München – Dass Scherben am Polterabend Glück bringen, ist seit dem Mittelalter verbreiteter Brauch. Dass sie auch Teil des jüdischen Rituals für Frischvermählte sind, zeigen „Hochzeitssteine“ an Synagogen im deutschsprachigen Raum.
1.700 Jahre deutsch-jüdische Geschichte
Das Jüdische Museum präsentiert nun einen dieser Steine: Er ist stark verwittert, man kann aber noch den sechsstrahligen Stern und die hebräische Inschrift, die „Mazal tov“ bedeutet, erkennen. Der Sandsteinbrocken, an dem das Geschirr zerschlagen wurde, stammt aus dem 18. Jahrhundert, kommt aus dem pfälzischen Alsenz und ist Teil der neuen Ausstellung „Im Labyrinth der Zeiten – mit Mordechai W. Bernstein durch 1.700 Jahre deutsch-jüdische Geschichte“, die Bernhard Purin und Ayleen Winkler erarbeitet haben.
Drei Jahre lang forschte der Journalist Mordechai W. Bernstein
Eine Zeitreise durch viele Jahrhunderte Jüdischen Lebens in Deutschland anhand von 18 Objekten – und zugleich Tour durch die Provinz. Titel und Konzept basieren auf der dreijährigen Forschungsreise des Journalisten Mordechai W. Bernstein (1905-1966), der sich zwischen 1948 und 1951 im Auftrag des „Jüdischen Wissenschaftlichen Instituts“ (YIVO) auf die Suche nach Zeugnissen deutsch-jüdischer Kultur begab. Er bereiste 800 Orte, stöberte in Archiven, Bibliotheken, Museen nach Dokumenten und Objekten – und nach steinernen Relikten vor Ort.
Kein trockener Historiker
Ergebnis war eine dreibändige Publikation – herausgegeben 1955 auf Jiddisch. Deren Besonderheit ist, dass Bernstein historische Entdeckungen und persönliche Erlebnisse in Nachkriegsdeutschland auf eher literarische Weise zusammenfasst und vielfältige Bezüge herstellt. Er war kein trockener Historiker, sondern an Alltags- und Lebensgeschichten interessiert. Dass seine eigene wahnwitzige Überlebens- und Fluchtgeschichte die Nacherzählung wert ist, wird im Katalog (Hentrich & Hentrich, 341 Seiten, 29.80 Euro) deutlich: Geboren 1905 im heutigen Belarus, wurde Bernstein jung Mitglied der jüdischen Arbeiterpartei BUND und ging mit seiner Frau Zelda Goldin 1930 nach Warschau, wo er bereits für das YIVO arbeitete.
Jahrelange Flucht und Haft
Nach dem deutschen Einmarsch in Polen floh er nach Wilna, wurde 1940 wegen seiner Tätigkeit für den BUND bis 1942 inhaftiert. 1943 ging er nach Usbekistan, wo er erneut für den BUND arbeitete – und wiederum zu fünf Jahren Gulag verurteilt wurde. Frau und Tochter konnten 1941 über Japan nach Kanada fliehen. Er gelangte 1946 zurück nach Polen, kam 1948 nach Süddeutschland, wanderte 1952 nach Argentinien aus und erst 1962 nach New York, wo längst seine Familie lebte. Am Anfang des Museums-Rundgangs steht das älteste Fundobjekt: Das Fragment einer Öllampe aus dem 4. Jahrhundert, auf dem die Menora, der siebenarmige Leuchter, abgebildet ist. Man fand es in Trier nahe der Judengasse und deutet sie als Hinweis auf die frühe Existenz einer jüdischen Gemeinde.
Jahrhundertelange Bedrohung und Repression
Des Weiteren stößt man auf beredte Zeugnisse jahrhundertelanger Bedrohung und Repression: Etwa das Rechnungsbuch aus Bamberg (17. Jahrhundert), für das die Pergamentseiten eines zerstörten hebräischen Gebetbuchs als Umschlag benutzt wurden. Oder die stark lädierte Tora-Krone aus dem schwäbischen Laupheim: Die dortige Synagoge wurde 1938 von SA-Männern niedergebrannt. Doch man kann auch etwas über das rituelle Badehaus im hessischen Friedberg erfahren, das aufgrund des niedrigen Grundwasserspiegels 25 Meter unter die Erde führt. Oder, anhand einer Zeichnung aus Amorbach, über die Bedeutung des Misrach (Sonnenaufgang), das im Haus die Richtung fürs Gebet nach Osten anzeigt.
Lesen Sie auch
Weibliche Doppelspitze für das Künstlerhaus:“Und wo ist jetzt die Prinzessin?“
Eines der frühesten Mahnmale in Deutschland
Bemerkenswert ist zuletzt das Denkmal für die zerstörte Synagoge in Aschaffenburg, das bereits 1946 auf dem Otto-Wolfsthal-Platz errichtet wurde. Bernstein recherchierte über den namensgebenden Bankier und Wohltäter, der sich 1942 kurz vor der Deportation umbrachte. Der Gedenkstein ist eines der frühesten Mahnmale in Deutschland, das Hölderlin-Zitat darauf geht zurück auf Karl Rupprecht. Die jüngste Recherche von Jutta Fleckenstein ergab, dass jener in den 1920er Jahren Lehrer am Münchner Wilhelmsgymnasium war und später mit seiner Frau, der Münchnerin Emmy Rosenbusch, nach Aschaffenburg zog. Während der NS-Zeit wurde er suspendiert, weil er sich weigerte, sich von seiner jüdischen Frau scheiden zu lassen. Auch deren Vater entging in München der Deportation nur durch Selbstmord. Emmy Rosenbusch aber überlebte. Rupprecht hatte im Aschaffenburger Stadtrat für die Inschrift plädiert: „Ach. Töten könnt ihr. Aber nicht lebendig machen. Wenn es die Liebe nicht tut.“
Jüdisches Museum, Sankt-Jakobs-Platz 16, bis 13. Februar 2022, Di – So 10 bis 18 Uhr, derzeit wegen der Coronaregeln nur mit Voranmeldung unter Telefon 233-41952
Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel