Die Macht unserer Gene: Bei fast 90 Prozent hilft Sport beim Abnehmen nicht

Wie groß ist der Einfluss der Gene?

„Das liegt in unserer Familie in den Genen“. Sicher jeder von uns hat diesen Satz schon einmal gehört oder ihn selbst ausgesprochen. Oft als Begründung für das Auftreten bestimmter Erkrankungen oder überflüssiger Pfunde, die sich hartnäckig halten. Nicht selten werden Aussagen wie diese jedoch von den Mitmenschen angezweifelt und als Ausrede abgetan. Nach Ansicht von Dr. Daniel Wallerstorfer zu Unrecht. So behauptet der Molekularbiologe unter anderem, dass bei 86% der Bevölkerung Sport zum Abnehmen kaum helfe, da sie ungünstige Genvarianten in sich tragen. Doch ist es wirklich so einfach? Wir erklären, was dahintersteckt!

"Jeder Mensch leidet unter mindestens 2.000 Gendefekten"

In seinem Buch „Die Macht unserer Gene“* vergleicht Wallerstorfer unseren Genpool mit einer riesigen Bibliothek: „Alle Bücher zusammen enthalten die Bauanleitung meines Körpers, auch Erbgut genannt“. Und „wissenschaftlichen Schätzungen zufolge leidet jeder Mensch unter mindestens 2.000 Gendefekten“. Sie sorgten dafür, dass unser Immunsystem schlechter funktioniere, dass wir an Arthrose und Osteoporose erkranken und könnten Diabetes und Sehschwächen auslösen. Außerdem machten sie dick.

Die Macht unserer Gene

Die Macht unserer Gene

Diese Rolle spielen unsere Gene beim Übergewicht

Laut Wallerstorfer gehen Wissenschaftler heute davon aus, dass 60 bis 80 Prozent der Fälle von extremem Übergewicht auf genetische Ursachen zurückzuführen sind. „Tatsächlich wurden inzwischen mehr als 400 Gene identifiziert, die im Zusammenhang mit Übergewicht eine Rolle spielen können“, schreibt der Molekularbiologe. So könne schon der Defekt eines einzelnen Gens dazu führen, dass wichtige Funktionen im Stoffwechsel fehlten, wodurch die Prozesse der Energiespeicherung, der Energieverbrennung oder der Appetitregulierung durcheinandergerieten.

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Als Beispiel nennt er das Leptin-Gen (LEP-Gen): Das Hormon Leptin wirkt appetithemmend. Das heißt: Je höher die Leptin-Konzentration im Blut ist, desto geringer ist unser Appetit. Da Leptin von den Fettzellen produziert wird, lässt sich der Mechanismus der Leptin-Ausschüttung folgendermaßen zusammenfassen: Je mehr Fettgewebe wir haben, desto weniger Hunger verspüren wird. Und je weniger Fettgewebe wir haben, desto größer ist unser Hunger.

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Ein defektes Leptin-Gen sorgt für andauernden Hunger

„Wer viele und große Fettzellen hat, der produziert entsprechend viel Leptin, was wiederum den Hunger unterdrückt. Wird deshalb weniger gegessen, reduziert sich auch das Fettgewebe allmählich, sodass die Leptin-Produktion schließlich wieder nachlässt“, erklärt der Experte. Dies erklärt auch, warum sich das Gewicht unter normalen Bedingungen immer wieder auf ein gewisses Level einpendelt.

Ist nun das Leptin-codierende Gen defekt – weil beispielsweise von Vater und Mutter je ein defektes LEP-Gen vererbt wurde – fehlt ein zentraler Faktor der Hungerregulation. Die Folge: Wir haben ständig Hunger. Folglich nimmt das Fettgewebe zu, doch der Körper beziehungsweise unsere Zellen sind aufgrund des defekten Gens nicht in der Lage, Leptin zu produzieren, welches den Hunger stoppen würde.

Die gute Nachricht: In diesem Fall kann Leptin jedoch von außen zugeführt werden. Wichtig ist jedoch, dass der Gendefekt erkannt wird. Doch daneben gibt es noch eine Fülle weiterer Genvariationen, die einzeln und jede für sich vermutlich keinerlei Auswirkung hätten, in Summe jedoch ebenfalls weitreichenden Einfluss auf unser Gewicht haben.

Was steckt hinter dem sogenannten Übergewichtsgen FTO?

Die Auswertung einer schottischen und mehrerer anderen Studien legt nahe, dass das Gen FTO beeinflusst, welche Lebensmittel wir bevorzugen – und damit Einfluss auf unsere Psyche hat. Wer die „ungünstige“ FTO-Variante aufweist, greift demnach vor allem zu fettreichen Speisen. Dies erkläre, warum Menschen mit dem ungünstigen FTO-Gen durchschnittlich drei Kilogramm mehr wiegen als Menschen ohne diese Genvariation.

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Warum nehmen manche Menschen zu, wenn Sie mehr Fett aufnehmen als unser Körper benötigt, und manche Menschen nicht?

Die Erklärung liegt laut Wallerstorfer im sogenannten FABP2-Gen: Dieses Gen findet sich im Dünndarm. Über den Dünndarm wird Fett in den Körper aufgenommen und gelangt von dort in den Blutkreislauf. Das FABP2-Gen signalisiert ab einer bestimmten Fettmenge: „Danke, jetzt ist’s genug!“ Folglich wird eine weitere Fettaufnahme blockiert und das überflüssige Fett unverdaut ausgeschieden.

