Dissonanzen, eine verfremdete Stimme, Feldaufnahmen: Die Alternative-Sängerin und Songwriterin PJ Harvey hasst es, sich zu wiederholen. Mit ihrem neuen Album „I Inside the Old Year Dying“, das am 7. Juli erscheint, betritt die eigenwillige wie geheimnisvolle Britin wieder einmal Neuland. Geboten werden experimentelle Songs, die teils unbequem, aber auf geheimnisvolle Weise anziehend sind.
Manchmal klingen die Lieder, als wären sie nur schwer noch einmal in derselben Weise zu reproduzieren. Harvey sagt dazu laut Mitteilung, das Album sei „ein sehr fühlbares, menschliches Protokoll, weil einfach alles daran in der Improvisation verankert ist: Spontane Darbietungen und Ideen, aufgenommen zum Zeitpunkt ihrer Erschaffung“.
Es ist das zehnte Album der 53-Jährigen und das erste seit sieben Jahren. Die zwölf Songs soll sie in gerade einmal drei Wochen geschrieben haben. Aufgenommen hat sie die Platte mit ihrem musikalischen Langzeit-Partner, dem Multiinstrumentalisten John Parish, sowie dem Producer Flood.
Eingängige Refrains sind darauf selten zu finden. Stattdessen wechseln sich Harmonien und Dissonanzen ab, ergänzt von Feldaufnahmen und Archivmaterial, wie etwa dem Klang „von im November durch Stacheldraht wehendem Wind“, wie Harvey dem „Guardian“ in einem kurz vor der Albumveröffentlichung erschienenen Interview verriet. Mal läuten im Hintergrund Glocken, mal klingt es, als ächze eine gewaltige Stahlstruktur unter hohem Gewicht und drohe gleich zusammenzubrechen.
Die Künstlerin, die mit vollem Namen Polly Jean Harvey heißt, singt meist mit entweder sehr hoher oder sehr tiefer Stimme, die sie selbst nicht als ihre eigene wiedererkenne, wie sie gesteht. „Jedes Mal, wenn es den Anschein machte, dass ich in einer Stimme sang, die sie meine PJ-Harvey-Stimme nannten, bekam ich ein Veto eingelegt“, sagte sie über ihre beiden Kollegen. Trotzdem bilanziert sie: „Ich glaube, ich habe noch nie so gut gesungen wie auf diesem Album.“
Sie erzeugt damit eine Stimmung, die teils wie nicht von dieser Welt scheint. Manchmal klingen die Songs melancholisch und geradezu unheilvoll wie bei dem Song „Autumn Term“, ein anderes Mal tröstend wie bei „Prayer at the Gate“ und „August“. Der gerade einmal knapp zweiminütige Titelsong „I Inside the Old Year Dying“ ist von einfachen Gitarrenakkorden bestimmt.
Die Texte stammen aus Harveys im vergangenen Jahr veröffentlichter Gedichtsammlung „Orlam“. Sie erzählt darin die Geschichte der neunjährigen Ira-Abel Rawles, die konfrontiert mit Gefahren und Herausforderungen als Mädchen die Unbeschwertheit des Kindseins hinter sich lassen muss. Mutmaßungen, Harvey könne bei der in der ländlichen Grafschaft Dorset spielenden Geschichte Autobiografisches verarbeitet haben, weist sie im „Guardian“-Interview von sich – doch so ganz kann sie damit nicht überzeugen. Auch Harvey wuchs in Dorset auf, wo ihre Eltern einen Steinbruchbetrieb hatten, und einiges, was über ihre Kindheit bekannt ist, ähnelt dem rebellischen Wesen der kleinen Ira-Abel.
Doch Harvey will sich nicht in die Karten schauen lassen. Die Deutung ihrer Kunst soll offen bleiben, daran scheint sie geradezu vehement festhalten zu wollen. „Was ist da oben, was ist da unten, was ist alt, was ist neu, was ist Nacht, was ist Tag? Es ist alles eins, wirklich – und du kannst dich hineinbegeben und dich verlieren“, beschreibt sie ihre neue Platte selbst. Der Reiz an diesem Album liegt besonders in dieser Aura des Geheimnisvollen, die nicht nur die Musik, sondern auch die Künstlerin umgibt.
(S E R V I C E – )
(APA/dpa)
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