Kurt Krömer über seine Depression: "Das hat alles verändert"

Berliner Kodderschnauze, immer ruppig und laut: Das ist Kurt Krömer. Doch der Comedian litt jahrelang unter Depressionen. Mit t-online spricht er über die Krankheit und seine Karriere.

Kurt Krömer lässt die Hosen herunter. Der so scharfzüngige Comedian hat ein Buch über seine Depression geschrieben. Die Schilderungen dort: ungeschönt, schonungslos, voll auf die Zwölf. Entwürdigende Abstürze durch eine jahrelange Alkoholsucht, Selbstzweifel, schwindende Potenz, Schlafprobleme und „immer diese schwarze Wolke über dem Kopf, diese emotionale Leere“ – so beschreibt der 47-Jährige in „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression“ seinen Leidensweg. 

Auf knapp 200 Seiten erfährt der Leser, wie sich der Fernsehmoderator trotz seiner Depression als alleinerziehender Vater von vier Kindern durchs Leben schlug. Wie er sich in einer Berliner Klinik helfen ließ und seine Krankheit in den Griff bekam. Im t-online-Videointerview erleben wir einen Krömer, wie Zuschauer ihn kennen: schlagfertig und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. 

Kurt Krömer: Ach ja? Erzählen Sie.

Sie wollen am Theater den Hauptmann von Köpenick spielen. Dann, so sagten Sie, „kann bei mir die Kiste zugehen“. Wieso ausgerechnet diese märchenhafte Gestalt des Friedrich Wilhelm Voigt?

Das ist die beste Rolle, die ich mir vorstellen kann. Ich bin im Wedding groß geworden. Dieses Stänkern gegen die Obrigkeit und Leuten gegen das Schienbein treten, liegt mir schon immer. Ich sehe den Hauptmann von Köpenick als meine Paraderolle.

Friedrich Wilhelm Voigt soll bei jeder Gelegenheit Cognac gesoffen haben. In der Hinsicht haben Sie ihm etwas voraus: Sie sind trockener Alkoholiker – aber ist das für die Rolle ein Problem?

Überhaupt nicht. Ich kann ja Theater-Cognac trinken. Wenn ich im „Tatort“ mitmische, muss ich ja auch niemanden wirklich erschießen. Ist ja nur ein Spiel und ob Mörder oder Säufer: Spielen kann ich sie alle.

Sehen Sie sonst noch Parallelen zwischen Voigt und Ihnen?

Wenn ich heute auf der Meldestelle oder im Ordnungsamt bin wegen eines neuen Personalausweises, ist es noch genauso wie damals bei Voigt. Dieser Mief, diese Lahmarschigkeit: Das hat sich in den letzten 100 Jahren nicht verändert. Heute fehlt nur noch die Pickelhaube, aber diese Befehlshörigkeit, nur das zu machen, was einem von oben vorgegeben wurde, ist absolut identisch.

Kurt Krömer: Er grillt in „Chez Krömer“ Spitzenpolitiker und zu Hause Würstchen für seine vier Kinder.(Quelle: imago images)

Was Sie noch mit dem Hauptmann gemeinsam haben, ist die Verkleidung – jedenfalls metaphorisch gesprochen. Sie haben Ihrem Publikum jahrelang etwas vorgespielt und haben Ihre Depression nicht öffentlich gemacht. Wie anstrengend war das für Sie?

Von meiner Depression habe ich erst im Sommer 2020 erfahren. Davor wusste ich gar nicht, was mit mir los ist. Also konnte ich auch nichts verstecken. Als ich dann in die Klinik gekommen bin und endlich Klarheit über meinen Zustand bekam, habe ich mich sofort im Freundeskreis geoutet. Ich war sehr erleichtert und habe allen gesagt: ‚Ich weiß es endlich. Es ist eine verfickte Scheißdepression!‘ Das war echt traurig und lustig zugleich. Ich habe Freudensprünge gemacht vor Dankbarkeit, endlich zu wissen, warum ich so neben der Spur bin.

In Ihrem Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst: Meine Depression“ schreiben Sie zu dieser Erkenntnis: „Endlich hat das Kind einen Namen.“ Also war allein die Diagnose schon ein Brustlöser?

Ich fragte mich schon ewig, was mit mir los war. Insofern war die Gewissheit ein großer Schritt. Und ich wusste endlich, wohin ich damit muss. Das hat natürlich alles verändert.

Auch andere Prominente wie Nora Tschirner sind damit an die Öffentlichkeit gegangen. Sie haben sich in Ihrer Fernsehshow „Chez Krömer“ mit Ihrem Kollegen Torsten Sträter darüber unterhalten. Leben wir in einer Zeit der großen Depression oder wird jetzt einfach nur darüber geredet?

Ich glaube, wir sind endlich in einem Zeitalter angekommen, wo wir mal ehrlich miteinander sind. Einfach mal sagen können: „Mir geht es scheiße.“ Das geht so langsam los und deswegen outen sich zurzeit so viele.

Warum ist das Bewusstsein für Depressionen heute ein anderes als noch vor 20, 30 Jahren?