Bei 58 Prozent aller Menschen funktioniert jedoch mindestens eines der beiden FABP2-Gene nicht richtig. Die Folge: Bei diesen Menschen kommt es zu keinerlei Regulation der Fettzufuhr. Somit führt ein Mehr an Fettkalorien zu einem Mehr auf der Waage.

Hilft Sport beim Abnehmen?

Auch die Frage, ob wir durch Sport abnehmen oder nicht, ist eine Frage der Gene. Das sogenannte PPARG-Gen beeinflusst den Fettstoffwechsel, indem es den Fettzellen signalisiert, Fett aufzunehmen und zu speichern. In einer zehnwöchige Diabetes-Präventionsstudie aus dem Jahr 2015 mit 133 Teilnehmern konnte nachgewiesen werden, dass diejenigen Teilnehmer, welche die ungünstige Variante des PPARG-Gens aufwiesen, in den zehn Wochen nur durchschnittlich 300 Gramm Gewicht verloren hatten. Die Teilnehmer mit funktionierenden PPARG-Genen brachten hingegen durchschnittlich 1,8 Kilogramm weniger auf die Waage.

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Laut Wallerstorfer verfügen 86 Prozent aller Menschen über die ungünstige Variante des PPARG-Gens. „Neben PPARG gehören auch FTO und ADRB3 zu den Genen, die, wenn sie reibungslos funktionieren, den Fettstoffwechsel besonders ankurbeln, sobald wir Sport treiben. Sind Sie allerdings – wie ich und 86 Prozent der Bevölkerung – Träger der ungünstigen Genvarianten, dann ist Sport zwar gesund für Ihr Herz-Kreislauf-System, aber um abzunehmen, sollten Sie eine andere Strategie wählen“, fasst der Experte zusammen. Das erklärt, warum bei vielen Menschen Sport nicht das geeignete Mittel zur Gewichtsabnahme ist.

"Gene sind kein Schicksal mehr"

Was zunächst ernüchternd klingt, bietet jedoch auch Chancen: Wer weiß, wo seine genetisch bedingten Schwächen liegen, kann mit einem darauf abgestimmten Lebensstil und der passenden Ernährung gegensteuern und diese vermeintlichen Schwachpunkte ausgleichen. So betont Wallerstorfer denn auch: „Gene sind kein Schicksal mehr“.

Und er macht deutlich: Jeder von uns hat auch genetische Stärken. Diese gelte es zu stärken und die Schwächen durch geeignete Gegenmaßnahmen zu schwächen. Wallerstorfer rät dazu, unsere Ernährung und den Sport jeweils an unsere spezifische Genkonstellation anzupassen. Er empfiehlt, die eigenen „Gewichtsgene“ – wie beispielsweise FTO, PPARG oder ADRB2 – analysieren zu lassen. Wer wisse, dass er einen FABP2-Defekt habe, könne einer Gewichtszunahme besser entgegensteuern, indem er konsequent auf eine nur mäßige Fettzufuhr achtet.

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Wer hingegen einen Defekt des Gens ADRB2 aufweist, weist eine erhöhte Neigung zum Jo-Jo-Effekt auf. Allerdings führt eine Drosselung der Kohlenhydratzufuhr bei Trägern dieser Genvariante dafür besonders schnell zu einer Gewichtsabnahme. Hier kann eine langfristige Ernährungsumstellung helfen, das Gewicht dauerhaft zu stabilisieren.

Gen-Diät kann das Abnehmen unterstützen

Dies macht deutlich: Wie wir gewisse Nährstoffe verwerten, wird tatsächlich zu einem großen Teil auch von unseren Genen gesteuert. Dies heißt jedoch nicht, dass wir unseren Genen und dem Effekt bestimmter Genvarianten heillos ausgeliefert sind. Wer weiß, dass er mit einer reduzierten Zufuhr an Fett oder Kohlenhydraten besser abnimmt als mit Sport, sollte seinen Fokus beispielsweise auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung richten.

Das heißt aber nicht, dass von nun an gar kein Sport mehr getrieben werden sollte. „Wer abnehmen möchte, muss mehr Kalorien verbrennen als er aufnimmt“, erklärt Ernährungsexpertin Nora Rieder. „Jede Form von Bewegung benötigt Energie, die unser Körper gewinnt, indem er Kohlenhydrate verbrennt oder aber die Fettdepots angreift“. Auf diese Weise könne regelmäßige Bewegung das Abnehmen unterstützen. „Schon drei mal 30 Minuten Bewegung pro Woche sind super. Wer zudem noch Kraftsport betreibt, kann dem Abbau von Muskelmasse effektiv entgegenwirken.“ Das sei vor allem vor folgendem Hintergrund von Vorteil: Je mehr Muskelmasse wir besäßen, desto höher sei die Fettverbrennung selbst dann, wenn wir uns nicht bewegen.

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Fazit: Eine Gen-Diät kann das Abnehmen unterstützen, indem Sie gezielt an den entsprechenden Stellschrauben ansetzen. Sie sollte aber nicht als Vorwand genutzt werden, auf bestimmte Nährstoffe oder auch auf Sport vollständig zu verzichten.

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