Eine Kritikvon Iris Alanyali Diese Kritik stellt die Sicht der Autorin dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
Heike Makatsch hat bisher nur in zwei „Tatorten“ die Kommissarin gespielt, 2016 und 2018. Ereignis-„Tatort“ nennt sich das, wenn sehr bekannte Schauspieler ein Gastspiel als Sonntagabendermittler geben, Til Schweiger ist das besonders berühmte Beispiel. Und wie bei Schweiger wurde auch in Heike Makatschs Fall beschlossen, ihre Kommissarin Ellen Berlinger immer mal wieder einen Mord aufklären zu lassen.
Doch „Blind Date“ ist nicht der neue Ereignis-„Tatort“ mit Heike Makatsch. „Blind Date“ ist vor allem die Geschichte von Rosa und Sophie.
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Sophie ist die gelangweilte Tochter stinkreicher Eltern. Sie studiert ein bisschen BWL, damit der Papa Ruhe gibt. Eine Entziehungskur hat sie schon hinter sich, ihre neueste Ersatzdroge sind Tankstellen, die sie mit ihrem Freund Moritz (auch so einer mit viel Geld und Langeweile) überfällt. Nach dem Überfall dann wilder Sex, je länger der Gefühlsrausch anhält, desto besser.
Rosa ist blind, lebt bei ihren braven Mittelstandseltern und studiert Jura. Allein aus dem Haus darf sie erst seit kurzem, anfangs ist Papa ihr heimlich nachgelaufen, um sie zu beschützen. Für den Sex geht sie in ein Frauenbordell. Jeden Abend zwei Flaschen Bier, um die Leere zu betäuben. Rosa ist also das genaue Gegenteil von Sophie – oder?
Das gefährliche Aufeinandertreffen bleibt nicht ohne Folgen An diesem Abend ist die Tankstelle, an der sich Rosa immer ihr Bier holt, genau diejenige, an der Sophies Überfall aus dem Ruder läuft. Der Tankwart wird erschossen. Und Rosa ist Zeugin. „Ich bin nicht blind!“, korrigiert sie die Beamten. „Seit ich auf der Welt bin, seh‘ ich auf dem linken Auge ein Prozent.“
Aber das ist auch gar nicht so wichtig, weil Rosa das Motorrad der Täter am Knattern erkennt, die Schuhe der Täter am Tritt mit der Sohle, die sie zu spüren bekommen hat – und das Parfüm der Täterin am Duft.
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Nein, Polizeischutz will Rosa nicht, auf Kommissar Martin Raschers Drängen reagiert sie so allergisch wie auf die Fürsorge ihres Vaters. Und so kann es dank eines glücklichen Zufalls zu der titelgebenden Begegnung der beiden Frauen kommen, und zur Geschichte von Rosa und Sophie, die das eigentliche Ereignis dieses „Tatort“ ist.
Rosa ist ganz betört von Sophie, die küsst, wen sie will, und die lebt, wie sie will. Aus Rosas zahmem Aufbegehren wird rohes Begehren, aus einem gefährlichen Aufeinandertreffen eine berauschende Affäre.
Kein Kitsch, dafür Spiel mit der Gefahr Dank Wolfgang Strauchs unsentimentalem Drehbuch und Ute Wielands konzentrierter Regie verliert sich „Blind Date“ nie im Kitsch. Henriette Nagel spielt eine verletzliche, aber willensstarke Rosa, Anica Happich eine selbstbewusste Sophie, bei der man nie sicher sein kann, was echt ist an der Verführung und was Kalkül.
Und Cornelia Janssens Kamera, die uns gerade noch die verschwommene Dunkelheit der Welt aus Rosas Perspektive gezeigt hat, setzt das Spiel mit der Gefahr in strahlend helle Farben und begleitet unbefangen das erotische Knistern zwischen den beiden Frauen.
Da stört es auch nicht, dass „Blind Date“ seinen Pflichtanteil an Polizeiarbeit eher uninteressiert abhakt – hier geht es um unbedingten Unabhängigkeitswillen, um selbstbestimmtes Leben und um den Preis, den Frauen dafür zu zahlen bereit sind – oder den sie zahlen müssen. Jeder Baustein der Inszenierung – vom Bademantel, in dem Rosas häusliche Mutter zu leben scheint, bis zur aparten Schminke in Sophies Gesicht – dient dazu, das Bild der Protagonistinnen abzurunden und nicht, einen Fall zu lösen.
Für Kommissarin Berlinger ergibt sich ein neuer Lösungsweg Und was ist mit Ereignis-Kommissarin Heike Makatsch? Ellen Berlinger und Martin Rascher (Sebastian Blomberg) arbeiten beflissen am Tankstellenmord; die spröde Unnahbarkeit des seltsamen Kommissars Rascher wird in seinem zweiten Fall mit der Kollegin vielversprechend ausgebaut.
An der Ermittlerin Ellen Berlinger ist „Blind Date“ eher wenig interessiert – an der Frau Ellen Berlinger dagegen umso mehr. Das ist nur konsequent, denn vor allem spielt der Film anhand der alleinerziehenden Mutter eine weitere Variante einer eigenwilligen Frau durch, die mit gesellschaftskonformen Erwartungen hadert.
Zur Erinnerung: Ellen Berlinger hat viele Jahre als Undercover-Ermittlerin in England verbracht. Eine Tochter wuchs derweil bei der Großmutter auf. Jetzt lebt die Kommissarin mit der zweiten, viel jüngeren Tochter Greta in Mainz und ist mit der Kinderbetreuung ge-, vielleicht sogar überfordert. Als plötzlich Gretas Vater aus England vor der Tür steht, bietet sich Ellen Berlinger eine Lösung an. Und dieser „Tatort“ wäre nicht so ein Ereignis, wenn die Lösung eine herkömmliche wäre.
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