In „Alles was Recht ist“ wird ein ordentlicher Finanzbeamter zum Mörder. Er erinnert an die komplizierten Helden in den Bestsellern des Anwalts Ferdinand von Schirach. Aber der Wiener „Tatort“ bleibt lieber ein braver Krimi.
Der neue „Tatort“ aus Wien beginnt wie eine Ferdinand-von-Schirach-Geschichte. Wer den Bestsellerautor nicht kennt, sollte seine Bücher unbedingt kennenlernen: Schirach ist Anwalt und damit berühmt geworden, Straffälle in klare, sachliche, aber nie gefühlskalte Geschichten zu verwandeln. Geschichten, die das ganze Panorama von Begriffen wie Schuld, Sühne, Gut und Böse hinter den scheinbar so eindeutigen Fakten eines Verbrechens entfalten.
„Alles was Recht ist“ ist so eine typische Schirach-Geschichte, in der die kriminelle Energie ganz lakonisch in das Leben eines braven Bürgers hineinspaziert.
Busfahrplan im Kopf und Bibel im Herzen
Stefan Weingartner (Johannes Zeiler) ist ein rechtschaffener Mann. Finanzbeamter mittleren Alters mit Aktentasche in der Hand, Busfahrplan im Kopf und Bibel im Herzen. Er hat ein ordentliches Einfamilienhaus mit einer ordentlichen Familie. In Stefan Weingartners Leben hat alles seinen Platz. Einer wie Stefan Weingartner fühlt sich sicher, weil er sich prinzipiell im Recht fühlt.
Eines Tages aber fühlt er sich im Büro gar nicht gut. Er muss sich in den Papierkorb übergeben. 27 Jahre im Amt und keinen einzigen Tag krankgeschrieben. Widerwillig geht er dieses Mal früher nach Hause. Er hört seine Frau im Wohnzimmer kichern. Sie sitzt beim Sekt mit ihrer besten Freundin und erzählt, wie sie ihrem Fitnesstrainer im Bademantel die Tür geöffnet hat. Sie geht ins Detail. Stefan Weingartner geht in die Küche. Er holt ein Küchenmesser, betritt das Wohnzimmer und schneidet beiden Frauen die Kehle durch. Dann ruft er die Polizei. Da sind gerade einmal zehn Minuten „Tatort“ vorbei.
Der Fall ist natürlich klar, nicht nur für Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), die bei ihrer Ankunft Weingartner im blutdurchtränkten Hemd auf dem Sofa sitzen und ins Leere starren sehen.
Aber dann nimmt sich Anwalt Thomas Hafner (Julian Loidl) des Falles an. Stefan Weingartner kann sich an die Tat selbst nicht erinnern, sagt sein Verteidiger vor Gericht. An alles erinnere sich der rechtschaffene Herr Weingartner, nur nicht an die Tat. Die sein Klient zutiefst bereue. Sein Klient sei nicht zurechnungsfähig gewesen. Er sei unschuldig, weil schuldunfähig. Stefan Weingartner wird freigesprochen.
Elemente einer Schirach-Geschichte, aber doch ein Tatort
In einer Ferdinand-von-Schirach-Geschichte wäre Hafner der Held. Und Stefan Weingartner eine tragische Figur. Ein Recht-Haber, den seine Pedanterie zu einem einsamen Menschen gemacht hat. Jetzt ist er so allein wie nie zuvor. Er hat keine Ehefrau mehr, nur eine Tochter (Noemi Krausz), die ihn schon lange verabscheut und die ihn jetzt hasst. Und er hat eine Todsünde begangen, für die der gläubige Katholik nicht büßen darf, jedenfalls nicht im Gefängnis.
Die Ästhetik von „Alles was Recht ist“ (Regie: Gerald Liegel) erinnert über weite Strecken tatsächlich an die Nüchternheit der Schirach-Geschichten. Symmetrische Gefängnisgitter und Tapeten mit auffälligen geometrischen Mustern. Eine Kamera (Gero Lasnig), die den Figuren deutliche Plätze zuweist, statt sich von ihren Bewegungen treiben zu lassen. Hier scheint jeder ganz genau zu wissen, was er tut. Hier hält sich jeder an klare Linien und Rituale im Versuch, den inneren Aufruhr zu bändigen.
Allerdings ist „Alles was Recht ist“ letztlich doch ein „Tatort“, in dem konventionelle Moralvorstellungen herrschen und Köpfe geschüttelt werden müssen. Weil die Fakten schließlich eindeutig sind, finden Eisner und Fellner. Und der Weingartner „g’fälligst ins Gefängnis g’hört“. Weshalb Anwalt Hafner der Böse ist.
Ausgerechnet diese zwei Ermittler empören sich so
Bibi Fellner, die ehemalige Sittenpolizistin und Alkoholkranke, die doch aus eigener Erfahrung weiß, dass sich Gut und Böse, Feind und Freund nicht immer eindeutig trennen lassen. Und Moritz Eisner, den Alter, Erfahrung und nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit Bibi Fellner bei allem grantelnden Gerechtigkeitssinn immer offener und empathischer gegenüber menschlichen Schwächen haben werden lassen.
Ausgerechnet diese zwei dürfen hier kaum mehr als zwei brave Polizeibeamte spielen. Denn als eines Nachts Anwalt Hafner ermordet an seinem Schreibtisch sitzt, gibt es doch noch etwas zu ermitteln. Mit dem Bürokaffee in der Hand, wird die Büro-Pinnwand begutachtet, Beteiligte werden befragt, Verdächtige verdächtigt und Mörder schließlich abgeführt. Aber die zwei interessantesten Figuren, der Anwalt und sein Mandant, sind nur noch Nebenfiguren.
Und als am Schluss der Aktendeckel über dem Fall Weingartner zugeklappt wird, verschwinden mit dem Ordner alle Chancen auf moralische Nuancen, alle eigentlich spannenden Fragen nach dem fließenden Charakter von Gut und Böse, Schuld und Sühne in der Dunkelheit eines aufgeräumten Aktenschranks. Die Welt des Wiener „Tatort“ ist wieder geordnet – aber auch um eine Enttäuschung reicher.
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