"Die Rolle muss mein Diener sein, nicht mein Herr"

Keine 48 Stunden sind seit Anna Schudts „Tatort“-Abgang vergangen. Jetzt spricht sie mit t-online über ihre Entscheidung, die wichtige Rolle ihres Ehemannes dabei und ihre Zukunft. 

9,7 Millionen Menschen saßen am Sonntagabend vor dem Fernseher und erlebten den dramatischen Abgang von Anna Schudt aus dem „Tatort“. Ihre Figur, die Ermittlerin Martina Bönisch, starb den Serientod. Für viele Fans ein Schock – doch für die Schauspielerin selbst seit acht Monaten Gewissheit.

Im Juni 2021 wurden die Szenen zum „Tatort: Liebe mich“ aus Dortmund gedreht. Seitdem war es eines der am besten gehüteten Geheimnisse der TV-Branche. Denn „Faber und Bönisch“ galten als unzertrennlich, spielten mehr als zehn Jahre Seite an Seite für den ARD-Krimi. Jetzt erzählt Anna Schudt, wie es zu ihrer Entscheidung kam, Lebewohl zu sagen.

Anna Schudt: Wir haben den Mund gehalten, alle haben mitgemacht. Das ist natürlich ein großer Verdienst aller Beteiligten. Aber es war heikel. Am Ende hatten wir tatsächlich das große Glück, dass sich alle daran gehalten haben. Auch die Presse, der ich in diesem Fall ein großes Kompliment aussprechen muss. Wir haben den Film ja vorab gezeigt und darum gebeten, dass nichts verraten wird. Und dadurch, dass alle dieses Spiel mitgemacht haben, kam es am Sonntag für Millionen Zuschauer zu einer Riesenüberraschung.  

Waren Sie angesichts dieser Verschwiegenheit positiv überrascht?  

Ja, das hat mich tatsächlich positiv überrascht und ich habe das als große Wertschätzung empfunden. Es ist schön, dass Martina Bönisch der Raum gelassen wurde, um so ein Ende zu finden.  

Wen haben Sie persönlich noch in dieses Geheimnis eingeweiht? 

Meine Familie weiß das natürlich schon lange: meine Kinder, meine Eltern, mein Mann. Auch meine Freunde wissen das, aber ich habe es insgesamt nur maximal zwei Handvoll Personen verraten.  

Die Schauspieler Anna Schudt und Moritz Führmann: Das Paar ist seit elf Jahren zusammen. (Quelle: imago images)

Ihr Mann Moritz Führmann kennt die Branche als Schauspieler selbst nur zu gut. Haben Sie ihn ermahnen müssen, dass er bei seinen Jobs bloß nichts erzählt? 

Es war eher andersrum. Moritz ist da durch und durch Profi. Der hätte wahrscheinlich selbst seiner Familie nichts erzählt. Was das angeht, ist er verschwiegen wie ein Grab. Es war sogar eher so, dass er mich ermahnt hat und meinte: ‚Jetzt erzähl das doch nicht jedem!‘ Als ich dann entgegnete, ich erzähle das doch nur meinen Freunden, sagte er: ‚Das würde ich nicht machen.‘ 

Das ist interessant.  

Na ja, mein Mann ist einfach konsequent. Er sagte: ‚Wenn du das so machen willst, dann musst du es richtig machen. Sonst hat es keine Kraft.‘ Und da hat er recht.  

Sie und Ihr Mann scheinen eine sehr vertrauensvolle Basis zu haben. Vertrauen ist vor allem in Ihrer Branche, die von Stillschweigen und Geheimniskrämerei geprägt ist, enorm wichtig. Ist er Ihre wichtigste Vertrauensperson?  

Auf jeden Fall. Moritz ist bestimmt auch der wichtigste Berater in meinem Leben. Wir sind ja auch ein künstlerisches Paar und beraten uns, was wir machen und wie wir uns entwickeln wollen. Und da wir uns die Nächsten sind, ist das natürlich ganz besonders wichtig, dass alles angemessen besprochen wird und dass man sich auf den anderen verlassen kann.   

Sie sagten jetzt, Sie besprechen sich auch mit Ihrem Mann, wie Sie sich entwickeln wollen. Mit dem Ende so einer „Tatort“-Karriere beginnt jetzt bestimmt eine neue Art der Entwicklung. Was haben Sie sich vorgenommen?   

Ich habe mich dazu entschlossen, die „Tatort“-Kommissarin Martina Bönisch aufzugeben, weil ich gerne eine vielfältige Schauspielerin bin, die viele unterschiedliche Dinge macht und verschiedene Rollen spielt. Frau Bönisch hat doch sehr viel Raum eingenommen in der öffentlichen Wahrnehmung meiner Person. Ich habe gemerkt, das muss ich für mich ganz persönlich ändern. 

 Dortmunder „Tatort“-Team: In Zukunft wird kein Quartett mehr ermitteln. (Quelle: WDR)

Also eine rein persönliche Entscheidung? 

