- Sechs Jahre nach „Sturm & Stille“ erscheint am 11. November mit „Jeder nur ein X“ das neue Album der Sportfreunde Stiller.
- Nach fast fünf Jahren Bandpause haben die drei Musiker wieder zusammengefunden. Im Interview mit unserer Redaktion sprechen Schlagzeuger Florian „Flo“ Weber und Bassist Rüdiger „Rüde“ Linhof über ihr neues Album und die schwierige Lage der Welt.
- Auch zu Social Media und der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar haben die Sportfreunde Stiller eine klare Meinung.
Bei Rock im Park sind die Sportfreunde Stiller 1997 das erste Mal aufgetreten. In diesem Sommer war also 25-jähriges Jubiläum. Wie haben sich Konzerte und Festivals in dieser Zeit verändert?
Florian „Flo„ Weber: Vor allem für uns hat sich viel verändert. Unser erstes Konzert bei „Rock im Park“ fand im New Talent Forum statt, zu einer Uhrzeit, zu der noch nicht mal die Türen offen waren. Wir waren total glücklich, überhaupt dabei zu sein. Aber es war überhaupt niemand da. Beim dritten Lied wurden die Türen aufgesperrt und es sind drei, vier Leute reingestolpert, die pennen wollten. Und von da aus sind wir zu großen Auftritten gekommen, Co-Headliner oder Headliner auf der Alternastage. Diese Entwicklung ist natürlich Wahnsinn. Und jetzt nach unserer fünfjährigen Pause wieder mitspielen zu dürfen, ohne zu wissen, wie wir ankommen werden und dann von einer euphorischen Welle getragen zu werden – das ist der Grund, warum man Musiker sein will. Davon kann man all die Jahre zehren. Aber was hat sich grundsätzlich verändert? Wahrscheinlich hätte bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ vor 25 Jahren keine Band nach uns gespielt, die Hip Hop mit Autotune-Gesang macht. Die wären damals mit Dosenbier und Schlammbällen von der Bühne gefeuert worden (lacht).
Rüdiger „Rüde„ Linhof: Der Ticketkauf hat sich auch verändert. Mittlerweile muss man Daten angeben, die mir total unangenehm sind. Alles ist personalisiert, aus meiner Sicht überpersonalisiert. Aber ansonsten: Rock’n’Roll ist Rock’n’Roll geblieben.
Die Künstler schauen mittlerweile in tausende Smartphones. Wie fühlt sich das an?
FW: Das ist ein gewohnter Anblick für uns. Aber das ist natürlich total skurril. Warum können die Menschen nicht den Moment, den sie für sich erleben, den sie im besten Fall sehr lieben und für den sie bezahlt haben, einfach genießen? Wir haben auch mal versucht, denn Leuten zu sagen, dass sie bitte die Handys stecken lassen sollen, damit wir den Moment gemeinsam feiern können. Jetzt haben wir schon lange nichts mehr gesagt. Weil es einfach zur Normalität gehört. Zack, Bildschirm nach oben und irgendwen teilhaben lassen. Eigentlich scheiße, aber das ist einfach der Lauf der Zeit.
Die Gefahren von Social Media
Die Songs der Sportfreunde sind auf TikTok sehr beliebt, viele Videos werden damit unterlegt…
FW: Das freut uns natürlich! Aber die Frage ist ja wahrscheinlich, was halten wir von TikTok?
Oder von Social Media ganz allgemein?
RL: Das soll jetzt nicht konservativ klingen, aber ich finde Social Media brutal gefährlich. Die Gesellschaft wird disruptiert, die ganze Kommunikation wird auseinandergerissen. Desinformation spült die Köpfe, dafür haben wir in unserem demokratischen System noch keinerlei Umgang gefunden. Wir hinterfragen professionelle Pressearbeit, die auf eine Stufe gestellt wird mit Social-Media-Meinungen, die in keinster Weise professionell recherchiert werden. Der Begriff der Wahrheit wird verwischt. Einerseits ist es ein Kunstmedium, andererseits ist Social Media ein Medium, das extrem gesellschaftlichen Einfluss nimmt. Wir müssen realisieren, dass es etwas Systemsprengendes hat, gerade wenn ein Land wie Russland über trojanische Pferde in unseren gesellschaftlichen Diskurs schlüpfen kann.
FW: Du sagst das ganz richtig, Rüde. TikTok ist ja doch noch ein Kunstmedium, auf dem Kurzfilme und Musik präsentiert werden. Wir sind uns bewusst, dass das Konsumieren von Musik ganz andere Wege geht. Vor acht Jahren habe ich mich noch über Streaming aufgeregt, mittlerweile ist das ganz normal, Musik so aufzunehmen und zu genießen. Wobei ich anmerken möchte, dass Künstler dabei immer noch nicht fair vergütet werden. Aber uns ist ein Begriff wie Algorithmus schon bekannt (lacht). Wir wissen, dass man dafür kämpfen muss, wenn man dabei sein will. Man kann natürlich auch sagen: Wir machen kein Instagram, kein TikTok oder sonst irgendetwas. Aber dann muss man natürlich damit leben, weniger Plattformen zu haben.
