Annett Möller: Die Panik überfiel sie während RTL-Moderation

"Ich dachte, ich würde auf der Stelle sterben – und das vor laufender Kamera!", erinnert sich Annett Möller, 43, im "Mental Health Matters"-Interview. Es war der Moment ihrer ersten Panikattacke – während einer Live-Nachrichtensendung für "RTL aktuell", die sie bis 2017 moderierte.

Zuerst dachte die gebürtige Schwerinerin, dass sich mit dem Job einen Traum erfüllen würde. Dann bekam sie immer mehr das Gefühl, "nicht die Richtige zu sein". Die Panik überfiel sie. Wie die Mutter der 4-jährigen Livi ihre Angststörung überwinden konnte, beschreibt sie in ihrem neuen Buch "Liebe Angst, Zeit, dass du gehst" und im Gespräch mit GALA.

Annett Möller bekam vor laufenden Kameras ihre erste Panikattacke

GALA: Sie wussten schon früh, dass Sie Moderatorin werden wollen, haben alles für Ihre Karriere getan. Woher kam dieses Selbstbewusstsein?
Das ist eine gute Frage. Ich konnte mich gut verkaufen, habe schon in der Schule gern vor der Klasse gestanden und Vorträge gehalten. Als ich den großartigen Job als Nachrichtenmoderatorin bekam, hatte ich jedoch immer das unterschwellige Gefühl, nicht die Richtige zu sein. Ich hatte eine Schauspielausbildung gemacht, in einer Band gesungen und bin als Tänzerin in Diskotheken aufgetreten. Ich war nicht so seriös, wie ich es nach außen meiner Ansicht nach sein musste. Mein inneres Kind hat mir immer eingeredet, nicht gut genug zu sein.

Aus Ihrem familiären Umfeld haben Sie nicht sonderlich viel Bestätigung bekommen, wie sie im Buch schreiben.

Ich wollte es anders und habe mir alles nach und nach selbst erarbeitet, mich dabei auch sehr unter Druck gesetzt, erfolgreich zu sein, mir etwas aufzubauen.

Die Angst kam eines Sonntagnachmittags im September 2009. Sie waren 31 Jahre alt, als Sie während einer Live-Nachrichtensendung für "RTL aktuell" plötzlich eine Panikattacke hatten.
Kurz vor der Sendung stand eine sehr bekannte Moderatoren-Kollegin der bekanntesten Moderatorinnen Deutschlands im Studio. Ich wollte souverän wirken, obwohl ich aufgeregt war. Ich war erst etwa anderthalb Jahre dabei, hatte mir großen Druck gemacht, gut zu sein.

Dabei verglich ich mich insgeheim auch immer mit anderen Moderator:innen in diesem Job und fühlte mich um so mehr fehl am Platz. Weil ich die Erfahrung und das Wissen einfach nicht hatte. Um an diesem Nachmittag kompetenter zu wirken, habe ich angefangen, mit einer tieferen Stimme als sonst zu moderieren.

„Nach der Sendung war ich schweißgebadet und völlig am Ende meiner Kräfte“

Was passierte dann?
Ich merkte plötzlich, dass ich dadurch keine Luft bekam. Mein Hals schnürte sich zu, die Panik überrollte mich, mein Herz raste, ich krallte mich am Tisch fest.

Oder zumindest in Ohnmacht fallen. Ich war live, konnte nicht aus der Situation raus, sondern musste weiter moderieren. Wenn ich umgefallen oder raus gerannt wäre, hätten es alle mitbekommen. Ich wäre zur Schlagzeile geworden. Ich habe in einem irren Tempo moderiert und bin danach aus dem Studio raus. Das waren die längsten und schlimmsten Minuten meines Lebens. Nach der Sendung war ich schweißgebadet und völlig am Ende meiner Kräfte.

Wie haben sie es geschafft, danach noch die Abendnachrichten um 18:45 Uhr zu moderieren?
Ich weiß nicht mehr, wie ich das geschafft habe. Ich konnte nicht gehen, weil es an diesem Tag niemanden gegeben hat, der mich hätte vertreten können. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen, um mich so kurzfristig krank zu melden. Danach hatte ich zum Glück erst mal zwei Wochen Pause, das würde mir helfen, dachte ich. Tat es aber nicht und so meldete ich mich bald darauf für mehrere Wochen krank.

Was waren die Auslöser für Ihre Panikattacke und Angsterkrankung?
Ich hatte mich von meinem damaligen Freund getrennt, hatte sehr viel gearbeitet, viele Überstunden gemacht, um mir alles zum politischen Geschehen durchzulesen, damit ich mich kompetent genug fühlte. Ich hatte mir wahnsinnigen Druck gemacht, richtig gut zu sein und wollte es allen beweisen.

