Blutmond über Athen: "Phädra, in Flammen" im Akademietheater

Die Antike fasziniert Nino Haratischwili. „Das sind Stoffe, zu denen ich immer wieder zurückkehre“, sagt die aus Georgien stammende Autorin, die mit ihren umfangreichen Romanen im deutschen Sprachraum ebenso Fuß gefasst hat wie mit ihren Stücken. „Medea“ und „Elektra“ hat sie bearbeitet, im Februar inszeniert sie „Penthesilea. Ein Requiem“ in Berlin. Gestern, Samstag, feierte „Phädra, in Flammen“ ihre akklamierte Österreichische Erstaufführung im Akademietheater.

Es ist ein Abend, der gekonnt die Schwebe hält zwischen antiker Archaik und zeitloser Aktualität. Regisseurin Tina Lanik und ihr Ausstatter Stefan Hageneier haben dafür einen faszinierenden Kunstraum erschaffen, eine leicht schräg gestellte Spielfläche, hinter der ein Himmelskörper hängt, der auf- und untergehen und in den Schatten gelangen kann. Der Kalender der alten Griechen, den Haratischwili für ihre den Szenen vorangestellten Zeitangaben ausgiebig zitiert, rechnete in Mondphasen. Meist ist es jedoch der Blutmond, der das Handeln der Menschen bestimmt. Die ins Rot getauchte Bühne ist das bestimmende Bild dieser zweistündigen Aufführung.

Athens Königin Phädra, die Gattin des auf den Schlachtfeldern und gegen den Minotauros siegreichen, seine Frau ungeniert betrügenden Theseus (Ernest Allan Hausmann), steht innerlich in Flammen. Das erkennt ihre künftige Schwiegertochter Persea auf den ersten Blick. Die Beziehung zwischen der in knallrotem antikisierenden Fantasiekostüm gewandeten machtlosen Herrscherin und der ihr in Obhut gegebenen jungen Frau, deren schwarzes Kleidchen ihre Ganzkörper-Tattoos zeigt, steht im Mittelpunkt.

Haratischwili lässt Phädra nicht ihrem Adoptivsohn Hippolytos nachstellen, sondern die beiden Frauen einander in Liebe entbrennen. Erstaunlich: Obwohl auf der Bühne keinerlei amouröse Anziehungskraft zwischen der verzweifelten, sich immer mehr zurückziehenden Phädra der Sophie von Kessel und der unbekümmerten, mit allerlei Heilkräften und großer Menschenkenntnis ausgestatteten Persea von Dagna Litzenberger Vinet zu spüren ist, funktioniert diese Neukonstruktion des Mythos hervorragend. Denn die Frauen sind als Störfaktoren in einer Männerwelt gezeichnet, ihre Zuneigung ist ein Skandal, der geahndet werden muss.

In der autoritär und patriarchal regierten Gesellschaft sind sowohl Politik als auch Religion Mittel der Macht. Das ist auch die Erfahrung, die Nino Haratischwili in ihrer Heimat Georgien machen muss. Ihre Erlebnisse bei Ausschreitungen gegen friedliche LGBT-Demos in Tbilisi im Juli 2021, bei denen die politische Rechte mit der orthodoxen Kirche gemeinsame Sache machte, waren prägend für die Umschreibung ihrer „Phädra“-Version, die Hippolytos zunächst sehr wohl miteingeschlossen habe, erzählt die Autorin im Programmheft.

Nun ist es der Hohepriester Panopeus, den Philipp Hauß als machtbewussten Intriganten zeichnet, der alle Fäden in der Hand hält. Theseus klammert sich an seine Macht. Dass er sein Versprechen, den Thron an seinen Erstgeborenen Demophon (Julian von Hansemann) zu übergeben, wohl nicht allzu bald wahr machen wird, überreißt dieser erst spät. Das hat sein jüngerer Bruder Acamas (Etienne Halsdorf) schon längst kapiert. Er ist zarter, weicher, verständnisvoller, liebesbedürftiger. Zum Militär will er nicht. Also wird ihm ein Praktikum als Tempeldiener angeboten …

Mit heutigen Details hält sich Haratischwili erstaunlich zurück. Stärkster Eingriff, geeignet zum Schmunzeln wie zum Erschrecken: Als der Hohepriester die Wiedereinführung von Menschenopfern durchsetzt, lässt er die Leser seines neuen „Tempelmagazins“ darüber abstimmen, wer als größter Sünder geopfert werden soll. Nachdem Phädra eben dort in einem Interview die „Hexe“ Persea der Verführung beschuldigte, ist absehbar, wen das Volk auf die Schlachtbank schickt.

Zu den wenigen Schwachstellen von Laniks Regie zählen die Auftritte eines stummen Chors, die absolut verzichtbar sind. Die Musik von Electric Indigo, die sich in gelegentlichen leisen, irritierenden Störgeräuschen erschöpft, könnte hingegen deutlich präsenter sein. Dennoch ein starker Abend, der mit viel Applaus bedacht wurde.

(S E R V I C E – „Phädra, in Flammen“ von Nino Haratischwili, Regie: Tina Lanik, Bühne und Kostüme: Stefan Hageneier, Musik: Electric Indigo. Mit: Etienne Halsdorf, Julian von Hansemann, Ernest Allan Hausmann, Philipp Hauß, Sophie von Kessel, Dagna Litzenberger Vinet. Österreichische Erstaufführung im Akademietheater, Nächste Vorstellungen: 11., 16. und 24. Oktober. )

(APA)

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