Es ist so viel los in der Welt, so viel Katastrophales gibt sich die Klinke in die Hand – es wird nicht gerade einfacher für den humororientierten Satiriker in Deutschland. Und für jemanden wie mich, der einmal die Woche hoffnungsfroh aber zumeist erfolglos versucht, das Weltgeschehen in süffisante Worte zu fassen, natürlich auch nicht.
Selbst die echten Satiriker haben es dieser Tage schwer. Der Gag-Autor Peter Wittkamp beispielsweise schreibt eine ähnliche Kolumne wie diese. Also, nicht inhaltlich, denn er ist ja ein echter Autor, aber eben regelmäßig über dies und das, was ihm eben im Tagesgeschäft so auffällt.
Nur halt in irgendeiner Berliner Lokalzeitung, weswegen er nicht 3.000 Drohmails pro Woche bekommt, wenn er mal versehentlich die Vokabeln „Querdenker“ und „Intelligenzdilemma“ im selben Satz unterbringt.
Ganz anders sieht es da natürlich aus, wenn Wittkamp sich mal satirisch an einer Ikone des Prenzlberger Ökosystems abarbeitet: dem Lastenfahrrad. Das auch optisch zumeist etwas mehr als haarscharf am Red Dot Design Award vorbeischrappende Fahrrad mit vorgelagertem Bollerwagen gilt als eine Art Statussymbol für eine gewisse Klientel von Wohlstands-Weltverbesserern, die ihren Plug-in-Hybrid-SUV auch mal stehen lassen und ihre drei Kinder namens Cassiopaia-Jülida, Karlotta Lina Mirte und Viktor Paul Lenin im Lastenfahrrad zur Privatschule chauffieren. Da grüßt der 52 Jahre alte Papa dann nonchalant aus seinem ausgewaschenen Helmut-Lang-Hoodie, denn der macht zehn Jahre jünger, allerdings auch zehn Kilogramm schwerer.
Die Kritik am Lastenfahrrad an sich jedenfalls nimmt die von Diskurs-Ikonen aus der eher schwer konservativen bis leicht AfD-lastigen Journaille gerne als „linksgrünversifft“ bezeichnete Klientel nicht so leichtfertig hin wie den Preis von 14,25 Euro für einen Liter Latte Macchiato mit Mandelmilch. Fair Trade gilt für Kaffee, aber nicht für Argumente.
Und so ergoss sich über den hochgeschätzten Wittkamp, der sehr viel lustiger schreibt als ich, dafür aber auch viel bkritesser aussieht, ein veritabler Shitstorm. Oder sagen wir mal: Lastenfahrradsturm.
Lastenausgleich ja, aber nicht beim Fahrrad
Das meiste davon war ziemlich unsachlich, einiges wirkte sogar bedrohlich unterbelichtet dafür, dass man am liebsten im Bocca di Bacco die Trüffelpasta für 48 Euro bestellt. Natürlich nur gelegentlich, denn eigentlich ist man ja die meiste Zeit Veganer – vor allem der Umwelt wegen und weil man schon auch ein bisschen den Spirit von Luisa Neubauer in sich trägt. Nur, dass man noch nie bei Markus Lanz saß und Friedrich Merz angepöbelt hat, aber das ist eigentlich unverständlich, denn ein rhetorisches Argumentationsgenie ist man ja durchaus auch. Auch wenn man eben Anwalt ist oder gerade das 24. Start-up mit fremder Business-Angels-Kohle an die Wand brettert.
Wittkamp muss seither damit rechnen, dass ein Furor aus Lastenfahrrad-Ultras ihm beim Signieren seiner Bücher im KulturKaufHaus Dussmann auflauert oder beim Erwerben von Blumenerde im Baumarkt, denn wenn es Rosen regnen soll, dann müssen die vorab natürlich auch erstmal gepflanzt werden.
Mit feinerer Klinge geht da schon die intellektuelle Vorhut der liberalen Freiheitskämpfer in den Verlagstürmen der Hauptstadt zu Werke. Dort entgleist man in seiner eigenen literarischen Genialität zuweilen kurz während der Einfahrt auf Gleis 08/15 im Sackbahnhof der Eitelkeiten und vergleicht die Idee Subventionen für Lastenfahrräder und andere Ideen aus dem Kosmos der Annalena-Baerbock-Fanzines gerne mal mit den Taliban. Verständlich, dass Wittkamp vor Schreck erstmal in die SPD eingetreten ist.
