Ein "Tatort" über das alte und das neue St. Pauli

Hamburg – Gibt es ihn noch? Den alten Kiez? Oder wird die Hamburger Reeperbahn längst beherrscht von einer neuen Garde der Kiezkönige, die den Ton auf eine völlig andere Art angibt? Der Hamburger ARD-„Tatort“ an diesem Sonntag (20.15 Uhr) versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Für die Episode „Die goldene Zeit“ von Regisseurin Mia Spengler aus dem Jahr 2020 tauchen die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) tief in das Hamburger Rotlichtmilieu ein.

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Nach einem Mord an einem Clan-Sprössling richten sich die Ermittlungen schnell gegen die verfeindeten Albaner-Banden, denen „schon der halbe Kiez“ gehört. Haben sie einen Jugendlichen für einen Auftragsmord aus dem Ausland geholt, um die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen?

Der Sonntagskrimi greift viele Probleme der Reeperbahn auf: Menschenhandel, Prostitution, Rache, Bandenkrieg, organisiertes Verbrechen und Gentrifizierung. All diese Themen werden mal mehr und mal weniger intensiv angesprochen, nie aber bewertet. Der Zuschauer ist dank der Kameraführung und der Drehorte mittendrin im Kiez. Denn Regisseurin Mia Spengler und ihr Kameramann Moritz Schultheiß sind für viele Teile des Drehs ohne Berührungsängste mitten auf die Reeperbahn gegangen.

Zu Fuß unterwegs

Zwar wurde der Film nicht nur zur Rush Hour auf der Reeperbahn gedreht, wie Weisz dazu im Gespräch mit dpa sagt. „Aber, wenn dann etwas Unkontrolliertes passiert ist, wurde nicht abgegrenzt oder weggesperrt, sondern es wurde mit aufgenommen.“ So habe beispielsweise bei einer langen Dialogszene ein Hubschrauber in der Luft gekreist. „Wir haben aber nicht abgebrochen deswegen, sondern es wurde trotzdem weiter gedreht. Und das macht dann natürlich den Kiez auch so spürbar“, so Weisz. Zudem sei das Team die gesamte Zeit zu Fuß auf St. Pauli unterwegs gewesen. „Und das trägt dazu bei, dass sich das alles echt anfühlt und dass man den Kiez auch ein bisschen riechen kann, wenn man sich den Film anschaut.“

Die Freundschaft von Falke und Grosz wird in ihrem achten gemeinsamen Fall intensiver. Die beiden mögen sich, das wird vor allem durch ruhige Szenen am Rande erzählt. „Es fühlt sich nach einer richtig guten vertrauten Zusammenarbeit an, einer Teamarbeit im besten Sinne“, sagt Weisz dazu. Das kommt gerade zur richtigen Zeit, denn Falke ist bei den Ermittlungen im Kiez durchaus befangen. Da kommt die kiezferne und eher kühle Einschätzung von Grosz gerade recht.

Falkes Jugend als Türsteher auf St. Pauli lässt ihn dagegen mit viel Nostalgie an den Fall herangehen. So unterschätzt er auch die Gefährlichkeit seines einstigen Mentors, des Luden Michael Lübke (Michael Thomas). Das Kiez-Urgestein, in dessen Welt noch Handschlag und Ganoven-Ehre gelten, war mal Sicherheitschef des Pohl-Clans. Nun putzt er im Grunde nur noch für die Sprösslinge deren Autos. Doch als der Sohn seines mittlerweile schwerkranken einstigen Chefs im Hausflur vor seiner eigenen Wohnungstür erstochen wird, kann Lübke das nicht so stehen lassen. Er geht auf eigene Faust auf einen Rachefeldzug und versucht dabei, auch die Beziehung zu Falke für sich zu nutzen.

Der „Tatort“ zeichnet auf eine beeindruckende Weise sowohl den alten als auch den neuen Kiez nach. Während der alte Kiez und dessen Zuhälterkultur mit heruntergerockten Kneipen und desillusionierten Luden und Huren gezeigt wird, kommt der neue Kiez mondän in der Shisha Bar und mit gestylten Männern daher. Möhring spricht im dpa-Interview von „der eiskalten und persönlichen Maschinerie der Clanbanden“. Der „Tatort“ schaffe es, die derzeit aktuelle Clan-Mentalität gut abzubilden, sagt er. „Ich glaube sogar, dass da noch tief gestapelt wird, was die Banden- und Clanstrukturen überall in Großstädten angeht. Das ist nur die Spitze des Eisberges.“ © dpa

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