Immer wieder wird das kostenpflichtige Streaming-Angebot ARD Plus wegen der zusätzlichen Kosten kritisiert. Mit den Rundfunkgebühren hat ARD Plus allerdings nichts zu tun. Dass „Tatort“-Folgen hinter einer Paywall verschwinden, ist dennoch schwer vermittelbar.
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.
Am 18. Oktober des vergangenen Jahres startete die ARD ihr neues, kostenpflichtiges Streaming-Angebot ARD Plus und erntet dafür seitdem immer wieder Shitstorms. Warum für das Streamen zahlen, wenn die ARD doch bereits durch den Rundfunkbeitrag finanziert ist? So lautet der Tenor der vor allem in den sozialen Medien geäußerten Kritik.
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Dabei muss allerdings beachtet werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkverbund ARD und das Streaming-Angebot ARD Plus zwei völlig unterschiedliche Dinge sind: Der Rundfunkbeitrag, mit dem das Programm der ARD und deren Hörfunk- sowie Online-Angebote finanziert werden, ist verpflichtend. ARD Plus dagegen ist ein zusätzliches freiwilliges Angebot für 4,99 Euro im Monat.
„Bei ARD Plus bin ich als Kunde, beim linearen Fernsehen und in der Mediathek als Bürger. Das eine ist nutzungsabhängig, das andere ist nutzungsunabhängig. Das sind zwei völlig unterschiedliche Modelle“, erklärt der Medienökonom Prof. Thorsten Hennig-Thurau im Gespräch mit unserer Redaktion.
Alte ARD-Produktionen werden nun bei ARD Plus gezeigt
Auf ARD Plus können in erster Linie alte Produktionen der ARD gestreamt werden, an denen der Sender aus unterschiedlichen Gründen die Rechte nicht mehr besitzt. Dazu zählen „Tatort“-Krimis, Klassiker wie „Raumpatrouille Orion“ oder „Drei Damen vom Grill“, aber auch internationale Filme und Serien.
Die ARD verweist in einem Text auf „tagesschau.de“ darauf, dass im Medienstaatsvertrag festgelegt sei, dass diese älteren Produktionen nicht dauerhaft in der frei zugänglichen ARD-Mediathek angeboten werden dürften. Weshalb mit ARD Plus eine kommerzielle Plattform geschaffen wurde, um solche „Highlights aus 70 Jahren ARD-TV-Geschichte“ kostenpflichtig anzubieten.
ARD: Frage nach Integration in die Mediathek stellt sich nicht
„Im Medienstaatsvertrag formuliert der Gesetzgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Nach diesen rundfunkrechtlichen Vorgaben ist auch die Wahrnehmung kommerzieller Tätigkeiten möglich, diese muss insbesondere marktkonform ausgestaltet sein“, teilte ein ARD-Sprecher auf Nachfrage mit.
„ARD Plus ist ein solches kommerzielles Angebot, das im Wege der nachgelagerten Verwertung Produktionen anbietet, die in der ARD-Mediathek aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr gezeigt werden. Insofern stellt sich die Frage einer Integration dieser Inhalte in die ARD Mediathek nicht. Der Gesetzgeber hat einen rechtlichen Rahmen geschaffen, den die ARD selbstverständlich respektiert“, erklärte der ARD-Sprecher weiter.
Trotzdem ist es nicht so einfach zu verstehen, dass ein „Tatort“-Krimi, dessen Produktion bereits durch den Rundfunkbeitrag finanziert wurde, und der kostenlos im linearen TV ausgestrahlt wurde, hinter einer Paywall verschwindet.