Das facht dann natürlich die Grabenkämpfe der Kommentarspalten-Helden aus beiden Lagern an, die mit selbstherrlicher Kritik immer sehr schnell am Diskussions-Beckenrand auftauchen und dann mit einer dogmatischen Meinungs-Arschbombe die intellektuellen Freischwimmer missionieren möchten. Seepferdchen für Lastenfahrrad-Kritik-Kritiker.
Am Ende kommen die Immer-Rechthaber
Viele, die mit hoher Schlagzahl kommentieren und das dann damit ausgleichen, nur mit sehr geringem Engagement nachzudenken, haben ja oftmals ein Wahrnehmungsdelta, wenn mal ein Satz via Sarkasmus, Ironie oder Satire gar nicht so gemeint sein könnte, wie er da erstmal so steht. Das gilt natürlich nicht nur für Lastenfahrrad-Battlefields, sondern für ziemlich alle Themen, die sich in einem Jahr so anhäufen können, in dem es eine Pandemie, eine Bundestagswahl und den Rücktritt von Jogi Löw auszuhalten gilt.
Inzwischen sind ja einstmals als Spaß-Podcasts wahrgenommene News-Snacks wie „Apokalypse und Filterkaffee“ von Micky Beisenherz und Nikki Hassan-Nia oft die unabhängigsten News-Formate. Während sich in den Agenda-Kriegen der Haus- und Hof-Journalisten beider Lager beispielsweise „Spiegel“ und „Stern“ für einen recht einseitig grünen Berichterstattungs-Wahlkampf in Stellung bringen, befeuert der Turm der Freiheit aus „BILD“ und „WELT“ nach erfolglosen Kampagnen für zunächst Friedrich Merz und anschließend Markus Söder nun eben folgerichtig Armin Laschets Ambitionen, der erste Kanzler nach 16 Jahren Merkel zu werden.
Während auf der einen Seite ein Ozean der Unprofessionalitäten im Zusammenhang mit der einzigen weiblichen Spitzenkandidatin zu einer Art Lappalien-Memorie runterbeschwichtigt wird, bemüht sich die andere Seite, möglichst wenig der Fettnäpfchen, Verfehlungen, Lügen und Widersprüche des Unions-Kandidaten in die prominente Berichterstattung einzubringen.
Letzteres ist schwierig in Anbetracht des unerschöpflichen Talents eines Armin Laschet, täglich mehrfach auf einem 100 mal 50 Meter großen Fußballfeld feixend zielsicher das einzige Stecknadelkopf große Fettnäpfchen zu finden, um wirklich keine Gelegenheit auszulassen, sich bei Twitter dem Fachurteil der Politikwissenschaftler:innen auszuliefern.
Peinlichkeits-Parcours: Laschet taumelt von einem Aussetzer zum nächsten
Vielleicht sieht er sein Engagement in diesem für Spitzenpolitiker eher ungewöhnlichen Fachgebiet aber auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Social-Media-Koryphäen, die sich ohne alltägliche Dosis Laschet-Diss weiter um ihr trostloses Tagesgeschäft aus erfundenen Geschichten zur Diffamierung ungeliebter Einzelpersonen konzentrieren, statt Politiker wieder Privatpersonen beleidigen oder sogar Spendenaufrufe für den Eigenbedarf aus den Fingern saugen.
Da ist es doch eine wohltuende Abwechslung, sich in diesen meinungshoheitlich schwer umkämpften Zeiten einfach mal jeden Abend der totalen intellektuellen Bankrotterklärung hinzugeben. Dem von Jochen Schropp und Marlene Lufen moderierten Resozialisierungs-Camp für D-Promis. Das mache beispielsweise ich. Sollten Sie vielleicht auch probieren. Aber schnell, denn Freitag ist schon Finale – und dann sind wir wieder alleine mit Baerbock, Scholz und Laschet. Und das auch noch ganz ohne Chance, irgendwen für immer rauszuwählen. Bis nächste Woche!
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