Meine Eltern haben mir vorgelebt, dass man darüber nicht spricht. Man spricht nicht über Gefühle. Man sagt nicht, dass es einem schlecht geht. Man geht immer arbeiten, auch wenn einem ein Bein fehlt. Scheißegal. Anderen Leuten geht es noch viel schlechter. Punkt. Ende aus. Das schwingt natürlich mit, auch wenn ich das selbst nicht so sehe. Aber wenn einem das von seinen Eltern vorgelebt wird, muss man sich davon erst mal frei machen.

Von einer veralteten Sichtweise …

Ja, aber nicht die einzige. Bei meinen Eltern galt auch noch die eiserne Regel: Die Frau gehört in die Küche und kümmert sich um die Kinder. Das habe ich infrage gestellt, weil ich dachte, irgendwas stimmt doch mit den beiden nicht. Und dennoch ist es in dir drin: Ich sehe dieses Bild von meiner Mutter immer noch vor mir. Wie sie sonntags ab frühmorgens in der Küche steht und kocht.

Sie hingegen sind alleinerziehender Vater und haben vier Kinder. Was machen Sie bei Ihren Kids anders?

Ich mache genau das Gegenteil von dem, was mir beigebracht worden ist. Aber zuerst musste ich lernen, mit mir selbst klarzukommen.

Wann genau war das?

Ich glaube, so mit 25 Jahren habe ich realisiert, dass man auch über Gefühle reden darf. Dass man einer Frau, mit der man zusammen ist, auch sagen kann: „Ich liebe dich“ – das war mir vorher gar nicht klar.

Und bei Ihren Kindern: Was genau ist da anders als bei Ihnen?

Meine Kinder werden nicht terrorisiert, psychisch unter Druck gesetzt oder fertiggemacht. Und bei uns zu Hause steht natürlich keine Frau in der Küche, sondern ich.

Haben Sie eigentlich neben all dem Zuspruch auch mal das Gegenteil erlebt seit Ihrer Bekanntmachung? Also dass über Sie und die Depression abfällig gesprochen wurde?

Die einzigen, die gestänkert haben, waren die der AfD. Die haben manchmal so getan, als würde meine Aversion gegen sie nur damit zusammenhängen, weil ich krank bin. Aber es ist nicht schwer, eine Handvoll Leute zu ignorieren.

Und dennoch bemühen Sie sich immer, AfD-Politiker in Ihre Sendung einzuladen …

Immer! Wir fragen jedes Jahr alle von der AfD an. Aber nie traut sich jemand. Frauke Petry war zwar bei mir in der Sendung, aber zum damaligen Zeitpunkt schon Ex-AfD-Politikerin. Doch das war trotzdem gut. Fünf Monate nach meiner Therapie war das – und ich habe damals eine viel bessere Figur gemacht als noch bei Boris Palmer.

Wieso? Was war bei Palmer so schlecht?

Ich habe es total verkackt. Das war eine unterirdische Leistung von mir. Wir haben damals aufgezeichnet mitten in der Phase, in der ich gerade in Therapie war. Mein Produzent Friedrich Küppersbusch hat im Nachgang, als wir uns die Aufzeichnung anschauten, gemeint: „Das Tor war leer, der Ball lag direkt davor – aber du hast dich umgedreht und nicht geschossen.“ Ich hatte einfach keine Kraft – und auch irgendwie keine Lust. Bei Frauke Petry war die alte Kraft dann wieder zurück. 

Sind Sie inzwischen eigentlich symptomfrei oder erleben Sie immer noch depressive Schübe?

Meine Therapeuten haben gesagt, ich habe sehr gut aus der Depression herausgefunden. Ich nehme noch Antidepressiva, aber auch das soll demnächst abgesetzt werden. Wir werden beobachten, was nach dem Absetzen passiert. Symptome habe ich nicht mehr. Aber man muss sich das vorstellen wie bei einer Blinddarm-OP. Man kommt ins Krankenhaus, es muss sofort gehandelt werden. Danach wird man nach Hause geschickt, ist aber immer noch wackelig auf den Beinen. So war das bei mir auch. Ich bin nach der Therapie aus der Tagesklinik nach Hause gekommen und hatte immer noch so eine diffuse Angst. Ich habe mich immer gefragt: Sehen die Leute jetzt, dass etwas nicht mit mir stimmt? Ich musste mich wieder ein bisschen einfummeln in die Gesellschaft. Das hat schon so ein halbes Jahr bis acht Monate gedauert.

Aber jetzt gelten Sie als geheilt und sind über alles hinweg?

Ich bin gesund, ja. Auf die Frage, ob ich Angst davor habe, wieder depressiv zu werden, sage ich immer: Das ist eine Sache für Depressive. Ich setze mich dann erst wieder damit auseinander, wenn ich depressiv werden sollte. Dann ist der Tag, an dem ich meinen Therapeuten anrufe und weiß, jetzt geht die Scheiße wieder von vorne los. Aber bis jetzt, toi toi toi, geht es mir gut.

