschen und der Orient“ über das Islambild der deutschen Aufklärung erschienen (Hanser, 416 Seiten, 28 Euro). Im Februar erscheint sein Buch „Al-Aqsa oder Tempelberg. Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten“ (C.H. Beck, 368 Seiten mit 35 Abbildungen und 1 Karte, 26 Euro)
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