Filmkritik – Kinostart: 18.08.2022
Bestseller-Verfilmung "Der Gesang der Flusskrebse": Ist der Film so gut wie das Buch?
von Mireilla Zirpins
Über 15 Millionen Menschen haben „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens gelesen. Die Geschichte der schönen wilden Kya war DER große Buchhit der letzten Jahre, nicht zuletzt weil Hollywood-Star Reese Witherspoon eifrig die Werbetrommel rührte und auch die Verfilmung produzierte – mitsamt Titelsong von Taylor Swift. Nun kommt der von vielen sehnsüchtig erwartete Film in die Kinos. Und der Erwartungsdruck ist enorm.
Der Gesang der Flusskrebse – Kinotrailer
"Der Gesang der Flusskrebse": Liebesroman, Krimi, Coming-of-Age-Drama und vieles mehr
Die Story hat Zutaten für gleich zig Romane oder Filme: ein Liebesdreieck zwischen attraktiven jungen Menschen, ein Krimi mit einem rätselhaften Mordfall, ein Gerichtsdrama, bei dem der Protagonistin nicht weniger als die Todesstrafe droht, eine weibliche Robinson-Geschichte in der verwunschenen Naturkulisse des Marschlands im US-Bundesstaat North Carolina und eine dramatische Familiengeschichte um häusliche Gewalt und Verlustängste. Denn der Vater der kleinen Kya (als Kind gespielt von Jojo Regina) schlägt zu, wann immer er Frust hat. So heftig, dass Kyas Mama die Familie verlässt und nach ihr auch ihre größeren Geschwister. Die Siebenjährige lernt, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen. Bis auch er eines Tages einfach nicht mehr heimkehrt.
Mit sieben alleingelassen im Marschland: Kyas Schicksal berührt
Das Mädchen, das nur einen Tag lang eine Schule besucht, schlägt sich allein durch im abgelegenen elterlichen Häuschen in der Marsch. Trost findet sie in der Natur, die für sie nichts Feindliches hat, sondern sie das Überleben lehrt und ihr Nahrung bietet. Kya verkauft Muscheln an die einzigen beiden Menschen im benachbarten Örtchen, die sie nicht als verwahrlost ablehnen. Als sie zu einer schönen jungen Frau heranwächst, übt sie eine Faszination auf die jungen Männer in Barkley Cove aus. Zwei ungestüme Affären später wird Dorfschönling Chase (Harris Dickinson, „The King’s Man“) tot im Marschland gefunden. Die Hauptverdächtige: Kya (als junge Frau verkörpert von Daisy Edgar-Jones aus „Normal People“), die sich mit ihm eingelassen hatte. Und so beginnt der Film auch.
Ein Mordfall mit gewissen Parallelen zu Delia Owens eigener Geschichte
Trotz der im Film raumgreifenden Gerichtsszenen (ihren altväterlichen Anwalt mimt David Strathairn, „The Expanse“) entfaltet die in Rückblenden von Kya ansonsten recht nah am Buch erzählte Geschichte einen Sog, denn natürlich will man wissen, wer’s getan hat oder ob’s ein fataler Unfall war – zumindest, wenn man das Buch noch nicht gelesen hat. Falls doch kann man immer noch drüber nachdenken, welche Parallelen „Der Gesang der Flusskrebse“ mit dem Mordfall hat, in den Delia Owens und ihr Mann verwickelt sind – und die Szene suchen, in der die Autorin einen kleinen Cameo-Auftritt hat.
Nasse Klamotten am Beach – Kitsch oder großes Kino?
Die Auflösung gibt’s natürlich erst ganz am Schluss der zwei Stunden, die sich durchaus ein bisschen länger anfühlen. Anders als im Buch liegt der Focus mehr auf den Love Stories mit den Kerlen als auf Kyas Beziehung zu Mutter Natur. Regisseurin Olivia Newman, mit „First Match“ bislang im Serien-Geschäft tätig, hatte sichtlich „Verdammt in alle Ewigkeit“ im Kopf, als sie Kya und Tate (Taylor John Smith) sich in nassen Klamotten am Strand in der Brandung wälzen lässt. Aber wenn das gefärbte Laub wie Schneeflocken zwischen den letzten Sonnenstrahlen des Spätsommers um das Liebespaar herumwirbelt, wirkt’s doch eher so wie in mancher Nicolas-Sparks-Verfilmung oder einem Lasse-Hallström-Movie.
Alles ein bisschen zu clean in "Der Gesang der Flusskrebse"
Daisy Edgar-Jones haucht ihrer Kya eine fragile Verletzlichkeit ein. Mancher Fan des Buches hätte sie sich vielleicht wilder und selbstbestimmter vorgestellt. Aber man folgt ihr gern durch die sehr schön ins Bild gesetzten Wasser des Marschlands – Eye-Candy pur. Aber auch gleichzeitig der Haken an der Sache: Für ein Mädchen, das in bitterster Armut von der Hand in Mund lebt, allein in einem (eigentlich zu ansehnlichen) Haus ohne Waschmaschine, sieht Kya zu sehr aus wie aus dem Ei gepellt: In jeder Szene ein neues hübsches Sixties-Outfit, liebevoll irgendwo ausgefranst oder gelöchert, aber immer blitzsauber und adrett. Das soll wirklich alles in der Kleidersammlung der Kirche gewesen sein?
Opulente Bilder, schicker Look: mehr ansehnliche Kya und weniger Natur als im Buch
Und ob in geflickten Latzhosen oder im bodenlangen weißen Sommerdress – bis auf ein paar „verweinte“ Augen, für die die Visagistin etwas zu tief ins rote Puder gegriffen hat, sind Kyas Gesicht und Haar immer perfekt lässig zurechtgemacht. Kein Wunder, dass man sich auf der Premiere von den Stylisten einer bekannten Hairstyling-Marke im Stil von Kya zurechtmachen lassen konnte. Aber so telegen inszeniert wirkt die Armut leider deutlich weniger existenziell als im Buch.
„Der Gesang der Flusskrebse“ ist ein optisch ansprechender Film, der Fans des Buches ein angenehmes Wiedersehen mit altbekannten Figuren beschert. Ein bisschen mehr Spannung als Süßlichkeit hätte man sich stellenweise schon gewünscht – und gern auch etwas mehr Raum für die von Delia Owens liebevoll geschilderte Natur, die im Roman als Mutterersatz fungiert. Kein Film für die Ewigkeit, aber einer für einen lauen Sommerabend.
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