Antonello Manacorda: Vierhändig mit dem Regisseur

Die vorletzte Inszenierung von Carl Maria von Webers Oper war 1990 ein denkwürdiges Debakel dank einer verpatzten Regie und eines unzureichenden Dirigenten. Nikolaus Bachler gab damals sein Debüt als Samiel. Acht Jahre später krachte es beim nächsten Versuch zwischen der Sopranistin Cheryl Studer, dem Dirigenten Zubin Mehta und dem Intendanten Peter Jonas. Auch dieser „Freischütz“ verschwand schnell vom Spielplan. Nun wagt Bachler in seiner letzten Spielzeit einen Versuch mit dieser schwierigen und sehr deutschen Oper: Dmitri Tcherniakov inszeniert, Antonello Manacorda dirigiert das Bayerische Staatsorchester.

AZ: Herr Manacorda, außerhalb Deutschlands trifft man den „Freischütz“ eher selten. Wie haben Sie die Oper kennengelernt?
ANTONELLO MANACORDA: Mit ungefähr 20 Jahren wurde ich süchtig nach Carlos Kleiber. Ich habe mir alle seine Aufnahmen angehört – es sind ja nicht so viele. Auf diese Weise lernte ich den „Freischütz“ kennen. Man kann natürlich auch bei Karl Böhm oder Wilhelm Furtwängler Tolles finden. Kleibers Sicht bleibt für mich einmalig. Sie hat eine unglaubliche Prägnanz. Kleiber inszeniert den „Freischütz“ sozusagen im Orchestergraben. Ein Vorzug der Aufnahme ist auch, dass die Dialoge von Schauspielern gesprochen werden.

„Freischütz“: leichter zu dirigieren als zu inszenieren

Aufführungen dieser Oper sind allerdings selten eine Freude.
Es scheint leichter zu sein, den „Freischütz“ zu dirigieren, als ihn zu inszenieren. Ich bin sehr glücklich mit Dmitri Tcherniakov. Er übersetzt die Stücke radikal, konsequent und klar ins Heute. Aber das war nicht einfach, Tcherniakov hat mir gesagt, er habe fünf Konzepte weggeworfen.

Der eine oder andere Zuschauer könnte sich nach dem deutschen Wald sehnen.
Natur kommt bei uns nicht vor. Die Natur ist in dieser Inszenierung die Natur des Menschen. Tcherniakov interessiert sich sehr für die Spannungen zwischen den Figuren und den Menschen.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Verpflichtung eines Italieners und eines Russen der Versuch ist, mit dem allzu Deutschen dieser Oper fertigzuwerden.
Ich bin halb Italiener, halb Franzose und lebe schon seit 20 Jahren in Deutschland. Mein Repertoire ist ziemlich deutsch: Zuletzt habe ich mit der Kammerakademie Potsdam die Symphonien von Schubert und Mendelssohn aufgenommen.

von Wilfried Hösl

Woher kommt Ihre Beziehung zur deutschen Musik?
Mein musikalischer Geschmack bildete sich in der Zeit als Konzertmeister des Mahler Chamber Orchestra unter Claudio Abbado. Wir spielten viel Wiener Klassik und Beethoven, dazu Zweite Wiener Schule und später mit dem Lucerne Festival Orchestra Mahler und Bruckner.

Etwas italienische Oper steckt auch im „Freischütz“, etwa in der großen Arie der Agathe oder in Kaspars Koloraturen.
Italiener verstehen den „Freischütz“ als deutsche Belcanto-Oper. Das halte ich für ein Missverständnis. Weber folgt der Tradition des deutschen Singspiels seit Mozarts „Entführung“. Bei Kaspar stehen die Koloraturen dramaturgisch für das Teuflische und die Verrückheit der Figur.

Entscheidende Szene: Wolfsschlucht

Die entscheidende Szene ist und bleibt die Wolfsschlucht.
Der „Freischütz“ springt mit dem „Victoria!“-Chor direkt in die Handlung hinein – auf Rat von Webers Gattin übrigens. Die Wolfsschlucht bildet im Zentrum der Oper, die Arien danach wirken leicht retardierend, ehe das Finale einsetzt. Das Einmalige an der Wolfsschlucht ist die Verbindung von gesprochenem Wort, Gesang, fast symphonischer Instrumentalmusik und einem szenischen Spektakel.

Die Wolfsschlucht ist leider sehr schwer zu inszenieren.
Deshalb bin ich froh, dass ich hier mit Dmitri Tcherniakov sozusagen vierhändig spiele. Ich bin seit dem ersten Probentag hier. Auch ohne Corona hätte ich mir die Zeit bis zur Premiere freigehalten, um den „Freischütz“ im Orchestergraben so stark zu inszenieren wie auf der Bühne. Ohne diese enge Zusammenarbeit kann ich etwas wie die Wolfsschlucht nicht dirigieren.

Haben Sie die Orchesterbesetzung verkleinern müssen?
Auch den Chor: Der Jägerchor wird nur von 12 Herren gesungen. Aber das geht, weil wir alle Teil der Sache sind. Das fällt unter den gegenwärtigen Umständen leichter: Alle Beteiligten können sich ohne die täglichen Repertoirevorstellungen voll auf den „Freischütz“ einlassen. Es ist sozusagen ein Privileg durch die Tragödie.

Weber wird oft in einem Atemzug mit Wagner genannt. Tut man ihm da nicht Gewalt an?
Es wäre falsch, die Musik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Brille der zweiten Hälfte zu sehen. Weber hatte nicht den „Tristan“ im Ohr, als er den „Freischütz“ komponierte.

Welche Konsequenzen hat das für den Dirigenten?
Es ist daher wichtig, die Gesangspartien nicht zu heldisch zu besetzen – was auch schon Carlos Kleiber so gemacht hat. Ich möchte den spezifischen Klang und die Sprache von Weber, Schubert oder Debussy entdecken, nicht die Virtuosität eines Orchesters und seine Brillanz mit Hilfe eines Komponisten vorführen.

Was macht Webers musikalische Sprache aus?
Sie ist die notwendige Brücke zwischen Schubert und Wagner. Weber überträgt die Prinzipien der Lieder Schuberts auf die Oper. Er löst damit ein Problem, das Schubert selbst in „Alfonso und Estrella“ oder „Fierrabras“ nicht völlig bewältigt hat. Für Schubert war Musik immer Musik, Weber denkt viel stärker von den Instrumenten und ihren Farben her.

Würden Sie Ihren Ansatz „historisch informiert“ nennen?
Wir sollten alle historisch informiert lesen, finden Sie nicht? Das gilt doch sogar für die Lektüre der Bibel. Ich hebe abwehrend die Hand, wenn man meinen Ansatz historisch informiert nennt, nur weil ich Schubert in der ungefähren Orchesterbesetzung seiner Zeit aufnehme. Ich finde das eigentlich normal, das so zu machen. Für das historische Instrumentarium habe ich mich nie besonders interessiert, auch als Geiger nicht, wenn sie mir hörend die Ohren geöffnet hat. Natürlich hilft es, sich mit Leopold Mozarts Violinschule zu beschäftigen. Aber das entscheidende Buch ist die jeweilige Partitur.

Die Premiere wird am Samstag, den 13. Februar, ab 19 Uhr auf staatsoper.tv kostenlos übertragen, anschließend kann die Aufführung gebührenpflichtig in der Mediathek abgerufen werden.

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