In „Hetzjagd“ muss Kommissarin Lena Odenthal den Mord am Konzertveranstalter von „Rock gegen Rechts“ aufklären. Aber einigermaßen spannend wird es im Ludwigshafener „Tatort“ erst, als sich herausstellt, dass der verhaftete Nazi gar nicht der Täter ist.
Neonazis sind meistens Dumpfbacken, das liegt in der Natur ihrer Sache. Ihr simpler Gefühlshaushalt und simpler Verstand benötigen eine simple Weltsicht, und Stärke können sie nur mit simplen Mitteln demonstrieren: Drohungen und Waffengewalt. So einer ist der 28 Jahre alte Chemiefacharbeiter Ludger Rehns.
Er trägt coole Tattoos, einen finsteren Blick und hat an der Wohnzimmerwand einen Schäferhund in Großaufnahme hängen. Heute kann er sich endlich mal so richtig wichtig fühlen: Ludger hat Marschbefehl erhalten. Und seine Befehle von oben gibt er großspurig nach unten weiter, an seine Freundin Hedwig, die an diesem bedeutsamen Morgen mit ihm ernst um die Wette guckt: „Du bleibst hier. Egal, was passiert.“ Die rechte Szene sieht – ganz im Einklang mit ihrer gestrigen Gesinnung – ihre Heimchen bekanntlich am liebsten am Herd und in ehrfürchtiger Bewunderung. Ludger nennt Hedwig liebevoll „die Kleine“.
„Tod den Volksverrätern“
Jetzt muss der Mann jagen gehen. „Heute Zuschlag – Tod den Volksverrätern“, informiert Ludger die Kumpane im rechtsradikalen Forum „Hammerland“. Und stellt schnell noch ein hammerhartes Foto von sich mit Pistole und Maske dazu. Man möchte sein Gehabe mit halbwüchsigen Posen auf TikTok vergleichen, wenn die Sache nur nicht so ernst wäre. Denn Ludger Rehns mag zwar einerseits ein armseliges Würstchen sein – andererseits ist er zu allem bereit und im Besitz einer Waffe.
Doch als er zum Rheinufer kommt, um den joggenden „Volksverräter“ zu erschießen, liegt der bereits tot im Gras. Ludger ist verwirrt. Ludger schiebt Panik. Zum Glück steht seine Kleine mit dem Auto bereit und tritt aufs Gaspedal. Hedwig ist alles andere als ein Heimchen am Herd, Hedwig ist mindestens so hart drauf wie Ludger, aber mit mehr Herz und mehr Hirn.
So beginnt die „Hetzjagd“, die schon keine mehr ist. Denn die Polizei hetzt nicht, sie ermittelt. Darin liegt ihre Kraft, aber auch ihre Ohnmacht. Manchmal ist es zu spät, wenn sie endlich eingreift: Das Opfer stand auf mehreren Todeslisten der rechten Szene.
Tillmann Meinecke war Konzertveranstalter, steckte mitten in den Vorbereitungen zu „Rock gegen Rechts“ und hatte schon mehrfach um Polizeischutz gebeten – vergeblich. Noch am Morgen seines Todes spricht Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) auf seine Mailbox und bedauert: Sein Antrag sei trotz ihrer Empfehlung abgelehnt worden.
Kein Wunder, dass Odenthal den Fall persönlich nimmt, vor allem, als es eine zweite Tote gibt: Bei einer Polizeikontrolle verliert Ludger Rehns die Nerven, er feuert auf eine Kommissarin und wird festgenommen. Hedwig flieht.
Ein „Tatort“ mit wenig Überraschungen
Was in „Hetzjagd“ nun folgt, sind ein paar eher klägliche Versuche, den Zuschauern Verdächtige zu präsentieren. Und dann drängt sich noch – trotz Darsteller Oliver Stritzel – ziemlich überflüssigerweise der Verfassungsschutz in Odenthals Ermittlungen und scheint Rehns‘ Verschwörungstheorie zu bestätigen, dass ihm eine Falle gestellt wurde.
