Eine KritikvonIris Alanyali Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.
Schon wieder Neonazis. Vergangenen Sonntag stand Lena Odenthal zwischen den Fronten (Anm. d. Red. bei der Erstausstrahlung des Dortmunder Falls am 21.02.2021) von „Rock gegen Rechts“ und Rechts, diese Woche muss sich Kommissarin Martina Bönisch den Verdacht gefallen lassen, sie sympathisiere mit den fremdenfeindlichen Ansichten eines rechtskonservativen Jungpolitikers.
Und als wäre das nicht schon bizarr genug, tapert ein scheinbar verliebter Faber durch den Fall. Da weiß man wirklich nicht, was befremdlicher ist: Bönisch als Ausländerfeindin oder Kommissar Faber als eifersüchtiger Schmachtlappen?
Corinna Harfouch und Mark Waschke drehen erstmals für den "Tatort" „Tatort: Heile Welt“ aus Dortmund: Fulminanter Einstieg in den Fall Dass es hier um emotionale Extremsituationen geht, macht der „Tatort“ aus Dortmund durch seine starke Eröffnung sofort deutlich: Wir sehen eine entsetzte Martina Bönisch umgeben von Rauch und Rotlicht wie in Trance zwischen den Schatten aufgeregter Menschen schreiten. Natürlich ist hier gar nichts heil. Es brennt, in echt und im übertragenen Sinn.
Faber liegt erschlagen auf dem Boden und wird weggezerrt. Aus dem Chaos tritt eine Vermummte der Kommissarin gegenüber, und es ist klar, dass hinter der kurzen Begegnung der zwei Frauen eine viel größere Dimension steckt, als der sekundenlange Blick vermuten lässt. Hier ist etwas Aufgestautes explodiert. „Heile Welt“ erzählt den Verlauf der Eskalation.
48 Stunden zuvor: Das Team um Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) wird ins Gerberviertel gerufen. In der Hochhaussiedlung voller einkommensschwacher Bewohner und leerstehender Läden kam es zu einem Kellerbrand, und dabei hat die Feuerwehr die Leiche einer jungen Mieterin entdeckt.
Die neue Kommissarin in Dortmund, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger), macht sich durch ihr forderndes, ungeduldiges Benehmen am Tatort gleich mal unbeliebt, folgert aber messerscharf aus der Kopfwunde, einem besudelten Rock und einer herumliegenden Zange, dass die Frau vermutlich erschlagen und vielleicht vergewaltigt wurde. Die anwesende Kriminaltechnikerin blickt skeptisch über den Brillenrand auf die Neue – ein Blick, den Rosa Herzog so ähnlich auch von ihren drei Kollegen noch ernten wird, obwohl sie nur ihre Arbeit macht.
Besuch bei alten Bekannten Es ist allerdings auch für die Zuschauer ein eher unbefriedigender Einstand, den das Drehbuch (von Jürgen Werner) Rosa Herzog zugesteht: Gegen die spröde Ermittlerin lässt sich nichts einwenden, aber da ist erst einmal auch wenig, das Interesse an einem näheren Kennenlernen weckt. Kaum Köder, die Vorfreude auf die weitere Erforschung dieser Figur machen.
Als in dem Keller außerdem Spuren von Kokain gefunden werden, führen die Ermittlungen schnell zum 19 Jahre alten Nachbarn Hakim Khaled (Shadi Eck). Er ist nicht nur der Sohn des Imams der örtlichen Moschee, sondern wurde schon zuvor wegen Drogenbesitzes festgenommen. Als Faber und Bönisch die aus dem Irak stammenden Eltern in der Wohnung besuchen, benimmt sich der Kommissar gewohnt ungehobelt, was den Imam empört – er kann schließlich nicht wissen, dass Faber ziemlich jeden so behandelt.
Martina Bönisch (Anna Schudt) dagegen treibt es zur Weißglut, dass die Ehefrau des Imams nur den Tee servieren und auf dem Sofa stumm neben ihrem Mann sitzen darf, obwohl sie eindeutig Deutsch versteht. Als der entsprechend aufgewühlten Kommissarin draußen in der Ladenzeile Hakim über den Weg läuft, lässt sie ihn kurz entschlossen und eindeutig überreagierend festnehmen – vor den Augen seiner mitfilmenden Freunde.