RL: Für junge Künstler ist es gleichzeitig auch eine Riesenchance. Wir kommen aus der Zeit der linearen Musikfernsehsender und wir waren in der Luxussituation, in die Playlisten zu kommen. Andere haben überhaupt keine Aufmerksamkeit bekommen. Heutzutage können junge Künstler sich einen Namen machen, indem sie einfach leidenschaftlich kommunizieren. Das ist wiederum das Positive daran.
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Standen die Sportfreunde vor dem Aus?
Die Sportfreunde haben fünf Jahre pausiert. Gab es in dieser Zeit gar keinen Kontakt zwischen den Bandmitgliedern?
FW: Wir haben uns in drei Jahren dreimal getroffen. Das waren Treffen, die unser Manager anberaumt hat. Das hat sich unangenehm angefühlt, wir wussten nicht, worüber wir reden sollten.
Wie groß war die Gefahr, dass es die Sportfreunde nicht mehr geben würde?
FW: Es ist eigentlich unvorstellbar, aber es war möglich. Jetzt kommen wir wieder so gut miteinander aus, wie in der Anfangszeit und fühlen uns euphorisch. Jetzt lässt es sich leicht sagen, dass die Pause dafür verantwortlich ist. Aber das Eis war dünn, oder Rüde?
RL: Auf jeden Fall. Als ich die beiden wiedergesehen habe, habe ich gedacht: Wow, ich bin ein Sportfreund! Das war so weit weg, dass ich das Gefühl schon fast vergessen hatte. Unseren Sound, unsere Lieder, diesen Groove, das kann ich nur mit Peter und Flo erleben. Das ist etwas ganz Besonderes.
Im Herbst erscheint das neue Album „Jeder nur ein X„. Wie würden Sie es musikalisch beschreiben?
FW: Wir haben mit unserer Produzenten Tobias Kuhn neue Wege beschritten. Unsere Demo-Versionen waren eigentlich typisch Sportfreunde, Tobi hat dann nochmal daran rumgefummelt und uns soundtechnisch auf ganz andere Ideen gebracht. Jetzt gibt es Songs wie beispielsweise „Ibrahimovic“, die fast schon dancehaft dahergekommen. So etwas hätte es vor sechs Jahren vielleicht noch nicht gegeben. Aber es war spannend, mit ihm auf Experimentierreise zu gehen. Es war ein gegenseitiges Inspirieren und Anfeuern. Ich finde, dass es etwas weniger kracht, aber doch Energie hat und elaborierter daherkommt. Es gibt etwas mehr Tiefgang in den Texten, aber der typische Sportfreunde-Vibe steckt drin.
Verändern sich Sound und Texte automatisch, wenn man älter wird?
RL: Der Sound entsteht aus uns heraus. Es ist ganz wichtig, dass man als Band einen eigenen Sound hat. Ich denke, es ist keine Entscheidung, wie man klingt. Sonst wäre man eine Projektband. Wie die Beastie Boys vor über 30 Jahren, oder The Notwist, die auch mal so einen Bruch gemacht haben. Wir probieren immer mal was aus. Aber zum Glück haben wir unseren Sound. Denn es ist ein geiler Sound, ich mag den voll gern.
Sänger und Gitarrist Peter Brugger wird im November 50 Jahre alt. Was macht das mit Ihnen?
RL: Es ist schon krass, diese Zahl auf einen zukommen zu sehen. Gleichzeitig ist da dieses Gefühl: Wow, was war das jetzt für ein krasses Leben? Für ein lustiges Leben? Ein Leben voller Geschichten, voller Gefühle, Freude, Feiern und Menschen. Hätte mir früher jemand erzählt, dass ich, der Peter oder irgendwann der Flo mit 50 auf so ein Leben zurückschauen können, hätte ich gesagt: gerne. Und dann kommt irgendwann der Tag, wie zu allem der Tag kommt. Als Musiker ist es lange Zeit eine Frage gewesen, wie es ist, auf der Bühne älter zu werden. Aber wir machen einfach, was wir machen und empfinden, was wir empfinden. Und die Zeit vergeht. Und wir machen trotzdem weiter, weil wir es lieben. Alles was passiert ist, gibt dem noch viel mehr Berechtigung in unserer jetzigen Phase. Und wenn wir nichts mehr damit anfangen können, machen wir eben wieder eine Pause.
FW: So lange man sich selbst dabei noch nicht peinlich fühlt, ist es absolut legitim. Und warum sollte man sich mit 50 schon peinlich fühlen? Mick Jagger hat mit 80 Jahren noch richtig viel Spaß und ist richtig gut. So lange ich laufen und denken kann, will ich neugierig sein.
Was beeinflusst die Musik der Sporfreunde Stiller?
„Ich schaue mir unsere Welt an und ich ticke fast aus“. So beginnt der Song „Hand in Hand“. Wie sehr ist das neue Album von der aktuell schwierigen Lage in der Welt beeinflusst?