Es ist trotzdem nicht schwer, auf die richtige Person zu tippen. Überraschend ist höchstens das Motiv – und ein kurzer Gastauftritt von Popstar Clueso, der sich selber spielt. Leider darf er nicht singen, sondern nur die Staatsgewalt kritisieren. „Wie viele Tote braucht’s eigentlich noch, bis ihr aufwacht?“, fragt er die Kommissarinnen. Spoiler Alert: Clueso ist ein Guter und nicht der Mörder.
Das Spannende an dem Krimi von Regisseur und Drehbuchautor Tom Bohn ist weniger die Suche nach dem Täter, sondern vielmehr die Dynamik, die entsteht, als sich herausstellt, dass es nicht der Neonazi war.
Ludger Rehns hat eine Kommissarin erschossen, ist ganz eindeutig ein Widerling und außerordentlich dumm, aber am Tod von Meinecke trägt er keine Schuld. Darsteller Daniel Noël Fleischmann gibt ihm die perfekte Mischung aus Angst und Fanatismus.
Der Konzertveranstalter wird von seiner Umgebung für sein politisches Engagement sehr bewundert, aber viel lieber und ausführlicher reden alle über seine persönlichen Schwächen: Sein früherer Geschäftspartner hat sich wegen Meineckes Egozentrik von ihm getrennt. Und die elegante Mutter von Meineckes Freundin Maria hüstelt im Interview vornehm: „Er war – entschuldigen Sie das harte Wort – ein Hasardeur.“ Also einer, der verantwortungslos hohe Risiken eingeht und dabei auch andere in Gefahr bringt. In der Welt von Julia Karisch ist das offenbar die schlimmste Beleidigung für einen langhaarigen Hallodri.
Nazibraut trifft Aktivistin
Valerie Niehaus hat eine Glanzrolle als kontrollsüchtige PR-Beraterin, die in cremefarbenen Stoffen durch ihre cremefarbene Villa schreitet, wo – anders als im wahren Leben – alles seinen perfekten Platz hat. Kein Wunder, dass die Expertin für glänzende Oberflächen nicht nur wenig von der Beziehung ihrer Tochter hielt, Julia Karisch hält offenbar auch wenig von ihrer Tochter: Die impulsive Maria habe wegen ihrer direkten Art wenig Freunde, erklärt die Mutter den Kommissarinnen, und sich befremdlich enthusiastisch an diesen Meinecke gehängt.
Das Mutter-Tochter-Verhältnis in „Hetzjagd“ ist viel interessanter als die Links-Rechts-Thematik, die Bohn vor allem über ein anderes Paar erzählen will: Ihre kummervolle Orientierungslosigkeit führt nämlich Meineckes Freundin Maria (Anna Herrmann) und Rehns‘ Freundin Hedwig (Anne-Marie Lux) im nächtlichen Mannheim zusammen.
"War Umstellung": "Tatort"-Star Anna Herrmann über den besonderen Corona-Dreh
Aber weil lange keine der anderen erzählt, wer sie ist, bleibt die gemeinsam freundschaftlich verbrachte Nacht letztlich wenig aufschlussreich und hat nur die arg simple Botschaft, dass wir in Einsamkeit und Schmerz im Grunde alle gleich sind und uns gefahrlos eine Zigarette und ein Hotelzimmer teilen könnten – solange wir den Mund nicht aufmachen.
Viel zeigt der „Tatort“ nicht
Nur zeigt „Hetzjagd“ ja auch, was passiert, wenn wir das tun: Es kommt zu Mord und Gewalt. Dadurch negiert der Film letztlich seinen eigenen Idealismus. Immerhin halten sich die pädagogischen Monologe, in denen dem Neonazi erläutert wird, warum er Neonazi ist, oder die Erklärdialoge, in denen zwei sich darüber unterhalten, wie schlimm das rechtsextremistische Gedankengut einerseits und wie wichtig der offene Dialog andererseits ist, in Grenzen.
Kommissarin Odenthal zeigt unterdrückte Wut, Kollegin Stern (Lisa Bitter) ihre Ausbildung als Profilerin. Aber viel mehr zeigt dieser „Tatort“ leider nicht.
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