So vergnügt sich Angela Merkel in ihrer Freizeit

Im Museum nicht vordrängeln, Opernkarten selbst bezahlen. Angela Merkel will keine Privilegien für ihre privaten Interessen. Und obwohl die Kanzlerin vieles für sich behält, ist einiges über ihre Vorlieben bekannt.

Diese überraschende Wahl gehört zu den Dingen, die einen kleinen Einblick erlauben in ein 16 Jahre lang weitgehend abgeschirmtes kulturelles Leben.

Merkel und ihr Mann sind Stammgäste in Bayreuth

Um die Bedeutung von Kultur war bei Merkel immer wieder zu hören. „Zur Liebe zum eigenen Land gehört auch, dass man seine Künstler achtet. Kultur sollte zum Leben wie das Atmen gehören“, sagte sie etwa. An anderer Stelle auch drastischer: „Eine Gesellschaft ohne Kunst und Kultur führt in letzter Konsequenz zu Barbarei und Unmenschlichkeit.“ Oder Kultur als Miteinander: „Die Geschichte lehrt uns, dass sich Kulturen, Ethnien und Staaten schon seit Jahrtausenden im gegenseitigen Austausch entwickelt haben.“

Angela Merkel mit ihrem Mann Joachim Sauer bei einer Premiere in Bayreuth. Foto: Matthias Balk/dpa.

Merkel hat schon qua Amt viele Ausstellungen eröffnet, Museen und Vorstellungen besucht, Künstlerinnen und Künstler getroffen. Jenseits offizieller Pflichten und Termine sucht die Kanzlerin auch im privaten Bereich die Nähe zu den schönen Künsten. Am bekanntesten sind wohl die regelmäßigen Besuche in Bayreuth. Merkel und ihr Mann Joachim Sauer gelten als große Anhänger von Richard Wagners Werk und sind seit Jahren Stammgäste am Grünen Hügel.

„Bayreuth ist exemplarisch“, sagt Annette Schavan der dpa. Die frühere Bundesbildungsministerin steht Merkel nah. So kann sie beurteilen, wo die Regierungschefin sich seit 16 Jahren Kanzleramt ihre Kraft holt. „Unter Dauerstrom stehen geht nur, wenn es andere Quellen gibt“, erklärt Schavan weiter. „Kultur ist eine dieser Quellen.“

Mit Beiträgen zahlreicher prominenter Wegbegleiter der Kanzlerin hat Schavan das Buch „Die hohe Kunst der Politik – Die Ära Angela Merkel“ zusammengestellt. An mehreren Stellen lässt sich dort nachlesen, dass Kultur „keine Attitüde der Amtsinhaberin“ ist.

Angela Merkel und Joachim Sauer: In Bayreuth geben sie sich Jahr für Jahr zu den Festspielen die Ehre. (Quelle: Johannes Simon/Getty Images)

So berichtet etwa Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, wie Merkel sie kurzfristig während eines Treffens zu einem Konzert in die Staatsoper Unter den Linden animierte. Wer sowas zahlt? „Sie lässt sich nie einladen zu Opern oder Konzerten, sondern kauft sich ihre Karten selbst. Immer“, schreibt Stardirigent Daniel Barenboim im Schavan-Band. So habe Merkel eine Vorstellung besucht, die er an der Mailänder Scala dirigiert habe. Der Intendant habe kein Geld verlangen können, weil sie in der königlichen Loge saß. Dort dürften keine Karten verkauft werden. Barenboim: „Sie sagte dann, er solle ihr schreiben, wie viel eine Karte für einen sehr guten Platz in der Scala kostet, und das würde sie dann bezahlen.“

Angela Merkel kommt auch mal spontan vorbei

Von der Museumsinsel bei Merkel ums Eck und aus anderen Häusern gibt es viele Berichte, wonach sie mal eben bei Ausstellungen vorbeischaut. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp berichtet von einem solchen Besuch bei „Gesichter der Renaissance“ im Berliner Bode-Museum. Spontan, ohne große Ankündigung, minimaler Personenschutz. „Wegen der Fülle der Besuche war der Blick auf einzelne Skulpturen und Gemälde fast undurchdringlich versperrt“, schreibt Bredekamp. „Die verstohlenen Blicke der Besucher ließen den Konflikt erkennen, dass einerseits die Kunst gegenüber allen Menschen gleich sei und deswegen kein Platz freigegeben werden dürfe, andererseits es aber geboten schien, der Kanzlerin die Möglichkeit eines gesonderten Zugangs zu den Werken zu gestatten. Wann immer sich die zweite Variante zeigte, wehrte Angela Merkel entschieden ab: kein Privileg!“

Ulrich Matthes über Merkel: „Sie fragt nach Details“

Nach Schilderung vieler kultureller Wegbegleiter sucht Merkel auch den direkten Kontakt zu Kulturschaffenden. Mit dem deutsch-deutschen Liedermacher Wolf Biermann und dessen Frau Pamela ist das Ehepaar Merkel/Sauer seit langem befreundet. Schauspieler Ulrich Matthes beschreibt im Band, wie Merkel immer wieder mal ins Deutsche Theater kam. „Sie fragt dann nach inszenatorischen oder spielerischen Details und denkt laut nach über das gerade Gesehene: Wie entstehen Kompromisse in der Politik (nach einer ‚Ödipus‘-Aufführung), wie funktioniert der Druck der öffentlichen Meinung (nach Menschenfeind‘) – alles Assoziieren manchmal eingeleitet durch ein nicht kokettes ‚Kenne mich nicht aus mit Theater, aber…‘.“

Den Bundesteil der Kulturpolitik hat Merkel nach übereinstimmenden Einschätzungen meist den Zuständigen im Kanzleramt überlassen, erst Bernd Neumann, anschließend Monika Grütters. Wenn Barenboims Oper eine bessere Akustik bekam, Mittel für Bayreuth aufgestockt wurden oder das Archiv von Biermann an die Staatsbibliothek ging, spielte der Name der Kanzlerin keine Rolle.

Angela Merkel: Die Kanzlerin beim Deutschen Filmpreis 2010 im Friedrichstadtpalast in Berlin. (Quelle: Sean Gallup/Getty Images)

Nach den Worten Barenboims hat sich Merkel „immer für Kultur interessiert, ihre gesellschaftliche Bedeutung erkannt und sich praktisch für sie eingesetzt“. Es müssten nicht alle Politiker kulturenthusiastisch sein, sagt der Dirigent der dpa. „Aber man muss erwarten können, dass Politiker die Wichtigkeit der Kultur für die Menschen verstehen, auch wenn sie keinen großen persönlichen Bezug haben.“

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Eine große Vorliebe hat Angela Merkel für Expressionismus-Ikone Emil Nolde. Sein „Brecher“ von 1936 hing seit 2006 als Leihgabe der Nationalgalerie bei ihr im Kanzleramt. Die farbkräftige Nordseewelle unter schwerem Gewölk sollte eine besondere Rolle spielen in einer Nolde-Ausstellung mit neuen Erkenntnissen zur tiefen NS-Verstrickung des von den Nazis eben auch als „entarteter Künstler“ diffamierten Malers. Nach einigem Hin und Her zwischen Leihgebern und Kanzleramt ließ Merkel den Nolde nicht wieder zurück in ihr Arbeitszimmer. Die gefeierte Ausstellung nur wenige Kilometer weiter hat die Kunstliebhaberin nie besucht.

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