„Bei den zugekauften Produktionen können die Zuschauer:innen das nachvollziehen, das sind ja ‚Extra-Inhalte'“, sagt Hennig-Thurau: „Bei den Eigenproduktionen hingegen liegt die Sache aber deutlich anders: Denn deren Herstellung ist ja mit Gebühren finanziert worden. Dass Zuschauer:innen für einen Tatort nach einiger Zeit ein zweites Mal bezahlen sollen, ist schwer vermittelbar und dürfte auf viele wie ‚doppelt kassieren‘ wirken. Dies gilt umso mehr, da Wiederholungen alter ‚Tatort‘-Folgen zum Standardrepertoire des linearen ARD-Programms zählen.“
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Gerichtsurteil regelt Rechteanspruch bei TV-Produktionen neu
Der Medienstaatsvertrag ist auch nicht der einzige Grund, warum ARD-Produktionen nicht in der Mediathek zu sehen sind. Vor kurzer Zeit habe es eine gerichtliche Entscheidung gegeben, „der zufolge die Regelung, dass Produzenten für ihre Content-Erstellung im Auftrag der ARD einmalig Geld bekommen und danach nicht mehr, als nicht rechtmäßig angesehen wird. Es wurde ein langfristiger Rechteanspruch eingefordert“ , erklärt Hennig-Thurau.
Dies werde in der Praxis so umgesetzt, „dass die ARD den Content in den Mediatheken nicht mehr zur Verfügung stellt“, sagt der Professor für Marketing und Medien: „Die Rechte fallen an die privaten Film- und Serien-Produzenten, die dann den Content vermarkten. Dann finden sich für die ARD produzierte Serien bei Prime Video oder anderen Streaming-Angeboten.“ Diese Praxis sei Standard, aber keineswegs vorgeschrieben, erläutert Hennig-Thurau: „Es gibt kein irgendwie geartetes Verbot für die ARD, ihren Content weiter zu lizenzieren. Es geht ja nur darum, die Produzenten angemessen an der Vermarktung zu beteiligen.“
Die ARD kopiert die private Konkurrenz
In diesem Fall muss die ARD die Rechte an ihren Klassikern zurückkaufen. Die Kosten dafür werden nun im Fall von ARD Plus an die Kundinnen und Kunden weitergegeben. Was letztlich gar keine so neue Idee ist. Schließlich gab es auch früher schon „Tatort“-Sammelboxen auf DVD oder Videokassette zu kaufen. Der Münsteraner Hochschullehrer weist aber auf grundlegende Unterschiede hin: Streaming, als „nichtlineares TV“, sei dem linearen Programmangebot deutlich ähnlicher als es der Kauf von DVDs. Zudem werden die DVDs fast immer von privaten Anbietern vermarktet, nicht von der ARD.
Was damals kaum jemanden interessierte, ist im Zeitalter des Streamings und der sozialen Medien Gegenstand ständiger Diskussionen. Bei vielen Menschen kommt es jedenfalls nicht sonderlich gut an, dass die gebührenfinanzierte ARD ein kostenpflichtiges Streaming-Portal neben dem TV-Programm und der (freien) Mediathek betreibt. Das liege daran, dass die Zuschauer weder Verständnis für noch Interesse an Rechtedeals und öffentlich-rechtlicher Kostenrechnung hätten, so Hennig-Thurau.
ARD muss noch Antworten auf die digitalen Herausforderungen finden
Daraus erwächst für den Medienökonom die Anforderung an die ARD, nicht die private Konkurrenz wie RTL oder ProSiebenSat.1 zu kopieren, die mit RTL+ oder Joyn ebenfalls kostenpflichtige Angebote anbieten. Stattdessen müsse man endlich Modelle entwickeln, die den grundlegenden eigenen Besonderheiten Rechnung tragen.
Den großen Veränderungen, die die digitale Transformation erforderlich macht, habe sich die ARD noch nicht gestellt, findet Thorsten Hennig-Thurau. Daran ändert auch das Abo-Angebot ARD Plus nichts: Es ist vielmehr ein weiterer Beleg dafür, dass man eine Antwort auf die Frage finden muss, was die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen im digitalen Zeitalter sein soll.
Zur Person: Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing & Medien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Das Gespräch wurde telefonisch geführt.
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Anfrage an die Pressestelle der ARD
- Tagesschau.de: Warum ist ARD Plus nicht kostenlos?
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