„Zu realisieren, dass ich nicht perfekt sein kann, das hat mir geholfen“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Fernsehzuschauer kennen Sie mit einer gewissen Härte und Schroffheit. Haben Sie eigentlich eine Veränderung gespürt seit Ihrer Therapie? Dass Sie nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch allgemein mehr Milde walten lassen?

Nein, überhaupt nicht. Wir sind jetzt gerade in der Vorbereitung für die nächste Staffel. Dafür habe ich kürzlich eine Liste voll mit „Arschlöchern“ bekommen, wo ich dann direkt gemerkt habe: Oh, super Gast. Dem gehört ordentlich eins auf die Fresse gehauen, also verbal. Diese Aggressivität, dieses Laute, dieses cholerische Karikieren ist immer noch da. Darauf habe ich Bock.

Wieso eigentlich? Woher kommt diese Aggressivität?

Das ist mein Kampf gegen meinen Alten, der immer nur rumgemeckert hat, den ganzen Tag cholerische Ausbrüche gekriegt hat. Wenn die Leute jetzt Angst hätten, wäre das schlecht. Aber es lachen ja alle. Von daher ist es jetzt immer noch ein Kampf. Ein Kampf, mit dem ich zeige: Schaut her, es ist völlig überflüssig, rumzubrüllen.

Also erleben die Zuschauer Alexander Bojcan, der seinen cholerischen Vater bekämpft.

Ja und Nein. Auch wenn bei Kurt Krömer immer von einer Kunstfigur die Rede ist. Nach meiner Rückkehr aus Afghanistan 2012 ist mir etwas klar geworden. Da hat eine Metamorphose stattgefunden. Seitdem gibt es nur noch eine Figur: Alexander Bojcan und Kurt Krömer sind deckungsgleich. Wir hatten die gleiche Krankheit, wir haben den gleichen Beruf, wir teilen denselben Humor. Aber Kurt Krömer ist der, der in der Öffentlichkeit auftritt.

Seit einigen Monaten ist Kurt Krömer gesund. Doch jahrelang schwebte eine "dunkle Wolke" über ihm – die Depression. (Quelle: Kiepenheuer&Witsch)

Haben Sie eigentlich manchmal Mitleid mit den Gästen, die Sie ins Kreuzverhör nehmen?

Nö! Wie war der Spruch von Harald Schmidt? Jedem, der über 15.000 Euro im Monat verdient, kann in den Arsch getreten werden.

Harald Schmidt gilt heute aber auch als Paradebeispiel eines Zynikers. Eine Zuschreibung, die auf Sie nun spätestens durch Ihr Buch nicht zutreffen dürfte.

Also ich liebe Harald Schmidt heute noch. Ich weiß noch, wie ich das damals als Zeiteinheit gebraucht habe: „Schatz, ich bin zu Harald Schmidt zu Hause.“ 23.15 Uhr, Sat.1. Damals habe ich diesen Zynismus geliebt, diesen morbiden Humor, dieses Dreckige. Aber ich habe gemerkt: Das passt heute nicht mehr in die Zeit. Auf Zynismus, bei all der Scheiße, die da draußen passiert, habe ich keinen Bock mehr. Lieber klar ansprechen, geradeheraus sein: Ich kann dich nicht leiden, weil du das und das falsch gemacht hast – fertig. Keine zynischen Witzchen machen, sondern klar und ehrlich das Thema benennen.

Und direkt mit den Leuten reden, so wie bei „Chez Krömer“?

Ja, einfach mal Dampf ablassen. Da haben alle etwas von.

Zweifeln Sie trotzdem manchmal, dass Ihr Weg nicht der richtige ist?

Natürlich zweifle ich auch manchmal. Teilweise sage ich es sogar in der Sendung und rege mich über mein eigenes Format, über die vorbereiteten Fragen auf. Sich ständig selbst infrage stellen, ist dafür essenziell. Deswegen ist auch „Chez Krömer“ für mich eine Hassliebe: Ich hasse das Format, aber ich liebe es auch. Das ist Teil des Erfolgsrezepts. Und ich finde das ganz wichtig. Viele Leute werfen mir ja immer vor, ich würde die Interviews mit den sympathischen Gästen viel lieber machen. Das stimmt auch. Aber das Konzept der Sendung ist eben, dass es auch ein bisschen wehtun muss. Die Mischung machts – und ich habe nur Angst, dass irgendwann keine Unsympathen mehr zusagen.

Wir haben zu Beginn des Gesprächs Ihren Traum angesprochen, den Hauptmann von Köpenick zu spielen. Was erträumen Sie sich noch für die Zukunft?

Das ist der einzige Traum, den ich habe. Neben Zigaretten, von denen träume ich auch wieder.

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Sie rauchen wieder?

Ja, ich bin wieder ganz der Alte. Mein Arzt hat mir gesagt, ich muss viel mehr rauchen. Also mache ich das. (lacht) Ich bin trockener Alkoholiker seit elf Jahren, ich nehme keine Drogen. Die Zigaretten sind das Einzige, was mir noch geblieben ist.

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