Eigentlich hätte ich dringend eine Auszeit gebraucht. Ich war überarbeitet. Die falsche Atmung während der Sendung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Später wurde mir klar, dass bei all dem, was sich da in mir an Stress "zusammenbraute", auch mein inneres Kind einen großen Anteil hatte.

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„RTL aktuell“ „war nur zum Teil mein Traumjob“

Wieso haben Sie Ihren Job nach dieser Erfahrung nicht an den Nagel gehängt?
Ich habe lang und hart dafür gearbeitet und war stolz auf das, was ich erreicht habe. Es war ja auch ein großartiger Job. Eine einmalige Chance. Allerdings war es nur zum Teil mein Traumjob, ich wollte eigentlich immer ins Unterhaltungsfernsehen. Und jetzt stand ich vor der Kamera – nur eben nicht ganz vor der, die ich wollte. Das nagte zusätzlich innerlich an mir.

Was passierte in den nächsten Sendungen?
Früher war ich vor der Sendung immer etwas aufgeregt, was aber ein schönes Gefühl war. Nachdem die Panik kam, habe ich das Herzklopfen mit der negativen Erfahrung verbunden, was wiederum meine Angst vergrößerte: die sogenannte Angst vor der Angst. Das war wahnsinnig kräftezehrend.

Ein harter innerer Kampf. Nach außen konnte ich das sehr gut überspielen, ließ mir nichts anmerken. Mein Job war mir viel zu wichtig. Was wäre die Alternative gewesen? Den Job aufzugeben war für mich nicht vorstellbar. Das Ganze hat sich über einen Zeitraum von sechs Jahren erstreckt.

Wie hat sich Ihr Alltag in dieser Zeit verändert?

Ich habe schlecht geschlafen, mich immer wieder zur Arbeit geschleppt, geschauspielert. Mir ging es dreckig.

Annett Möller machte eine Therapie

Was hat Ihnen damals geholfen?
Ich bin anfangs für wenige Termine in eine Tagesklinik gegangen und habe mich erst Monate später um einen Therapieplatz bemüht. Ich bin zu einer Hypnotiseurin gegangen, war bei der progressiven Muskelentspannung, habe viele Bücher gelesen. Aus all dem habe ich mir Tipps zusammengesucht, die mir in vielen kleinen Schritten – inklusive Rückschlägen – geholfen haben, meine Angst in den Griff zu bekommen.

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Ich lernte die Angst zu visualisieren. Für mich sah sie aus wie ein schlammiges großes Monster, gegen das ich gedanklich im Studio kämpfte. Aber erst als ich lernte, die Angst zuzulassen, sie anzunehmen, machte ich wirklich große Fortschritte. Was mir ebenfalls sehr geholfen hat, war die Arbeit mit meinem inneren Kind – zu schauen, was hinter der Angst steckt. Die Angst will einen vor etwas bewahren oder einem etwas mitteilen. Deswegen ist es wichtig zu schauen, welches Bedürfnis hinter ihr steckt, was nicht erfüllt wird.

Hätte all das verhindert werden können?

Ich hätte mich sehr viel mehr mit mir selbst auseinandersetzen müssen, mit Fragen: Was ist mir wichtig und wieso? Wer bin ich, wer will ich sein und was brauche ich dafür? Wo sind meine Grenzen und warum habe ich diese negativen Gedanken über mich selbst und was will ich stattdessen? Ich bin sehr dafür, dass Kinder genau so was schon in der Schule lernen. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen dann später weniger psychische Probleme haben.

In einem Anti-Angst Onlinekurs zum Buch gibt Annett Möller weitere Hilfestellungen für Betroffene.

Wieso haben Sie schlussendlich ein Buch über Ihre Angststörung geschrieben?
Während meiner Zeit bei den Nachrichten habe ich bereits darüber nachgedacht, meine Geschichte zu erzählen. Denn: Eine Angsterkrankung sieht einem keiner an. Kaum einer wusste davon. Schon bevor ich angefangen habe, als systemischer Auftritts- und Motivationscoach zu arbeiten, lernte ich Menschen mit ähnlichen Problemen kennen.

Je mehr ich darüber sprach, desto mehr Menschen öffneten sich und erzählten, dass sie Ähnliches durchgemacht haben. Die Pandemie hat das massiv verstärkt. Es ist ein riesen Thema, aber keiner spricht drüber. Mit meinen Erfahrungen, den Expertenstimmen und dem 10-Punkte-Plan will ich nun anderen helfen. Ich bin davon überzeugt: Wenn ich damals dieses Buch und einen Coach gehabt hätte, hätte meine Genesung nicht so lange gedauert.

Mit der Interviewreihe "Mental Health Matters" möchte GALA das Thema mentale Gesundheit in den Mittelpunkt rücken, aufklären und psychische Erkrankungen entstigmatisieren.

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