Rund 15 Monate hielt die Beziehung zwischen Kasia Lenhardt und Jérôme Boateng. Doch bereits nach wenigen Wochen kam es zu einem Vorfall, der nun, nach dem Tod des Ex-GNTM-Models, die Behörden beschäftigt. Wie hängt das zusammen?
Im Oktober 2019 sah man Kasia Lenhardt und Jérôme Boateng das erste Mal zusammen in der Öffentlichkeit, in New York. Der Fußballspieler und das Model, abgelichtet in der Privatsphäre. Wann genau die Beziehung des Paares ihren Anfang nahm, weiß niemand so genau – vermutlich in der zweiten Jahreshälfte 2019, Boateng ist zu dieser Zeit kein Nationalspieler mehr, Lenhardt hatte gerade einen Modelvertrag bei einer Hamburger Agentur unterschrieben. Amtlich notiert ist hingegen dieses Datum: Am 3. Oktober 2019 kommt es zu einem Gewaltvorfall „zum Nachteil der Geschädigten Kasia L.“ – so steht es in den Akten der Münchner Staatsanwaltschaft.
Es ist der Grund für ein Ermittlungsverfahren „wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung“ gegen den Fußballweltmeister. Am 20. Dezember 2019 wird es eingeleitet, rund ein halbes Jahr später, am 19. Juni 2020, vorläufig eingestellt. Wie die Staatsanwältin Anne Leiding am Mittwoch t-online erklärte, waren dafür zwei Gründe ausschlaggebend: Die Geschädigte Kasia Lenhardt hatte sich entschieden, „keine belastenden Angaben mehr zu machen“. Außerdem ermitteln die Münchner Behörden in einem weiteren Gewaltvorfall gegen Jérôme Boateng „wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und Beleidigung“ im Fall seiner Ex-Freundin Sherin Senler, der Mutter seiner Zwillinge.
Der Plan der Münchner Staatsanwaltschaft: Abwarten, wie das bereits angeklagte Verfahren beim Amtsgericht München zwischen Boateng und Senler ausgeht – dann könne immer noch über eine Fortführung im Fall Lenhardt nachgedacht werden. Doch alles kommt anders. Corona-bedingt wird in München „bis auf Weiteres“ nicht verhandelt beim Amtsgericht und am 9. Februar 2021 kommt es zu einer dramatischen Wende. Kasia Lenhardt wird tot in einer Berliner Wohnung aufgefunden.
Die Polizei, so bestätigen es die Berliner Ermittlungsbehörden auf Nachfrage von t-online, findet die Leiche der 25-Jährigen in den Abendstunden in einem Charlottenburger Apartmentkomplex. Ein Todesermittlungsverfahren wird eingeleitet und am Mittwoch dieser Woche zum Abschluss gebracht. Ergebnis: Fremdverschulden könne ausgeschlossen werden. Die Obduktion, die von der Berliner Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde, legt diesen Schluss nahe – in einem ausführlichen Statement begründet der zuständige Gerichtsmediziner Prof. Dr. Michael Tsokos den Befund. Wie t-online nun erfuhr, wird der Fall Kasia Lenhardt damit zu den Akten gelegt. Sowohl die Polizei Berlin als auch der Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Martin Steltner, bestätigen: Für weitere Ermittlungen bestehe kein Grund.
Spricht man mit Experten wie dem Kriminologen und Polizeiwissenschaftler Dr. Martin Thüne, ergibt sich daraus ein klares Bild. Die Todesursache galt beim Leichenfund als ungeklärt oder unnatürlich. Die Behörden wurden aktiv, eine Obduktion brachte ein Ergebnis. Es ist davon auszugehen, dass Kasia Lenhardt nicht eines natürlichen Todes starb. Das deckt sich mit den bestürzten Aussagen der Familie, kurz nach dem Tod des Ex-GNTM-Models: In einem Brief schreiben sie vom „unerwarteten Tod unserer geliebten Tochter“. Auch der erfahrene Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Prof. Dr. Christian Pfeiffer, nimmt an, dass es sich hier um einen Suizid handeln könnte.
