"Im Traum kann ich gehen"

Kristina Vogel war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Unglaubliche elf Weltmeister-Titel und zweimal  Olympia-Gold hatte sie bis 2018 eingefahren. "Beste Bahnradfahrerin der Welt" durfte sie sich nennen. Dann der Schicksalstag: Sie stürzte beim Training nach einer – unverschuldeten – Kollision mit einem Fahrer so schwer, dass sie eine Querschnittlähmung erlitt. Tapfer: Die Erkenntnis, dass nichts mehr sein würde wie zuvor, ließ sie nicht verzweifeln, sondern spornte sie an, neue Wege zu suchen. 

Heute arbeitet Kristina Vogel als Moderatorin fürs ZDF, sie ist in den Polizeidienst zurückgekehrt und sitzt im Erfurter Stadtrat. Vieles ist anders, aber manche Dinge sind gleich geblieben: ihre Leidenschaft für Schuhe etwa, vor allem für High Heels.

Kristina Vogel: Das Perfekt-Sein hat sie aufgegeben

Gala: Sie haben ein Faible für hohe Schuhe. Welche tragen sie am liebsten?
Kristina Vogel: Sie dürfen gerne einen dickeren Absatz haben, weil ich so entspannter auf der Stütze des Rollstuhls stehen kann. Einen Vorteil habe ich jetzt:

Direkt nach Ihrem Unfall haben Sie die Therapeuten zur Verzweiflung getrieben, weil Sie die übliche erste Phase von Verleugnung und Ablehnung Ihres Schicksals einfach übersprungen haben.
Ja. Als ich aufgewacht bin – bis obenhin voll mit Medikamenten und sehr schwach – habe ich sofort zu meiner Familie gesagt: Macht euch keine Sorgen, ich schaff das schon! Für mich galt immer: Je schneller ich damit klarkomme, desto schneller komme ich weiter. Natürlich gibt’s manchmal Momente, in denen ich fluche und mich ärgere. Aber die sind schnell vorbei. Insgesamt geht es mir sehr gut.

Sie können sogar schon fix vom Rollstuhl auf einen Sessel umsteigen.
Das ist reine Übungssache. Und ich muss nicht perfekt sein, ich muss nur ankommen.

Haben Sie das Perfekt-Sein aufgegeben?
Ein Stück weit schon. Ich habe nicht mehr den Ehrgeiz, alles alleine zu bewältigen, sondern schaue lieber, wer mir helfen kann. So gibt’s immer Freunde, die in Rufbereitschaft sind, wenn ich alleine zu Hause bin. Und mein Freund Michael ist oft da.

Mit ihrem Michael kann sie ihr Leid teilen

Wie wichtig ist er für Sie?
Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich die Zeit im Krankenhaus nicht geschafft. Er hat drei Wochen lang neben mir auf dem Stuhl geschlafen! Ich konnte und kann mein Leid immer mit Michael teilen. Und er löst viele Probleme für mich, indem er mich etwa Stufen hinaufträgt.

https://www.instagram.com/p/B78NpuUBjrg/
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Manch ein Partner würde sich in solch einer Situation davonmachen.
Ich würde es Michael nicht verübeln, wenn er sagen würde: Du, ich habe mir mein Leben anders vorgestellt. Aber er macht es nicht. Und darüber bin ich sehr glücklich. Das Tolle ist, dass wir weiter zusammen wachsen.

Klingt, als wären Sie bereit für mehr.
Nein, die Hochzeit muss noch warten. (lacht) Ich will bunt, laut und exzessiv feiern, und das ist zurzeit nicht möglich. Antrag gab es auch noch keinen.

Sie haben viel mitgemacht. Wovor haben Sie noch Angst?
Noch mal solch einen Unfall brauche ich wirklich nicht. Aber ich habe großen Respekt vor einer Schwangerschaft. Ich bin aktuell nicht schwanger, wünsche mir aber Kinder. Da tauchen sofort viele Fragen auf: Klappt das überhaupt? Und wie kann ich die Zeit mit Bauch im Rollstuhl meistern?




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Wie viele Kinder wünschen Sie sich?
Früher wollte ich immer zwei. Aber vielleicht sage ich nach dem ersten Kind ja auch: O je, das Kind ist so anstrengend wie ich selbst, das reicht! Ich muss erst mal schauen, wie ich in meinem neuen Leben klarkomme. Wenn mich nichts mehr erschüttern kann, darf gerne ein Baby kommen.

„Andere träumen vom Fliegen, ich vom Gehen“

Gibt es Momente, in denen Sie vergessen, dass Sie nicht mehr gehen können?
Im Traum passiert das tatsächlich. Ich träume oft, dass ich Fußgängerin bin. Meine Traumatologin sagt, das sei nichts Schlimmes oder Ungewöhnliches. Andere träumen vom Fliegen, ich vom Gehen.

Was vermissen Sie am meisten?
Die Spontanität. Ich muss viel mehr planen, mal eben Zugfahren geht nicht mehr. Das Radfahren fehlt mir nur manchmal, etwa, wenn ich als Mode­ratorin unterwegs bin und einen tollen Sprintlauf sehe. Dabei fühle ich mich nicht traurig oder wehleidig, sondern denke: Was für eine geile Sportart! Und ich fahre ja noch – mit dem Handbike.

https://www.instagram.com/p/CE4wHhbhsvl/
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Wie halten Sie sich sonst fit?
Ich habe mir Hula­-Hoop­-Reifen für die Arme gekauft. Ganz schön anstren­gend! Außerdem trainiere ich an der Sprossenwand und mit Therabändern, täglich so zwischen 20 Minuten und einer Stunde. Der Ehrgeiz ist weiter da.

Wie glücklich sind Sie momentan mit Ihrem Leben?
Ach, das passt alles. Klar bin ich manchmal genervt, und an manchen Tagen bin ich weniger zufrieden als an anderen. Also genau wie früher auch.

Sie haben einen heraus­fordernden Weg hinter sich. Macht es Sie stolz, wie Sie alles meistern?
Auf alle Fälle. Ich habe gelernt, dass es okay ist, stolz auf sich zu sein. Als Athletin habe ich mir das nicht erlaubt. Aber jetzt denke ich, dass es schön ist zu sehen, was man alles geschafft hat.

  • Kristina Vogel

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