Elfriede Jelinek wurde Ehrenbürgerin der Stadt Wien

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist Wiener Ehrenbürgerin. Die 76-jährige Autorin, die 2004 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, hat am Dienstagnachmittag ihre Urkunde im kleinen Kreis von Bürgermeister Michael Ludwig und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (beide SPÖ) überreicht bekommen – mit fast zweijähriger Verspätung. Der entsprechende Beschluss war im September 2021 im Wiener Gemeinderat gefasst worden.

Die Verzögerung der Übergabe sei „hauptsächlich Corona geschuldet“, sagte der Bürgermeister, die Tatsache der öffentlichen Annahme der Ehrung sei jedoch außergewöhnlich. Das hob auch die Geehrte in ihren Dankesworten hervor. „Es ist die einzige Ehrung seit dem Nobelpreis, die ich angenommen habe.“ Dies sei vor allem einem Umstand geschuldet: „Ich bin wirklich Wienerin“, so die in Mürzzuschlag zur Welt Gekommene, deren Wiener Eltern dort ein Ferienhaus besaßen. Sie fühle sich der Tradition des Roten Wien sehr verbunden – und sie nehme die Ehrung auch als Statement „gegen diese Normalitätsterroristen“ an. „Ich wundere mich sehr, dass bei dieser Normalitätsdebatte niemand vom gesunden Volksempfinden der Nazis redet, denn von dort kommt das her. In einem Land, wo so viele Landeshäuptlinge ohne Not und ohne Zwang mit diesen Leuten zusammengehen, mit Protofaschisten, Neofaschisten, Neonazis sogar, muss man diese Stadt mit ihrer ganzen Multikulturalität und ihrer Integrationskraft des Fremden hochhalten.“

Zu Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürgern kann der Gemeinderat laut Wiener Stadtverfassung Personen ernennen, „die sich um die Republik Österreich oder die Stadt Wien besonders verdient gemacht haben“. Allzu oft wird davon nicht Gebrauch gemacht. Vor Jelinek wurden seit dem Jahr 2000 nur 13 Persönlichkeiten auf diese Art und Weise gewürdigt – darunter Billy Wilder (2000), Eric Hobsbawm (2008), Friederike Mayröcker (2015), Franz Vranitzky und Heinz Fischer (2017), Hugo Portisch (2018) und Michael Häupl (2019).

Die Ehrung für Jelinek hatte 2021 für Kritik bei der FPÖ gesorgt. Mit ihr werde eine deklarierte „Österreich-Hasserin“ geehrt, befand der blaue Kultursprecher Stefan Berger. Schon 1995 hatte die FPÖ die Schriftstellerin auf Plakaten angegriffen. „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk… oder Kunst und Kultur?“, lautete damals der Slogan. Bürgermeister Ludwig erinnerte an dieses Plakat – und freute sich, dass mit Ex-Minister Rudolf Scholten auch ein anderer damals Angegriffener zur Ehrung, die nach dem Wunsch der Geehrten in einem Lokal in Wien-Hietzing vorgenommen wurde, erschienen war. Neben Freunden und Familienmitgliedern waren etwa die Autorinnen Rosa Pock und Raphaela Edelbauer, die Filmregisseure Ulrich Seidl und Franz Nowotny und die ehemalige Volkstheater-Direktorin Emmy Werner (der vom Bürgermeister zu ihrem morgigen 85. Geburtstag gratuliert wurde) unter den zwei Dutzend Gästen.

Bürgermeister Ludwig erinnerte daran, dass Jelinek mit ihren Werken „viele Türen geöffnet hat für die sehr harte Diskussion“ über die österreichische Vergangenheit und zeigte sich sehr stolz, dass Jelinek die Ehrung angenommen habe: „Das ehrt uns!“ Endlich sei der Prozess der Auszeichnung nun auch formal zum Abschluss gekommen, „eingraviert in die Marmortafel haben wir es schon“.

Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hielt die Laudatio. Ihre Romane würden „selbst von jenen, die doch nicht gelesen haben (ich befürchte, das sind viele) und sogar jenen, die deinem Werk feindlich gegenüberstehen, gerne ins jeweilige Gefecht und Geflecht geführt“, ihre Theatertexte hätten „Staats- und Stadttheater ebenso in Turbulenzen geführt, wie sie an den vermeintlichen Rändern des künstlerischen Feldes Form und Ästhetik zu neuen Experimenten inspiriert haben“, sagte sie. „Du hast einen unglaublichen Instinkt für akute Themen. (…) Die Tagesaktualität verwandelst Du in Deiner Welt- und Sprachwahrnehmung zu einer grundsätzlichen Analyse von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zuständen.“ Jelinek sei zutiefst Wien verbunden. Sie stecke „in der Tradition und dem Sprachwitz eines Nestroy, der Wittgensteinschen Sprachphilosophie und der sprachlichen Virtuosität der Wiener Gruppe“ und verfüge über eine „wunderbare Beherrschung des Wiener Schmähs“.

Elfriede Jelinek wurde als Tochter eines in Wien lebenden Ehepaares am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Ihre „ungemein leistungsbezogene“ Mutter habe sie zum Wunderkind „dressieren“ wollen, erklärte Jelinek einmal. Mit sechs Jahren begann sie ihren Klavierunterricht und übte schon bald an einem eigens angeschafften Steinway-Flügel. Mit 13 wurde sie jüngste Schülerin in der Musikhochschule und begann ein Orgelstudium. Später lernte sie auch Bratsche und Gitarre, mit 16 auch noch Komposition. In ihrem berühmten, von Michael Haneke verfilmten Roman „Die Klavierspielerin“ (1983) haben diese Erfahrungen ihren Niederschlag gefunden.

Elfriede Jelinek wurde nicht Musikerin, sondern Autorin. Noch als Studentin veröffentlichte sie 1967 ihren ersten Gedichtband „Lisas Schatten“. Sowohl ihr Romandebüt „wir sind Lockvögel, baby“ (1970) als auch spätere Romane wie „Die Ausgesperrten“ (1980), „Lust“ (1989) oder „Die Kinder der Toten“ (1995) begeisterten die Kritiker, stießen jedoch in gleichem Maße auf heftigen Widerstand. In ihrer literarischen Arbeit übt Jelinek immer wieder scharfe Kritik an der Männer- und Klassengesellschaft und setzt sich kritisch mit den Themen Sexualität, Gewalt und Macht auseinander.

„Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft“ war 1979 das erste Theaterstück Elfriede Jelineks. Es folgten zahllose weitere und immer wieder ausgezeichnete Stücke – darunter das Skandal machende „Burgtheater“ (1985) und das unter großem Aufsehen 1998 am Burgtheater uraufgeführte „Ein Sportstück“ -, die sich zunehmend zu monologartigen Textflächen und zur Herausforderung der Regisseurinnen und Regisseure entwickelten, denen die Autorin jedoch alle Freiheiten ließ.

Aus der Öffentlichkeit hat sich Elfriede Jelinek seit langem aufgrund einer psychischen Erkrankung komplett zurückgezogen. Auch ihre Stockholmer Nobelpreis-Rede hielt sie per Videoaufzeichnung. Umso bemerkenswerter, dass sie die Urkunde heute persönlich entgegennahm.

(APA)

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