FW: Sehr. Ein Lied wie „Zombie“, das auf der Bonusplatte ist, ist unser individueller Blick auf die pandemische Zeit, in der wir uns zwar wiedergefunden haben, aber die natürlich auch uns beeinflusst hat. „Ich scheiß auf schlechte Zeiten“ ist unsere ganz klare Haltung dazu, dass wir ganz genau wissen, was diese schlimmen Zeiten mit uns anrichten, aber dass wir sie annehmen müssen. Dass wir auch individuell schlechte Zeiten haben und Menschen verlieren um uns herum und dennoch mal durchatmen müssen, um diese Zeiten zu meistern. Deshalb dieser Satz. Auch „Wächter“ ist ein sehr individuelles Lied.
Worum geht es?
FW: Wir haben mitbekommen, dass ein Musikerfreund von uns an Depressionen litt und wir es bei unseren Treffen nicht mitbekommen haben. Deshalb haben wir ihm das Lied gewidmet. Im Lied „Ibrahimovic“ geht es um das Thema Angst. Ich hatte selbst furchtbare Flugangst und weiß, was eine schlimme Angst mit einem anrichten kann. Oder jetzt die Angst vor dem Krieg. In „Hand in Hand“ heißt es auch: „Ich mache lieber Pläne. Und zwar gemeinsam mit dir.“ Diesen Blick wollen wir nicht verlieren, auch wenn die Welt gerade links und rechts zu explodieren scheint. Wir sollten erkennen, dass es uns noch so weit gut geht. Wir wollen lieber Teil einer Lösung, als eines Problems sein. Aber ja, die Thematiken werden düsterer.
RL: Dazu muss ich etwas sagen. Ich höre so viel Resignation und Verzweiflung angesichts dieser Zeit. Aber wenn ich an meine Kindheit im Kalten Krieg denke, da gab es jedes Jahr einige Atombombenversuche in der Atmosphäre. Es gab den Atomunfall in Sellafield, es gab den Vietnamkrieg und Terrororganisationen der verschiedensten Arten von ETA bis RAF. Es gab Waldsterben und das Ozonloch. Diese Probleme sind gelöst worden, weil man ein Problem erkannt und gemeistert hat. Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges ist es uns ganz gut gegangen und jetzt sind wir ein bisschen aus dem Modus raus, mit großen Problemen umzugehen zu können. Wir brauchen Strategien und müssen diese dann umsetzen. Das hat man in der Zeit des Kalten Krieges getan und die Probleme dann doch irgendwie lösen können. Jetzt irgendwie so rumzustehen und zu sagen, dass das die übelste Zeit der Weltgeschichte ist, das möchte ich nicht akzeptieren.
FW: Das tun wir aber auch nicht, oder?
RL: Nein. Es ist mir einfach nur wichtig, mal rauszuhauen, dass es superwichtig ist, zu erkennen, was die Menschheit schon für unglaubliche Dinge geschafft hat. Aber das geht nur, wenn man ein Bild davon hat, was man erreichen will. Und dann kriegt man auch ein Bild, wie man das hinkommt. Aber so wie wir rumhühnern, kriegt man natürlich nichts auf die Reihe. Das ist einfach nur ein Appell dafür, wieder mal geschlossen zu sein und zu schauen, was wir schon geschafft haben. Anstatt nur zu labern und die Köpfe in den Sand zu stecken.
Die größte Reichweite hatten die Sportfreunde Stiller mit dem Song „54, 74, 90, 2006„ während der Fußballweltmeisterschaften 2006 und 2010. Für die WM in Katar im Herbst würden Sie vermutlich kein Song schreiben?
FW: Der würde „LMAAFifa“ heißen. „Leck mich am Arsch, Fifa!“ (lacht). Wir sind in der beschissenen Situation zu überlegen, ob man die WM in Katar boykottiert oder nicht. Ich habe für mich entschieden, dass ich es nicht tun werde. Ich liebe Fußball und ich will dem Spiel weiter beiwohnen und es unterstützen. Als Konsument können wir aufmerken sein. Vor allem wir als Musiker haben eine Plattform, um uns zu äußern. Aber wie scheiße die Fifa ist, braucht man niemand zu erklären.
Was muss stattdessen passieren?
FW: Wer jetzt aufstehen müsste, ist beispielsweise Oliver Bierhoff. Es müsste ein Konzept gefunden werden, zum Beispiel mit Aufschriften auf den Trikots, um zu sagen, dass die Mannschaft für Menschenrechte steht und gegen die Machenschaften der Fifa. Wie kann denn eine WM nach Katar vergeben werden? Wo Menschen unter solchen Bedingungen Stadien bauen und sterben müssen. Die Boykotte müssen von den Sportlern kommen. Und wenn es keine Boykotte sind, dann zumindest deutliche Proteste. Sodass es bei der Fifa zu einem Umdenken kommt. Ich liebe Fußball und ich freue mich auf die sportlichen Spiele im Winter. Ich hoffe nur, dass die wirklich wichtigen Leute sich entsprechend auflehnen.
RL: Sport war immer schon politisch. Die größten Sportler hatten immer schon eine klare Meinung. Und die WM in Katar ist ein guter Anlass, klar die Meinung zu äußern.
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