Ein Album, das sich auf ein Genre beschränkt? Das ist nichts für Edie Brickell, weder als Musikerin noch als Hörerin. „Das spiegelt doch nicht das Leben wider“, erklärt sie auf ihrer Website. „Wir werden doch mit allen möglichen Sounds konfrontiert, wie soll man sich da auf einen Geschmack beschränken?“ Tatsächlich hat sich die 54-Jährige nie an den gängigen Schubladen orientiert, sondern stets gemacht, wonach ihr der Sinn stand.
Nur das Debütalbum ihre New Bohemians klang noch recht einheitlich. Die Band hatte sich an der Universität in Brickells Heimatort Dallas gefunden, Edie stieg nach einer Jam-Session 1985 ein, und „Shooting Rubberbands At The Stars“ wurde 1988 ein Doppelplatin-Erfolg, auch dank der Hitsingle „What I Am“.
Plattenfirma weigerte sich das Album „The Slip“ zu veröffentlichen
Nach einem weniger erfolgreichen Nachfolgewerk von 1990 löste sich die Band auf, Brickell gründete eine Familie und veröffentlichte nur noch mit großen Abständen Alben – und machte dann stilistisch stets, was ihr gefiel. Bei ihrem Solodebüt „Picture Perfect Morning“ 1994 stellte sie neben zeitgemäße Popsongs eine Doo-Wop-artige Ballade mit Fünfziger-Feeling, auf der plötzlich Barry White mit seiner Schlafzimmerstimme zu brummen anfing. Dem anderen prominenten Gast Dr. John überließ sie sogar allein das Rampenlicht für ein bluesiges Instrumental, da spielte Brickell noch nicht mal mit.
1996 nahm sie dann wieder ein Album mit den New Bohemians auf, doch „The Slip“ klang derart rockig und anders als frühere Werke, dass die Plattenfirma sich weigerte, es zu veröffentlichen. Und später wurde alles noch bunter: Mal nahm sie ein Album mit den Gaddabouts von Star-Schlagzeuger Steve Gadd auf, mal spielte sie Folk und Bluegrass mit Komiker-Legende Steve Martin, der sie kompetent am Banjo begleitete. Mit ihm schrieb sie auch ein Broadway-Musical. Und immer mal wieder kam Edie Brickell mit ihren alten New Bohemians zusammen, 2018 erschien nach zwölfjähriger Pause „Rocket“.
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Nun folgt „Hunter And The Dog Star“ und da wird das stilistische Hin-und-Her eben auf Albumlänge komprimiert. Manches erinnert an die Anfänge der Band, doch zwischendrin bringen Brickell und ihre Kollegen munter zusammen, was nicht zwingend zusammengehört. Auf dem funkig-rockigen „Tripwire“ spricht sie fast im Rap-Stil – und direkt darauf folgt die melodiöse Countrynummer „Horse’s Mouth“ mit Pedal Steel Guitar. „Evidence“ ist gar kein Song, sondern eine zweiminütige wabernde Klangkulisse.
Edie Brickell seit 1992 mit Weltstar Paul Simon verheiratet
Beim Opener „Sleeve“ wird das Gegensätzliche in einem Stück zusammengefügt: Es legt rockig los mit flottem Beat, angezerrtem Bass und einem tollen drahtigen Gitarrenlick, später folgt ein wildes Solo – doch Edie Brickells Gesang ist poppig-melodiös, und diese Spannung macht den Reiz aus. Bei „Don’t Get In The Bed Dirty“ spricht Brickell in der Strophe rhythmisch-spröde zu reiner Percussion-Begleitung, und umso stärker hebt sich der unwiderstehliche Refrain ab. Die New Bohemians geben einzelnen Parts ihrer Songs etwas Unverkennbares, markante Riffs und abwechlungsreiche Sounds setzen die Teile gekonnt voneinander ab – das ist das ehrenwerte Handwerk des Pop-Arrangements. Das funktioniert ebenso gut bei „I Don’t Know“ oder der Schlussnummer „My Power“.
Apropos Power: Bei früheren Alben der New Bohemians sei die Energie der Band nie so recht rübergekommen, schreibt Edie Brickell auf ihrer Website, doch auf dem neuen Album sei das anders.
Da kann man nur zustimmen: Produzent Kyle Crusham hat bei den Sessions im texanischen Austin nahe Edie Brickells Heimatort einen großartigen, fetten und dynamischen Sound geschaffen.
Dieses tolle Album kann Edie Brickell also auch daheim stolz vorspielen. Da allerdings dürfte die Messlatte höher liegen als bei anderen Popmusiker-Familien: Der Mann, den Edie Brickell 1992 heiratete und mit dem sie drei gemeinsame Kinder aufzog, ist Paul Simon.
Edie Brickell & New Bohemians: „Hunter And The Dog Star“ (erschienen bei Shuffle Records/Thirty Tigers/Membran)
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