Moderne oder Retrokitsch? Die ‚FC Bayern World‘ in der Weinstraße polarisiert

München – Fangen wir mit der Pro-Seite an: Gelungenes Eingehen aufs Historische und das Umfeld – so fällt das Fazit von unserem Vize-Chefredakteur Thomas Müller aus:

Es hat ein bisserl gedauert, bis die Kritiker aufgewacht sind, den durchaus beachtenswerten Neubau des Architekten Andreas Hild an der Weinstraße wahrgenommen haben – und ihn jetzt genüsslich zerreißen: fantasielos, billig, rückwärtsgewandt, unstimmig, sei er. Noch schlimmer: einfach nicht modern.

Warum gab es beim Vorgänger-Bau keine Kritik?

Schon erstaunlich ist diese vernichtend-verächtliche Kritik, die man sich öfters wünschen würde – nämlich dann, wenn sie angebracht wäre, wenn in der Münchner Altstadt mal wieder Neues entsteht. So wie im Falle des Vorgängerbaus just an selbiger Stelle in den späten 90er-Jahren, für den damals ja ein durchaus respektables 50er Jahre Geschäftshaus aus der Wiederaufbauzeit „optimiert“ wurde: Der Altbau wurde entkernt, mit Komplettvergasung im Erdgeschoss und ersten Stock versehen sowie blütenweiß getüncht. Eine billige, fantasielose Fassade mit Domblick, wenn man so will. Modern? Dass es damals großen Aufschrei von Architekturkritikern gegeben hätte, ist jedenfalls nicht überliefert.

Nun, gerade mal rund 20 Jahre hat besagter Bau überdauert. Und ist jetzt eben komplett ersetzt worden durch einen Neubau, der den zerstörten Vorkriegsbau aufgreift, indem eine aufwendige und gar nicht ganz billige Sgraffito-Fassade aufgetragen wurde.

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Das Positive daran: Hier hat wer (in dem Fall ein gewisser Baron von Finck) ganz genau gewusst, wo er baut, in welchem historischen Umfeld und in welcher Münchner Bautradition. Das Haus, das dem jetzt so arg gescholtenen Neubau nämlich sehr, sehr nahe kommt, befindet sich gleich ums Eck am Marienplatz, wo das Kaufhaus Ludwig Beck seit den 50er Jahren mit einer recht ähnlichen Sgraffito-Fassade glänzt. Wenn man’s noch positiver sehen will: Hier hat wer endlich wieder mal eine Idee von einer Fassade gehabt, die sich in den umliegenden Kontext tatsächlich auch einzufügen bereit ist. Zugegeben, für München eine eher seltene Erfahrung. Zumal in der Altstadt.

Das Münchner Ensemble musste bedeutende Verluste hinnehmen

Fast zaghaft möchte man an der Stelle einfach wieder mal daran erinnern, dass die Altstadt unter Ensembleschutz steht. Ein Ensemble, das aus erhaltenen und wiederaufgebauten Anker-Bauten besteht, die zusammen mit einer zurückhaltend-historisierenden 50er Jahre Architektur auf zumindest weitgehend belassenen Straßenverläufen und Parzellen-Strukturen die DNA des Altstadt-Ensembles begründen.

Dass dieses Ensemble in den letzten Jahrzehnten – von Denkmalschützern weitgehend unwidersprochen und von der Stadtgestaltungskommission willfährig abgenickt – bedeutende Verluste hinnehmen musste, ist trauriger Fakt. Man muss nur rund 100 Meter die Weinstraße weitergehen zum „Schäfflerhof“ (zwischen Schäffler und Maffeistraße), dem in den 90er Jahren ein vital-charmantes, äußerst reizvoll kleinparzelliertes Altstadtgeviert geopfert worden ist. Wie’s um die Vitalität und den Charme des monolithischen Klinkerbaus bestellt ist, darf jeder gerne mal besichtigen.

Klar entwickelt sich ein denkmalgeschütztes Ensemble weiter, muss es auch, sonst ist es irgendwann museal und tot. Man fragt sich aber, was ein denkmalgeschütztes Ensemble eigentlich wert ist, wenn daran zum Teil derart wenig rücksichtsvoll rumgeschnitzt, keine Rücksicht und kein Bezug auf die bauliche Nachbarschaft genommen wird – weil man ja stets ach-so „modern“ bauen will.

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Diese Debatte um das moderne Bauen wird ja seit den 60er Jahren mit einem geradezu ideologischen Eifer geführt. Eine Debatte, in der sich die Moderne stets neu zu erfinden bemüßigt fühlt – und doch inhaltlich, rhetorisch sowieso, schlicht stehengeblieben ist in den 60er Jahren. Ist dieses Verharren nicht sehr viel rückwärtsgewandter als einzelne Altstadt-Rekonstruktionen oder -Reminiszenzen?

Das Ergebnis sind eben nur allzu oft abstrakt-geometrische Rendite-Würfel mit Nicht-Fassaden. Bauten neuen Datums, ohne Zweifel. Aber tatsächlich auch moderne Bauten? Und, klar, man kann derartige Bausünden originell finden. Ich tue das allerdings nicht.

Die Diskussion, wie modern Architektur sein muss, ist in München nicht neu

Sicherlich hatte der Architekt Alexander von Branca 2009 nicht ganz Unrecht, als er zu seinem 90sten sagte: „Die moderne Architektur kommt an einen Punkt, wo sie eigentlich nicht mehr so recht weiter weiß, weil der materialistische Funktionalismus sich selber ad absurdum geführt hat.“ Sein Weg war daher ein anderer: Das Einbeziehen der und der Rückbezug auf die Architektur der Vergangenheit.