Von da an geht es bergab mit Bönisch: Ein smarter Jungpolitiker vereinnahmt die Kommissarin: „Endlich eine“, die „deutsche Frauen“ vor den Ausländern „schützen“ will – es gibt ein Wiedersehen mit Nils Jacob (Franz Pätzold), den Jürgen Werner bereits 2015 in seinem Drehbuch für „Hydra“ eingeführt hat.
Das Problem der Empörungsbereitschaft Linken Aktivisten erscheint der Fall als Paradebeispiel für die Rassismus-Probleme innerhalb der Polizei. Die sozialen Medien explodieren auf eine extrem unsoziale Weise – Beleidigungen und Vorverurteilungen stapeln sich, auch filmisch überzeugend: Die erregten Nachrichten erscheinen in schneller Folge auf dem Bildschirm. Und mittendrin steht eine leidenschaftliche Ermittlerin, die eigentlich nur ihren Job machen will, die davon überzeugt ist, dass sie ihn gut macht – nur hat sie in einem Augenblick erst gehandelt und dann nachgedacht.
Die Frage, die dieser „Tatort“ stellt, ist natürlich nicht die zur Integrität Martina Bönischs, ist aber auch keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem der Fremdenfeindlichkeit innerhalb staatlicher Behörden. Was Sebastian Kos temporeiche Regie mithilfe von aufgeregten Tweets und empörten Menschenansammlungen, einem rechten Politiker und einer linken Influencerin und ihrer ständigen Meinungsbereitschaft zeigt, ist die Ähnlichkeit der Methodik auf beiden Seiten, ist die Gefahr des schnellen Urteils, die Macht von Fake News und ungefilterter Empörungsbereitschaft. Was fehlt, ist ein klarer, kühler Kopf. Was fehlt, ist Faber.
Peter Faber im Liebestaumel Aber so, wie Martina Bönisch aus der Bahn geworfen wird, so erleben wir Faber in „Heile Welt“ auf ungewohnten Pfaden: Der Mann hat offenbar beschlossen, die Liebe wieder in sein Herz zu lassen. Stolz steht er mit seinem neuen alten Auto in Bönischs Straße: Ein gebrauchter Manta, der perfekt zum Parka passt und den er mit einem Wunderbaum fürsorglich parfümiert hat.
Doch die Verwirrung ist groß, als Kriminaltechniker Haller aus Bönischs Haustür tritt. Und wird größer, als der Kollege später schon in Bönischs Büro steht, wo doch Faber sie gerade mit einem gemeinsamen Mittagessen vom Chinesen überraschen wollte.
Was auch immer man von einem liebeskranken Faber halten mag: Der Film macht das Beste draus, als der Kommissar seinen Kummer im Duett mit einem bankrotten Ladenbesitzer im Gerberzentrum ertränkt:
Thomas Janowski (Jürg Plüss) musste wegen Corona sein Computergeschäft schließen, er hat seine Wohnung verloren und campiert jetzt in seinem leeren Laden. Es ist die eigene Zukunft, die Faber da vor Augen geführt wird: Ein einsamer Mann zwischen kargen Wänden, bei dem auf dem Boden ein trauriger Kaktus steht wie bei Faber auf dem Schreibtisch.
Die Charaktere retten das Drehbuch Draußen aber verschärfen sich derweil die Fronten – und bei einer Mahnwache im Gerberzentrum für die Tote explodieren die Gefühle auf allen Seiten.
„Heile Welt“ arbeitet mit wirksamen Bildern, aber es sind auch arg deutliche Mittel, zu denen sowohl das Drehbuch als auch die Regie greifen. Mitunter wirkt der Film, als sollte da mithilfe des „Tatort“ ein kurzweiliger Film zu Lehrzwecken über die schlimmen Folgen von Fake News und die dunkle Seite von Social Media gedreht werden. Das ist gelungen, aber ein Kompliment für einen „Tatort“ ist das nicht.
Doch zum Glück lassen sich die starken Persönlichkeiten des Dortmunder Teams – die Drehbuchautor Jürgen Werner ja wesentlich mitgeprägt hat – nicht so einfach banalisieren. „Heile Welt“ beweist erneut, dass Werners Stärke weniger in der politischen Botschaft, als vielmehr in der Charakterzeichnung liegt; dass Faber, Bönisch, und auch Kommissar Pawlak, der sich hier wieder einmal um seine Frau sorgen muss, noch lange nicht auserzählt sind. Rosa Herzog wird da bestimmt keine Ausnahme bilden.
Diese Kritik wurde erstmals zur Erstausstrahlung des Dortmunder Falls am 21. Februar 2021 veröffentlicht.
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