München – Im Frühjahr 2020 wurde „Undine – ein Traumballett“ von Ballettchef Karl Alfred Schreiner unter Abstandsregularien geplant und vorbereitet.
Das abendfüllende Tanzstück sollte bereits im November 2020 auf die Bühne des Staatstheaters am Gärtnerplatz kommen. Mittlerweile wird regelmäßig getestet, Berührungen zwischen Künstlern sind wieder erlaubt.
AZ: Herr Schreiner, mussten Sie jetzt – vor der verspäteten Uraufführung – alles umschmeißen?
Karl Alfred Schreiner: Zum Glück beinhaltet der Stoff bereits per se das Nicht-Zueinander-Kommen-Können, verbunden mit der Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Wasser und Luft sind zwei inkompatible Lebenswelten. Da fügt sich Distanz logisch ein.
„Undine ist es ein sehr intimes Stück geworden“
Das Haus hat einige Vorpremieren gestreamt. Warum nicht dieses Ballett?
„Undine“ wollte ich aus zwei Gründen nur vor Publikum herausbringen: Zum einen ist es ein sehr intimes Stück geworden. Zum anderen wegen Heiko Pfützners Bühnenbild und seinen Spiegelungen, die unsere Augen, nicht aber eine Kamera richtig wahrnehmen können. Meine Choreografie wäre womöglich dem Schnitt, den Kameraleuten und dem Medium Film heillos ausgeliefert gewesen.
Wird das Orchester spielen?
Noch ein Argument gegen die Filmfassung. Ich habe die Sinfonie Nr. 10 von Gustav Mahler in der Fassung für Kammerorchester von Michelle Castelletti gewählt, auch weil die mit den Corona-Auflagen im Orchestergraben funktioniert. Laptop-Lautsprecher würden dieser Musik kaum gerecht.
Was fasziniert Sie am Wasser, das schon in ihrem letzten Ballettabend „Atlantis“ eine bedeutsame Rolle spielte?
Manchmal fügt sich einfach etwas. Ich schlug den Undine-Stoff vor, und als wir mit unserem Dirigenten Michael Brandstätter auf Mahler kamen, passte alles. Dass beide Arbeiten ausgerechnet mit dem Element Wasser zu tun haben, ist aber Zufall. Ursprünglich hatten wir mit „Der Sturm“ eine weitere Produktion in Planung, die wir erst gar nicht angepackt haben. Sie wurde auf nächste Spielzeit verschoben.
„Diesmal gibt es Mahler unverfälscht“
Die Musik zu „Atlantis“ war von elektronischen Effekten durchzogen. Erwartet uns Ähnliches bei „Undine“?
Nein! Diesmal gibt es Mahler unverfälscht. Ohne Pause. Nur Mahlers unvollendete Sinfonie pur, Tänzer pur – und auch die Ausstattung ist reduziert. In der Haptik, die ich am Theater so liebe, liegt eine ureigene Kraft, die sich in diesem Fall nur live auf das Publikum übertragen kann.
Wo haben Sie inhaltlich den Schwerpunkt gesetzt?
Mich hat insbesondere die Figur der Undine interessiert. Eine Frau, die den Mut und die Kraft hat, ihr eigentliches Element zu verlassen, um das Glück und die Liebe zu finden.
Dennoch scheitert sie
verdammt dazu, ihr Geheimnis zu wahren. Wäre sie gleich mit der Wahrheit ihrer fischigen Herkunft herausgerückt, hätte die Liebe eine Chance gehabt. Letztendlich bleibt Undine keine andere Option als den menschlichen Geliebten zu ertränken. Wir haben es also mit einer sehr harten Geschichte zu tun. Am Ende der fünf musikalischen Sätze sollte kein Meerjungfrauen-Hascherl zurückbleiben, sondern eine starke Frau.
„Mir geht es eher um die seelischen Zustände, die Undine erlebt“
Die Undine-Geschichte in Bildern nachzuerzählen haben Sie also nicht erst versucht?
Dazu hätte ich auch keine Musik von Mahler verwendet. Mir geht es eher um die seelischen Zustände, die Undine erlebt. Außerdem kreiere ich gern Stücke für 20 Leute – also für mein komplettes Ensemble. Da bringt es wenig, wenn ein Teil davon nur Beiwerk darstellt.
Weshalb der Titelzusatz „Ein Traumballett“?
Weil ich das Wort Ballett in Verbindung mit einer beschreibenden Zusatzfunktion im Titel gut finde. Das ist eine Art Steckenpferd von mir. „Mit „Atlantis“ habe ich Expeditionen verknüpft. Diesmal gehe ich in die Abstraktion und das Traumhafte bestimmt die Grundstimmung von Mahlers Sinfonie. Durch diese Herangehensweise bieten sich viel mehr tänzerische und choreografische Möglichkeiten als bei einem Handlungsballett. Gerade weil ich mir das Dogma auferlegt hatte, dass sich meine Interpreten – mit Ausnahme zweier Duette – nicht berühren.
Sie erzählen in einer poetischen Dimension?
Meine Hauptfigur ist immer präsent, sie hat aber einen Widerpart, wird – auch aufgrund der Bühnenanmutung – ständig gespiegelt. Die seelischen Aspekte werden quasi wie in einem Kaleidoskop aufgefächert. Soweit meine Auseinandersetzung mit dem Topos einer unmöglichen Verbindung zwischen Mensch und Wassergeist. Wenn ich mir etwas wünsche, das man mitnimmt aus diesem Stück, dann das: Es lohnt sich, zu neuen Ufern aufzubrechen, sich zu verändern, um Neues zu entdecken – selbst wenn es in die Hose geht und sich herausstellt, dass eben die Veränderung das Fatale an der ganzen Sache ist.
„Man braucht die Konfrontation mit dem Betrachter“
Wie haben Sie das halbe Jahr Wartezeit durchgestanden?
Schwierig. Irgendwann braucht man die Konfrontation mit dem Betrachter. Bis dahin haben wir blockweise Erinnerungsdurchläufe angesetzt und vor zwei Wochen das Stück dann konsequent wieder hervorgeholt. Was Fitness und Verletzungen betrifft, sind wir relativ gut durch die Krise gekommen, konnten trainieren und haben sogar neue Stücke kreiert, die im Juni und Juli herauskommen sollen. Zeit für Alpträume über meine künstlerische Arbeit blieb jedenfalls keine, zumal ich quasi durchgehend mit dem Tagesgeschäft, Hygienekonzepten, dem Umgang mit Restriktionen und der Hoffnung auf Lockerung beschäftigt war.
Und Ihre Kompanie?
Sie fühlten sich wie in einem Tunnel. Für uns Künstler war das Zuwarten vielleicht am schlimmsten. Eine Durchhaltephase. Aber ab einem bestimmten Punkt, ohne irgendeinen Gipfel im Blick, wird bloßes weiter Durchhalten echt hart. Nun sind wir superfroh, endlich wieder raus auf die Bühne zu dürfen!
Karten für die Vorstellungen am 19. (Premiere), 24., 25. Mai, 4. und 5. Juni online über gaertnerplatztheater.de. Derzeit sind rund 250 Zuschauer zugelassen
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