DJ Ötzi erlebt traumatische Kindheit: "Ich habe mich abgelehnt gefühlt"

"Ich war im Himmel und stürzte in die Hölle." Mit diesen Worten beschreibt DJ Ötzi alias Gerry Friedle, 50, in seiner neuen Biografie "Lebensgefühl" einen Moment in seiner Kindheit, der alles veränderte. Der Sänger entstand durch einen "One Night Stand"; seine leibliche Mutter gab ihn als Baby in eine liebevolle Pflegefamilie, aus die er wieder rausgerissen wurde.

Es folgten traumatische Jahre. Sein Vater kümmerte sich nicht um ihn, auch wenn er krank war. Von seinen Großeltern erfuhr er ebenfalls keine bedingungslose Liebe. Als Jugendlicher lebte er dann sogar einige Monate auf der Straße. Bei "Mental Health Matters" spricht der Schlagerstar nun über seinen steinigen Weg aus der Depression zu sich selbst – fast ohne therapeutische Hilfe.

Mit der Interviewreihe "Mental Health Matters" möchte GALA das Thema mentale Gesundheit in den Mittelpunkt rücken, aufklären und psychische Erkrankungen entstigmatisieren.

DJ Ötzi: „Ich habe mich jahrelang abgelehnt gefühlt und zweifelte an mir selbst“

GALA: Ihre damals 17-jährige Mutter gab sie in eine Pflegefamilie. Was hat das mit Ihnen gemacht, zu wissen, dass sie das "Produkt eines One-Night-Stands" waren?
DJ Ötzi: Ich habe mich jahrelang abgelehnt und nicht willkommen gefühlt. Ich zweifelte an mir selbst, haderte mit mir, fühlte mich benachteiligt.

Aber mittlerweile habe ich meinen Frieden damit geschlossen. Denn meine Vergangenheit führte mich auf die Bühne. Wenn ich das nicht erlebt hätte, wäre ich vermutlich heute nicht da, wo ich jetzt bin.

Sie kamen in eine liebevolle Pflegefamilie, doch Ihr Vater Anton Friedle holte Sie, nachdem er von Ihrer Existenz erfuhr, da raus. Sie wohnten dann bei Ihren Großeltern. Über diese Erfahrung schreiben Sie: "Ich war im Himmel und stürzte in die Hölle". Wie reagierten Sie damals als Kind auf dieses einschneidende Erlebnis?
Auf diese einschneidende Erfahrung reagierte ich mit Krankheiten. Mein Körper rebellierte. Als Kind konnte ich meine Trauer nicht äußern, teilweise nicht begreifen. Das hatte mein Körper dann für mich übernommen. Ich war in einer Welt, in die ich nicht hineingehörte, in der ich nicht wie zuvor geliebt wurde und behütet aufwachsen konnte. Ich habe Ablehnung erlebt, wie auch später in meinem Job als Schlagersänger. Das weckte meinen inneren Antrieb. Ich wollte besser sein, mich weiterentwickeln, um diesem Zustand zu entkommen. Das hat mehr als zehn Jahre gedauert.

Ihre geliebte Pflegemutter haben Sie bis heute nur einmal wiedergesehen. Als Kind wurde Ihnen der Kontakt verwehrt. Ihre Großmutter unterband zudem Annäherungsversuche Ihrer leiblichen Mutter. Den Schmerz darüber haben Sie verdrängt. Wann kam dieser an die Oberfläche?
(Lange Pause) Keine Ahnung … Ich hatte als kleines Kind keine Antwort auf all das. Meine leibliche Oma hat ihr Möglichstes für mich getan. Aber es war schon schwierig.

Welche Gedankenmuster sind das?
Ich zweifle dann an mir selbst, fühle mich benachteiligt oder nehme alles persönlich. Das macht keinen Spaß.

Haben Sie Ihre Pflegemutter noch einmal wiedergesehen?
Ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Falls dem so ist, werde ich sie auf jeden Fall besuchen.

Gerry Friedle möchte sich mit seiner leiblichen Mutter aussprechen

Konnten Sie sich mit Ihrer leiblichen Mutter jemals aussprechen?
Bisher nicht, aber ich freue mich schon sehr auf das Treffen mit ihr. Obwohl ich auch Angst davor habe.

Da ist also was geplant?
In meinem Herzen schon. Ich glaube, dass würde viel in mir und in ihr lösen – denn das eventuell vorhandene schlechte Gewissen muss aus meiner Sicht nicht sein. Ich trage ihr all das nicht nach.

Ihr Vater war nie für Sie da, auch wenn Sie krank waren. Vor seinem Tod haben Sie sich mit ihm versöhnt. Das sei vor allem für Sie wichtig gewesen. Wieso?

Aber ohne ihn hätte es mich nicht gegeben. Nach all den Enttäuschen, die ich mit ihm erlebt habe, brauchte ich es ihm im tiefsten Inneren zu vergeben. So konnte ich diesen Groll hinter mir lassen und damit abschließen.

Sie waren vor Jahren wegen all diesen schwerwiegenden Erlebnissen auch mal in Therapie.
Ich war nur einmal beim Psychologen. Ich habe geredet und er zugehört. Das half mir aber nicht, weil ich ein Gegenüber brauchte, das das mit mir aufarbeitet. Deshalb bin ich nicht mehr zu ihm gegangen, sondern habe das alles mit mir allein ausgemacht, um so den Weg zu mir selbst zu finden. Das war ein großer Kampf, der mit professioneller Hilfe sicherlich nicht so lange gedauert hätte. Aber es hat sich gelohnt.

„Ich habe mein kindliches Ich, dass so lange neben mir stand und geweint hat, umarmt“

Nach Ihrem langen Weg zu sich selbst: Wen oder was haben Sie da entdeckt?
Ich habe den Schmerz in meiner Seele entdeckt, die Auslöser, die mich krank gemacht haben. Ich habe mein inneres Kind zugelassen, dass so sehr vernachlässigt wurde. Ich habe aufgehört es zu verdrängen, es zugelassen und ausgelebt. Ich habe mein kindliches Ich, dass so lange neben mir stand und geweint hat, umarmt. Heute sind wir zusammen sehr stark.

Wo kam Ihr unbändiger Überlebenswille her, nicht aufzugeben?

Genau dasselbe wollte ich auch für meine Partnerin, meine Frau, meine Geliebte, meine Teamkollegin.

Mit Ihrer steinigen Biografie möchten Sie gerade in Pandemiezeiten anderen Mut machen. Was können die Menschen von Ihnen lernen?
Es gibt einen Satz, den habe ich mir behalten: Beharrlichkeit macht das Flüchtige beständig. Für mich ist es wichtig, dass ich Sachen, die ich beginne, durchziehe. Auch wenn sich manches vielleicht falsch anfühlt, kannst du immer aus solchen Phasen lernen. Ich hatte damals keine Chance und habe sie dennoch genutzt, weil ich offen dafür war.

Diese Offenheit möchte ich auch meinen Fans entgegenbringen. Ich kann nicht von ihnen erwarten, dass sie zu mir stehen, wenn ich nicht ehrlich bin. Durch meinen Weg können andere mich besser verstehen und vielleicht auch etwas für sich mitnehmen.

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