Voll und ganz. Es zwingt mich dazu, mich zu bewegen, wieder kreativ zu werden. „Tatort“-Kommissarin zu sein, ist eine Form von Sicherheit, die wundervoll ist und die einen total entspannt und die natürlich auch sehr spannend ist, solange diese Rolle sich entwickelt. Aber wir wissen alle, was zehn Jahre mit uns als Personen machen. Das ist eine lange Zeit und deswegen ist das jetzt eher wie ein Innehalten.  

Wie meinen Sie das? 

Es geht nicht um eine große Zukunft als Hauptdarstellerin in Serie XY. Ich möchte die Rolle abstreifen und innehalten. Wieder ausloten, was sonst noch in mir steckt. Auf diesem Saatboden ist in den letzten acht Monaten schon viel entstanden. Ich habe sehr viel gedreht im letzten Jahr, was in ganz andere Richtungen geht. Jetzt steht der Frühling an. Neues entsteht.

Was ich dann aber nicht verstehe, ist: Sie waren doch auch neben dem „Tatort“ und das trotz Ihres Engagements dort erfolgreich. Für „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ gewannen Sie 2018 einen Emmy, zuletzt brillierten Sie in „Kranitz“ und „Ein Hauch von Amerika“. 

Das ging nicht nur trotz, sondern auch wegen der „Tatort“-Rolle, glaube ich. Mittlerweile sind wir Fernsehkommissarinnen nicht mehr auf diese eine Rolle festgelegt, sondern die „Tatort“-Erfahrung öffnet sogar Türen – im Gegensatz zu früher hat sich das zum Glück gewandelt. Aber wie gesagt: Frau Bönisch hat mir zu viel Raum eingenommen. Ich wurde sehr oft auf der Straße als Frau Bönisch angesprochen und es gab Momente beim Spielen anderer Charaktere, wo ich es mir im Bönisch-Ton bequem machte, ohne es zu bemerken, nur weil die Figur eine ähnliche Klamotte anhatte und genervt von etwas war. Da wurde ich hellhörig. Da dachte ich: Jetzt musst du aufpassen. 

Frau Bönisch hatte Sie unter Kontrolle? 

So weit würde ich nicht gehen, aber man verfällt in Mechanismen. Und das ist für mich nicht gut, das ist nicht richtig. Es ist einerseits schön, dass so eine fiktive Figur so sehr mit einem selbst verbunden ist. Aber sie muss immer mein Diener bleiben, sie darf nie mein Herr werden.  

Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, den Sie erwähnten. Sie sagten: Ihre „Tatort“-Rolle war „sehr spannend, solange diese Rolle sich entwickelt“ habe. Nach zehn Jahren gab es also kein Entwicklungspotenzial mehr? 

Die Figur Bönisch muss immer erkennbar sein. So eine Rolle, die über so viele Jahre läuft, hat immer bestimmte Charakterzüge, wiedererkennbare Tonalitäten. Das lässt sich nicht so horizontal weiterentwickeln wie in anderen Formaten. Pro Jahr gibt es zwei Ausstrahlungen, die Möglichkeiten sind begrenzt. Für die Zuschauer muss man die Rolle auch immer wieder neu vorstellen und man kann sie nicht komplett ändern. Da sind die Amplituden in der Figurenentwicklung nicht so extrem hoch. 

Sie meinen: Eine Liebesgeschichte zwischen Faber und Bönisch, noch dazu horizontal erzählt, das war schon das höchste der Gefühle? 

Für mich war immer klar: Wenn sich die Liebe zwischen den beiden Bahn bricht, wenn sie offensichtlich und sichtbar wird, muss Schluss sein. Dann ist die Spannung raus. Das Tolle an dieser Beziehung war ja dieses Unterschwellige, dieses Tastende. Insofern hat dieses Ende wunderbar gepasst. Wenn die beiden zusammenkommen, muss einer gehen – das ist konsequent.  

Die Liebe zwischen Kommissarin Marina Bönisch (Anna Schudt) und Peter Faber (Jörg Hartmann) endete abrupt. (Quelle: WDR/Frank Dicks)

Ihre ehemalige Kollegin Aylin Tezel berichtete mir im vergangenen Jahr im Interview, dass es bei einem Ermittlerquartett naturgemäß noch weniger „Raum zur Entfaltung“ gegeben habe. Ist das auch etwas, was Sie so unterschreiben würden?  

Nein, überhaupt nicht. Das bewertet jeder sehr individuell und bei meiner Figur kann ich da gar nicht mitgehen. Ich finde, dass uns der WDR und die Verantwortlichen tatsächlich sehr viel Raum gelassen haben. Wir durften sehr viel mitreden, wir haben immer wieder Vorschläge gemacht, die aufgenommen wurden. Das war absolut Zusammenarbeit auf Augenhöhe. 

Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich glaube, nur Ihr Mann ist noch länger an Ihrer Seite. Muss man sich den Abschied nach einer Dekade ähnlich emotional vorstellen wie bei einer Trennung von der großen Liebe?  

Es ist nicht so dramatisch. 

Nicht? 

