Im Tatort müssen die mysteriösen Todesumstände einer reichen Witwe geklärt werden. Aber genau so spannend ist die Frage, warum ein Erbschaftsstreit so dramatische Folgen haben kann. Es geht nicht alleine um das Geld – die Soziologie kennt einen wichtigen Grund, warum das Erbrecht für das deutsche Selbstverständnis eine wichtige Rolle spielt.
Schwarzwald-„Tatort“: Ist Erben wirklich ungerecht?
„Erben ist ein überholtes Privileg“, schimpft Kommissarin Tobler im „Tatort – Was wir erben“, und das Drama, das um den Nachlass der Fabrikantenwitwe Klingler ausgelöst wird, scheint der Kommissarin Recht zu geben. Tatsächlich gibt es in manchen Kreisen Diskussionen darum, weil das „Privileg“ von seinen Kritikern als überholtes Prinzip aus der europäischen Feudalzeit angesehen wird – also vergleichbar wäre mit einem Reich, das von König zu König innerhalb der Familie bleibt.
Dadurch, so die Kritiker, werde die soziale Ungleichheit der Vermögensverteilung von Generation zu Generation weitergetragen.
Laut dem Soziologen Jens Beckert wird in Deutschland jährlich Vermögen im Wert von über 200 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt: „Die untere Hälfte der deutschen Haushalte verfügt nach Abzug der Schulden über quasi kein Vermögen und vererbt daher auch nicht“, so der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in der Fachzeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“.
Beckert schreibt: „75 Prozent aller Erbschaften liegen bei unter Hunderttausend Euro. Über 60 Prozent des Vermögens konzentrieren sich bei den reichsten zehn Prozent der Haushalte. Das obere eine Prozent verfügt über 32 Prozent des insgesamt in der Gesellschaft vorhandenen Privatvermögens.“
Ist das Erbrecht also umstritten?
Im Gegenteil: Laut einem Radiofeature des Journalisten Lorenz Rollhäuser im Deutschlandfunk stimmten bei einer Umfrage 84 Prozent der Deutschen folgendem Satz zu: „Es ist gerecht, dass Eltern ihr Vermögen an ihre Kinder weitergeben, auch wenn das heißt, dass die Kinder reicher Eltern im Leben bessere Chancen haben.“ Die Umfrage stammt allerdings von 2007. Eine repräsentative Befragung kam 2013 zu dem Ergebnis, dass zwar eine Mehrheit der Bevölkerung einer Erhöhung der Einkommens- und der Erhebung der Vermögenssteuer zustimmen würde. Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer lehnten jedoch zwei Drittel der Befragten ab.
Ein Grund für die Zustimmung könnte Beckerts Argumentation zufolge zum einen in Unwissenheit liegen: So würden nicht nur Änderungsvorschläge, sondern die Erbschaftssteuer an sich in der Bevölkerung als „Neidsteuer“ kritisiert, obwohl Erbschaften im Durchschnitt nur „mit rund 2,5 Prozent besteuert“ werden und gegenwärtig ein „Vermögen von bis zwei Millionen Euro in einer gewöhnlichen Familiensituation erbschaftssteuerfrei vererbt werden“ kann.
Der andere Aspekt tritt im „Tatort“ deutlich zutage: Jeder Eingriff in das Erbrecht wird als Eingriff in die Familie angesehen: „Erbschaften und Schenkungen leisten einen wichtigen Beitrag zur familiären Solidarität und stärken insoweit Familienstrukturen“, so der Soziologe Beckert.
Das „zeigt sich auch ganz konkret, wenn Transfers zwischen den Generationen als Gabe eingesetzt und durch Gegengaben, insbesondere emotionale Zuwendung, ausgeglichen werden.“ Beispiele seien „Zuwendungen der Großeltern an die Enkel, die diese durch Kontaktbewahrung erwidern, oder auch die erbrachten Pflegeleistungen für die Eltern, die unausgesprochen mit der Erwartung der Erbschaft verbunden sein können.“
War Mon Chéri eine Inspiration für diesen „Tatort“?
Die „Schwarzwälder Schokokirschen“, die der Familienbetrieb in „Was wir erben“ produziert, erinnern an die Marke „Mon Chéri“. Aber das Unternehmen Ferrero, das die berühmte likörgefüllte Praline „mit der Piemontkirsche“ seit den fünfziger Jahren herstellt, hat mit der unrühmlichen Firmengeschichte im „Tatort“ nichts zu tun: Ferrero wurde erst 1946, also nach dem Krieg, in Italien gegründet.
Die Kirschen für Mon Chéri stammen übrigens nicht aus dem italienischen Piemont, sondern unter anderem aus der Ortenau, also – wie dieser „Tatort“ – aus dem Schwarzwald.
„Was wir erben“: Was bedeutet das Bismarck-Zitat?
Der Familienanwalt hält nicht viel vom partyfreudigen Enkel der toten Fabrikantin und beschreibt seinen Vorbehalt gegenüber Kommissarin Tobler so: „Ich bin mal so frei, Bismarck zu zitieren: ,Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet es, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.'“ Das Zitat wird gern und oft zitiert, um die Verweichlichung, die Dekadenz oder den mangelnden Geschäftssinn jüngerer Generationen zu beschreiben.
Aber ob es tatsächlich von dem einstigen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) stammt, ist gar nicht erwiesen: Im Netz findet sich keine einzige Quellenangabe, und selbst die Fachleute von der Otto-von-Bismarck-Stiftung konnten auf die Schnelle die Stelle nicht finden. Forscher Ulf Morgenstern kennt das Problem: „Die Liebhaber deftiger Redewendungen kennen Bismarck als Schöpfer zahlreicher eingängiger sprachlicher Bilder“, schrieb der Forscher 2016 auf der Stiftungswebseite. „Manche Metaphern sind fix an ihn gebunden (,Eisen und Blut‘). Andere scheinen von ihm zu stammen, da Wortwahl und Kontext passen. Belegen lassen sich viele jedoch nicht.“
Schriftsteller Thomas Mann variierte die Aussage 1901 in seinem Roman „Die Buddenbrooks“, der den passenden Untertitel „Verfall einer Familie“ trägt: „Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s.“
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