Dass er dafür (und für diese Art von Architekturverständnis im historischen Umfeld) nicht nur gescholten, sondern regelrecht angefeindet wurde, spricht Bände.

Ein Schicksal, das dem wohl bedeutendsten Münchner Wiederaufbau-Architekten Erwin Schleich († 1992) ebenfalls widerfahren ist. Sein sehr klassisch gehaltener Neubau, eben erst mustergültig saniert, aus den 70ern am Lenbachplatz, ein stadtbildprägender Ankerbau genau zwischen Alter Börse, Altem Botanischen Garten und Justizpalast, wurde damals, gepaart mit persönlichen Anfeindungen, regelrecht zerrissen. Die Diskussion, wie modern Architektur sein muss oder sein sollte, ist also nicht ganz neu in München.

Vielleicht muss man es mit dem Motto der Bayern-Fans halten

Doch zurück zum auf alt getrimmten Neubau in der Weinstraße. Vielleicht gefällt vielen ja auch einfach nicht, dass ausgerechnet eine „FC-Bayern-Welt“ dort eingezogen ist, eine schrille Fan-Erlebniswelt der ohnehin stets polarisierenden Roten, die durchaus knallig und auch ein bisschen großspurig durch die großen Schaufenster auf die Sgraffito-Fassade zu schimmern vermag.

Aber vielleicht muss man an der Stelle einfach mal das Motto der Bayern-Fans in Erinnerung rufen: „Euer Hass ist unser Stolz.“ Ein Motto, das man dem Bauherrn und dem Architekten des Sgraffito-Baus in der Weinstraße ebenfalls ans Herz legen möchte.

Thomas Müller

AZ-Kulturredakteur Robert Braunmüller vertritt die Contra-Seite und meint: Protziger, kulissenhafter Pseudobarock – das passt vielleicht zu manchem Kleingeist, aber es ist stilistisch eine Katastrophe:

Es ist eine auf gediegen getrimmte Geschmacklosigkeit, die auch dem Emir von Katar, Donald Trump oder Vladimir Putin gefallen würde. Die Fassade der FC Bayern World in der Weinstraße macht durch die barocke Ornamentik und die vor allem im alpinen Süden beliebte Sgrafitto-Technik auf alt. Aber sie tut das in Art einer Kulisse und einer Schaufensterdekoration.

Wie beim falschen Barock in orientalischen Protzpalästen, Trumps Hotels und Putins Schloss am Schwarzen Meer soll einem Neubau der Anschein von Gediegenheit und Tradition verliehen werden. Das passt natürlich auch zum FC Bayern, der es bis heute gefühlsmäßig nicht verdaut hat, der jüngere der beiden Traditionsclubs dieser Stadt zu sein.

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Statt sich modern zu geben – was bei der Allianz-Arena geglückt ist – kompensiert man das mit Großmannssucht, Angeberei, dem Verzehr blattvergoldeter Steaks und einer falschen historischen Fassade.

Das Neo-Biedermeier ist reiner Retrokitsch

Man kann gewiss mit so einer unfreiwilligen Architekturironie ein Bordell in einem Gewerbegebiet so aufhübschen, im Zentrum einer modernen Großstadt ist das Neo-Biedermeier eines falschen Barock reiner Retrokitsch. Hässlich ist die Fassade, weil die Verzierung viel zu stark auftrumpft, wenn man sie mit historisch gewordenen Sgraffito-Malereien wie der Verzierung des Kaufhauses Beck oder der Residenz vergleicht. Sie widerspricht außerdem der gestalterischen Regel „Form follows Function“, weil sich drinnen kein Biedermeier-Museum befindet, sondern Läden, Restaurants, ein Hotel und ein moderner Eventbereich.

Der Architekt Andreas Heil wollte mit dieser Fassade den Vorgänger-Bau von 1872 zitieren. Aber auch das ist, mit Verlaub, Blödsinn: Denn dieses Haus war – wie alle Gebäude dieser Zeit – wiederum eine historistische Stilkopie, die einem vor 150 Jahren modernen Geschäftshaus die Perücke eines Barockpalasts aufgesetzt hat, als würden Fürsten darin leben.

Moderne Neubauten halten nicht ewig

Unschön ist der Neubau übrigens auch, weil der vereinseigene Fanshop das traditionsreiche Sporthaus Münzinger im Rathaus ruiniert hat, das gut vom Verkauf von Trikots und Fanartikeln an Touristen gelebt hat. Auch diese Breitbeinigkeit, mit der Konkurrenz verdrängt und das Geld selbst eingesackt wird, passt ja gut zum FC Bayern. Dass der Fanshop durch einen Abstieg in die dritte Liga überflüssig wird, darauf sollte man nicht hoffen. Aber moderne Neubauten halten nicht ewig, und so werden manche unter uns Abriss oder zumindest Entkernung des Gebäudes in 30 oder 40 Jahren erleben.

In der Nacht leuchten die Schaufenster penetrant im Bayern-Rot. Aber eigentlich darf man sich darüber nicht wundern, dass derlei von einer Verwaltung genehmigt wurde, die Privatleute beim Bauen mit allerlei kleinlichsten Gestaltungsvorschriften nervt. Manchmal schläft die Stadtgestaltungskommission. Der FC Bayern hat eben seine Fans auch oben im Rathaus,. Und Liebe macht offenbar blind.

Robert Braunmüller

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