Na gut, zugegeben: Ich habe es unterschätzt. Ich habe unterschätzt, wie sehr es mir dann doch ans Herz gegangen ist. Und das hat zwei Komponenten. Das eine ist, das natürlich Faber und Bönisch so verzahnt sind. Es hat schon sehr, sehr viel Spaß gemacht, mit Jörg Hartmann zusammenzuarbeiten. Und mit dem ganzen Team, mit Rick Okon und Stefanie Reinsperger, die jetzt dabei ist. Wie sehr ich die alle mag und wie sehr ich sie vermissen werde, das ist das eine. Das andere ist, wie traurig diese tollen Leute waren. Wenn einem diese Gefühle entgegenschlagen, lässt das einen ja nicht kalt. Das hat mich schon ganz schön geschüttelt.

Sind nur beim Abschied am Set Tränen geflossen oder haben Sie auch am Sonntag noch mal auf der heimischen Couch geschluchzt?  

Am Sonntag habe ich nicht geschluchzt, aber ich habe mir das angeschaut – linear im Fernsehen. Normalerweise komme ich nicht dazu, aber am Sonntag habe ich es mir mit Moritz angeguckt und wir saßen da und waren … zufrieden. 

Zufrieden, mehr nicht? 

Na, es war schon auch ganz schön traurig.  

Was hat Ihr Mann zu Ihnen gesagt am Ende der Folge? 

Das weiß ich überhaupt nicht mehr. Ich glaube er hat gesagt: „dramatisch“. (lacht)  

Sie haben vorhin berichtet, dass sich in der Branche etwas verändert hat. Der „Tatort“-Stempel ist nicht mehr so einschränkend wie früher. Aber da ist noch etwas anderes: Frauen über 30 – auch wenn es ein laufender Prozess ist – kriegen mehr gute Rollen geschrieben. Hat Ihnen diese Kombination aus Entwicklungen geholfen und Ihnen den Abschied vom „Tatort“ erleichtert? 

Also mein Leben stand immer unter einem sehr, sehr gesegneten Stern. Ich hatte in meinem Leben nie Angst, dass ich keine Arbeit mehr haben werde. Aber abgesehen davon begrüße ich die Entwicklung, dass man Frauen über 30 auch wahrnehmen darf in dieser Branche und dass die etwas älteren Herren nicht unbedingt eine Mittzwanzigerin an die Seite gestellt bekommen. Einfach aus optischen Gründen oder warum auch immer. Also dass die Sehgewohnheiten sich da ändern und ändern müssen. Und dass Frauen ab 40 nicht unsichtbar sind, das habe ich schon immer gewusst. Natürlich spielt mir das in die Karten.  

Aber …  

Ich hätte diese Entscheidung auch ohne die aktuellen Entwicklungen getroffen. Alles andere wäre Rechnen mit der Angst. Und das verweigere ich. Das Spiel spiele ich nicht mit. Ich habe Spaß am Risiko. Für mich ist die Frage entscheidend: Worauf habe ich Lust und was interessiert mich? Und was kann ich jetzt mit meiner Lieblingsfreizeitbeschäftigung, nämlich der Schauspielerei, machen? Das interessiert mich. Ich habe keine Ängste. Ich habe Bock.  

Was reizt Sie jetzt besonders? Komödien statt Krimis? 

Ich hatte schon immer Lust auf Komödien. Aber ich habe auch Lust auf historische Stoffe, auf skurrile Stoffe. Ich würde gerne mal in einem Science-Fiction-Streifen mitspielen oder in einer Fantasygeschichte. Nur Krimis, die können mir vorerst erspart bleiben. 

Könnten Sie sich mal eine Rückkehr als Mörderin im „Tatort“-Kosmos vorstellen?  

Klar. Bei einer Episodenrolle bin ich immer dabei. Das sind ja eigentlich immer die besten Rollen im „Tatort“.  

Noch einmal zu Jörg Hartmann. Er war jetzt genauso lange wie Sie beim „Tatort“ und den nächsten Fall hat er sogar geschrieben. Es ist der erste ohne sie. Was meinen Sie: Wird er es lange ohne Sie aushalten in Dortmund?  

Ich hoffe doch! Ich kenne das Drehbuch bereits und was er da geschrieben hat, ist sensationell. Diese Retraumatisierung von Faber durch den erneuten Tod einer geliebten Frau, so grauenhaft es ist, ist für die Handlung eine Wahnsinnsvorlage. Ich glaube das wird ganz, ganz toll. Abgesehen davon, dass da natürlich jetzt jemand fehlt. Aber auch das kann man schauspielerisch nutzen. Die Abwesenheit einer Person ist immer ein Hindernis, über das man etwas erzählen kann, mit dem man spielen kann. Am Ende kann man das alles für diesen „Tatort“ Dortmund als großen Glücksfall bezeichnen.  

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Ihr Tod ist ein Glücksfall? 

Ja, da muss ich selbst lachen. Aber es stimmt. Daraus kann sich eine spannende Zukunft entwickeln. Und ich bin überzeugt, dass die Zuschauer ihre Freude haben werden. 

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