Sowohl Thüne als auch Pfeiffer sind mit dem Fall Lenhardt nicht näher betraut. Ihre Einschätzungen speisen sich lediglich aus der allgemeinen Informationslage. Und genau diese ist es auch, die nach dem Tod der gebürtigen Polin die Münchner Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft. Am Mittwoch heißt es dazu: „Das Verfahren wurde am 10. Februar 2021 wieder aufgenommen, weil uns im Rahmen des Todesermittlungsverfahrens in Berlin neue Erkenntnisse erreicht haben, die Hinweise auf eine mögliche Fortführung des Verfahrens geben könnten.“
Obduktion nicht ausschlaggebend für Ermittlungen gegen Boateng
Welche Erkenntnisse das sind, bleibt zunächst unklar. Vermutungen, wonach die Obduktion Hinweise geliefert haben könnte, erweisen sich nach Informationen von t-online jedoch als irreführend. Auch Martin Thüne bestätigt: Eine Übermittlung des Obduktionsberichts von Berlin nach München bewerte er als „untypisch“. Christian Pfeiffer pflichtet dem bei. Viel eher habe hier ein „öffentliches Interesse“ vorgelegen, so der renommierte Kriminologe, der von einem „massiven, psychischen Angriff“ auf Kasia Lenhardt ausgeht und daher die wiederaufgenommenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in München für nachvollziehbar halte.
Dafür spricht auch ein anderer simpler Fakt: das Datum. Das Ergebnis der Obduktion lag erst am 24. Februar vor, doch gegen Boateng im Fall der „vorsätzlichen Körperverletzung“ gegen Kasia Lenhardt wurde bereits wieder ab dem 10. Februar ermittelt. Auf Nachfrage von t-online bestätigt Staatsanwältin Anne Leiding nun: „Aufgrund eines Hinweises aus Berlin im Rahmen der medialen Berichterstattung über den Tod der Kasia L. hat die Staatsanwaltschaft München I zunächst über die Polizeiebene dann direkt die Staatsanwaltschaft Berlin kontaktiert.“
War es der Fundort der Leiche, die Wohnung in Berlin Charlottenburg? Eine Zeugenaussage, die im Zuge der Berichterstattung die Münchner Ermittlungsbehörden hellhörig machte? Christian Pfeiffer führt noch eine andere Option ins Feld: Unterlagen oder ein Tagebuch, die nach Kasia Lenhardts Tod sichergestellt wurden. Ginge aus neuen Beweismitteln hervor, dass der Anfangsverdacht aus dem Jahr 2019 bestätigt werden könne, muss das Ermittlungsverfahren gegen den Fußballprofi wieder aufgenommen werden.
Jérôme Boateng: Es gilt die Unschuldsvermutung
Schon einmal hat sich Boateng über seine Verteidiger gegen die Ermittlungen in München gewehrt. Der heute 32-Jährige stellte im Juni 2020 Strafanzeige gegen die zuständige Staatsanwältin. Er betrachtete sich als „Unschuldiger“ und bewertete die Strafverfolgung als ungerechtfertigt. Doch Boateng scheiterte, das Verfahren wurde eingestellt. Auch nach einer Beschwerde Boatengs blieb es dabei: Die Strafverfolgung war rechtsgültig – und wird nun fortgeführt. Wie Staatsanwältin Anne Leiding auf t-online-Nachfrage bestätigt, werden sich die Ermittlungen hinziehen. Mit ersten Ergebnissen sei „in acht bis zehn Wochen“ zu rechnen.
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Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Jérôme Boateng erklärte über seine Anwaltskanzlei schon im Fall Sherin Senler, es handele sich um einen „privaten Sachverhalt, der im Wesentlichen auf unbewiesenen Behauptungen Dritter beruhe“. Zu den wiederaufgenommenen Ermittlungen äußerte sich der Beschuldigte bisher nicht. Boatengs Management ließ eine Anfrage von t-online unbeantwortet.
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